Deutscher Kamerapreis schafft den Dokumentarfilm ab – AG DOK protestiert

Vor der Verleihung des Deutschen Kamerapreises am 21. Juni in der Vulkan-Halle Köln-Ehrenfeld haben Mitglieder der AG Dokumentarfilm mit einer Flugblattverteilung gegen die Streichung der Preiskategorie „Dokumentarfilm“ protestiert. Wir dokumentieren hier den Text des Flugblatts:
Auf dem Weg zur Beliebigkeit – Deutscher Kamerapreis schafft den Dokumentarfilm ab
Von der Fach-Öffentlichkeit nahezu unbemerkt wurde im Reglement des Deutschen Kamerapreises die traditionsreiche Kategorie „Dokumentarfilm“ gestrichen. Seit 2009 segelt alles Nicht-Fiktionale, wenn es nicht gleich zur Reportage abgewertet wird, im nichtssagend weichgespülten Sender-Jargon unter dem bunten Wimpel der „Dokumentation“ und es steht zu vermuten, dass die Träger-Organisationen des Kamerapreises die Filmkunst damit in ihr eigenes beschränktes Weltbild zwängen wollen.
Dahinter steckt Methode – wissen wir doch seit Ferdinand de Saussure, dass in unserem Denken Dinge und Begriffe untrennbar miteinander verbunden sind. Was sich nicht benennen läßt, das gibt es auch nicht – und so sieht das Fernsehen über weite Strecken ja auch aus. Der Dokumentarfilm, die Urmutter der Kinematographie, wurde in den Fernsehprogrammen längst in die hintersten Nischen verbannt, und jetzt nimmt man ihm sogar noch seinen letzten Stolz: die eigene Begrifflichkeit. Was auf den ersten Blick wie eine ganz alltägliche Sprachverwilderung daherkommt, offenbart in Wahrheit eine erbärmliche Ignoranz gegenüber der Filmgeschichte und legt die Kulturlosigkeit derer bloß, die diese Änderung vollzogen haben.
Dokumentarfilm ist immer mehr als das gewesen, was uns das Fernsehen heute zapauf, zapab als „Dokumentation“ serviert. Ja, oftmals ist er sogar das genaue Gegenteil davon. Dokumentarfilm läßt sich nicht in strenge Formate zwängen, er stülpt der Wirklichkeit kein vorgefertigtes Denkmodell über, sondern gibt den handelnden Menschen Gesicht, Stimme und Raum. Der Dokumentarfilm ist immer ein künstlerisch gefertigtes Einzelstück. Er ist im Kino groß geworden, deshalb entfaltet er einen anderen Rhythmus, und deshalb verlangt er auch nach anderen Bildern als die handelsüblich konfektionierte „Dokumentation“. Damit ist nicht gesagt, dass die Kameraarbeit einer Dokumentation nicht auch eigene, adäquate und künstlerische Ausdrucksformen finden kann. Doch sie spielt in einer anderen Liga.
Dokumentarfilm ist eine eigenständige Kunstform der Kinematographie – das weiß die Filmwissenschaft, das wissen auch Kulturpolitiker, Festivals und viele Redakteure. Wenn die Veranstalter des Deutschen Kamerapreises das nicht wissen, müssen wir sie eben daran erinnern.
Denn wenn wir heute zulassen, die künstlerische Bildgestaltung eines Dokumentarfilms in die Rubrik „Dokumentation“ einzuordnen, werden morgen Picasso, Gerhard Richter oder Neo Rauch als Innendekorateure geehrt.
V.i.S.d.P: AG Dokumentarfilm, Thomas Frickel, Schweizer Str. 6, 60594 Frankfurt/M. – www.agdok.de
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