Beschwernisse des leichten Lebens
„Unkraut im Paradies“ (Bartosz Werner, D 2009)
Immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und auch schnell mal die Faust aus der Tasche, so nimmt Lukas (Remo Schulze), arbeitsloser Dauerpraktikant, sein Leben auf die leichte Schulter. Von Verantwortung für sich und andere keine Spur – bis er merkt, dass man so weder sein Leben, noch soziale Kontakte in den Griff bekommt.
Bartosz Werners Spielfilm „Unkraut im Paradies“ (AT: Lukas) widmet sich nach „Preußisch Gangstar“ erneut dem beliebten Genre des Coming-of-Age-Films. Wobei er wie schon in „Preußisch Gangstar“ eher eine Zustandsbeschreibung der Befindlichkeit heutiger Jugend und ihrer Kulturen wagt, als eine wirkliche Entwicklung seiner Figuren zeigt. Für die Jugendlichen des neuen Jahrtausends an der Schwelle zum Erwachsenwerden mag dieses Verharren im Niemandsland zwischen den kaum noch möglichen „üblichen“ Lebensentwürfen typisch sein. Insofern kann man dem handlungsarmen Film – oder wie Bartosz Werner ihn am Rande der Dreharbeiten selbst als „undramatisch“ beschrieb – keine erzählerischen Schwächen vorwerfen. Dass sich der Protagonist im Kreise dreht und sich nicht wirklich entwickelt, gehört zur Charakterisierung der Figur.
An der hartnäckigen Geschlechtskrankheit seiner Freundin Meike (Klara Manzel) stört Lukas vor allem, dass er über mehrere Wochen keinen Sex mit ihr haben kann. So unterstützt er Meike auch nur halbherzig, als sie wegen der Erkrankung mehrfach ins Krankenhaus muss.
Mehr Abstand als Nähe: Remo Schulze und Klara Manzel in „Unkraut im Paradies“ (Screenshot)
Die Folgen sind absehbar: Meike trennt sich von ihrem unzuverlässigen Freund und setzt ihn vor die Tür der gemeinsamen Wohnung. Für Lukas birgt das vor allem ein Problem: Er muss sich eine neue Bleibe suchen – genauer: er lässt seine Eltern und den älteren Bruder Marius, mit dem er auch ständig Zoff hat, sie für ihn suchen. Lukas versucht, Meike zurückzugewinnen, wenn auch nur widerstrebend, so doch mit kurzzeitigem Erfolg. Doch die Renaissance der Beziehung ist genauso wenig von Dauer wie Lukas’ Jobs in Praktika und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Am Ende droht Lukas die Vereinsamung in seinem Einzimmerappartement eines Hochhaussilos – es sei denn, er kriegt doch noch die Kurve, sein Leben eigenständig in die Hand zu nehmen.
Meike (Klara Manzel) setzt sich für Lukas (Remo Schulze) ein, dem schon wieder ein Rauswurf beim Job droht.
Wie gesagt: Zur Entwicklung heutiger Jugendlicher gehört das, was Soziologen als „verlängerte Adoleszenz“ bezeichnen, eine Art Hemmung, wirkliche Schritte ins Leben zu wagen, abseits von den wohlfeilen Versprechungen des Konsums und Party-Party-Party. Wie viele seiner Altersgenossen ist Lukas halt- und ziellos. Aktivitäten entwickelt er nur dann, wenn es gilt, einen alten, als halbwegs kommod empfundenen Zustand wiederherzustellen oder sich vor den An- und Herausforderungen trickreich zu drücken. Um den – wohl unvermeidlichen – Preis von langweiligen Längen in der Filmerzählung gelingt es Bartosz Werner, dieses Hängenbleiben im Dazwischen eindringlich darzustellen, geradezu als soziologische Studie einer Generation X, die sich selbst ein X für ein U vormacht.
Der Gestus des Spielfilms erhält dadurch einen quasi-dokumentarischen Charakter, auch von der Kameraführung her, dem undramatisch ruhigen Schnitt und den Dialogen, die angelehnt an die frotzelnde Jugendsprache recht authentisch wirken. Auch die Darsteller nehmen sich im Spiel sehr zurück. Fast mutet es an, als hätte Werner sie öfter frei agieren lassen – was auch manche Ratlosigkeit beim Spiel erzeugt.
Jugend im Fahrstuhl ins Leben – ratlos …
Ratlosigkeit auch beim Zuschauer angesichts dieser Zustandsbeschreibung der Beschwernisse des leichten Lebens. Wo es in den dargestellten Beziehungen an Sinnhaftigkeit und Tiefe mangelt, kann sie auch keine der Wahrheit verpflichtete Erzählung widerspiegeln. Insofern ist „Unkraut im Paradies“ ein Spiegel jenen Teils der Gesellschaft, der sich kaum noch Hoffnung macht, keine Utopien außer der des schnellen Glücks hat. Das Paradies haben wir längst verlassen, nun wächst dort Unkraut – um es einst vielleicht wieder urbar zu machen für die Suche nach dem Selbst und dem Glück … (jm)
„Unkraut im Paradies“ (AT: Lukas), Deutschland 2009, 85 Min., 35mm, Buch u. Regie: Bartosz Werner, Kamera: Andreas Bergmann, Schnitt: Marc Hofmeister, Ton: Andreas Mohnke, Mitwirkende: Klara Manzel, Remo Schulze, Julia Franzke, Bo Hansen u.a., Produzent: Ulrich Caspar, Produktion: Käte Caspar, Robert Geisler, Koprouktion: NDR, gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Deutschen FilmFörderFonds. Uraufführung am 20.1.2010 im Wettbewerb des 31. Filmfestivals Max Ophüls Preis in Saarbrücken.