60. Internationale Filmfestspiele Berlin (11. – 21. Februar 2010)
Hommage Berlinale 2010: Hanna Schygulla und Wolfgang Kohlhaase erhalten Goldene Ehrenbären für ihr Lebenswerk
Im Jubiläumsjahr 2010 widmet die 60. Berlinale ihre Hommage zwei Filmkünstlern, die über Jahrzehnte hinweg auf unterschiedliche Weise das deutsche Nachkriegskino maßgeblich beeinflusst haben.
“Hanna Schygulla und Wolfgang Kohlhaase stehen beide gleichermaßen für Erneuerung und Aufbruch – im Westen und im Osten Deutschlands. Hanna Schygullas Name ist untrennbar mit den Filmen Rainer Werner Fassbinders verbunden. Wolfgang Kohlhaase schlug bereits in seinen ersten gemeinsamen Arbeiten mit dem Regisseur Gerhard Klein eine für die DEFA neue Richtung ein”, kommentiert Berlinale-Direktor Dieter Kosslick die Ehrung.
Anlässlich der Hommage werden Wolfgang Kohlhaase am 17. Februar und Hanna Schygulla am 18. Februar 2010 mit dem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Eine Auswahl von je fünf Filmen begleitet die Hommage.
Hanna Schygulla kam durch Rainer Werner Fassbinder 1967 zum Münchner Action-Theater und spielte zwischen 1969 und 1980 in 20 seiner Filme. Im Rahmen der Hommage wird Rio das Mortes (1970/71) gezeigt, ein rares Frühwerk, das Utopien und Lebensgefühl der siebziger Jahre mit bizarrer Komik einfängt. Späte Fassbinder-Filme wie Die Ehe der Maria Braun (1978/79), für den sie 1979 in Berlin den Silbernen Bären erhielt, und Lili Marleen (1980/81) begründeten vor allem in den USA Schygullas Ruf als “Nachfolgerin der Dietrich”. Sie galt als Fassbinders Muse; durch ihn wurde sie zu einer Ikone des Neuen Deutschen Films und international zu “der Schygulla”. Sie arbeitete mit namhaften deutschen Regisseurinnen und Regisseuren wie Reinhard Hauff, Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta und Wim Wenders. Nach Fassbinders frühem Tod drehte sie mit internationalen Regiegrößen wie Jean-Luc Godard, Carlos Saura, Ettore Scola und Andrzej Wajda. Für die Rolle der Eugenia in Marco Ferreris Storia di Piera (Die Geschichte der Piera, 1982/83) wurde sie 1983 in Cannes als beste Darstellerin ausgezeichnet. Nach längerer Pause ist die seit 1981 in Paris lebende Künstlerin auch wieder in deutschen Filmen zu sehen – zuletzt in Fatih Akins Auf der anderen Seite (2006/07). Schygullas Vielseitigkeit zeigt sich nicht zuletzt auch in eigenen Bühnenprojekten und Regiearbeiten: ihre Traumprotokolle (1976/2005) haben Eingang in die Sammlung des MoMA gefunden und sind Teil eines Programms mit Videoarbeiten, die Hanna Schygulla realisiert hat und in Berlin präsentieren wird.
Der in Berlin geborene, heute 78jährige Drehbuchautor und Regisseur Wolfgang Kohlhaase hat das Filmschaffen der DEFA stark geprägt. Er gehört zu jenen ostdeutschen Filmkünstlern, die auch nach dem Fall der Mauer in der Branche erfolgreich blieben. Kohlhaase pflegte die langjährige partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Gerhard Klein, Konrad Wolf und Frank Beyer. Später schrieb er für Regisseure wie Bernhard Wicki und Volker Schlöndorff, in jüngster Zeit für Andreas Dresen. Seine ersten Kinoerfolge hatte Kohlhaase, gemeinsam mit Gerhard Klein, mit den berühmten “Berlin-Filmen”. Aus Arbeiten wie Berlin – Ecke Schönhauser (Gerhard Klein, 1956/57) sprechen Begeisterung für den Neorealismus und ein Sinn für soziale Realität. Sie gehören zu den ersten authentischen Gegenwartsfilmen der DEFA und brachten eine neue Tonlage in die Kinos der DDR. Das Leben in der geteilten und nun wieder vereinten Stadt Berlin durchzieht Kohlhaases Werk seither wie ein roter Faden, der bis zu Sommer vorm Balkon (Andreas Dresen, 2004/05) reicht. Eine zweite Konstante, die Beschäftigung mit dem deutschen Faschismus und seinen Folgen, führte ihn mit Konrad Wolf zusammen, mit dem er vier Filme realisierte. Bei Wolfs letzter Arbeit, Solo Sunny (1978 – 80), der 1980 auf der Berlinale einen Silbernen Bären gewann, war der Autor Kohlhaase erstmals auch Co-Regisseur. Einem anderen Kohlhaase-Film, Der Aufenthalt (Frank Beyer, 1982/83), blieb die Berlinale-Teilnahme seinerzeit verwehrt: nach einem Einspruch der polnischen Regierung zog die DDR den Film, der die Geschichte eines deutschen Soldaten in einem polnischen Gefängnis am Ende des Krieges erzählt, zurück.
“In Wolfgang Kohlhaase findet sich der seltene Fall eines Autoren, dessen Name stets in einem Atemzug mit dem des Regisseurs genannt wird. Das Gespür für Authentizität in seinen Figuren wie in seinen Geschichten, seine lakonische, sehr ökonomische Sprache und seine feine Ironie sind ein Glücksfall für das deutsche Kino. Mit Hanna Schygulla ehren wir eine Darstellerin, die, von Fassbinder in seinen frühen Filmen als Anti-Star inszeniert, mit ihrem sinnlichen Spiel und ihrer gefühlvollen Stimme zu einer der aufregendsten europäischen Schauspielerinnen wurde”, erklärt Dr. Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek, die die Hommage verantwortet.
(nach einer Pressemitteilung der Berlinale)