Neue Medien aus der Sicht eines Autors

Beim Crossmedia-Forum der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein am 4.6.2009 hielt der Neumünsteraner Drehbuch- und Hörspielautor sowie Vorsitzender des Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. Arne Sommer ein Referat über die Chancen des Internet für Filmemacher und Autoren, das wir im Folgenden dokumentieren:
Wenn ich mir die neuen Medien aus der Sicht eines Autoren ansehe, dann stelle ich mir die Frage: Was ist eigentlich vorhanden, was wird gerade gemacht, was ist spannend, was nicht? Im Grunde ergeben sich dann drei verschiedene Kategorien von Projekten, an denen ich die Probleme und Chancen für die Autoren im 21. Jahrhundert aufzeigen möchte:

Kategorie 1: Das Internet als Abspielstätte

Was im Moment vermehrt im Mittelpunkt steht und gerade von den Medienmultis gepuscht wird, ist das Internet als reiner Abspielkanal. Sei es iTunes mit Filmen und Serien als Fortsetzung der DVD, oder Playern wie Zattoo, die einfach das Fernsehen life ins Netz verfrachten. Seien es Ansätze legaler Tauschbörsen oder Fernsehsender, die ihr Programm im Netz „on demand“ vorhalten, wie z.B. Arte oder das ZDF das tun.
Man knallt dann vielleicht noch eine Kommentarfunktion auf seine Seite, verkauft Merchandising, oder produziert auch klassische Filme im Kurzformat extra fürs Netz, wie es z.B. die von Lexus gesponserte Seite L-Studio mit Serien wie „Web Therapy“ mit Lisa Kudrow gerade mehr oder weniger erfolgreich macht. Dann zeigt man dazu noch Kurzfilme, und fertig ist der Einstieg eines Autobauers in den Fernsehmarkt.
Das ist ehrenwert und für kleine Filmemacher vielleicht sogar lebenswichtig, weil ihre Produktionen sonst nicht mehr den Weg zu einem Publikum finden würden. Die OnlineFilm AG z.B. zeigt mit ihrem Angebot, wie man den Markt für die kleinen und kleinsten Urheber neu aufrollen kann.
Aus der Sicht eines Autoren ist das alles aber nichts weiter als die konservative Fortführung des Fernsehens mit anderen technischen Mitteln. Und dafür haben die besten Köpfe der Menschheit das Internet entwickelt?
Um es mit Homer Simpson zu sagen: „Langweilig!“

Kategorie 2: Das Internet als Promotionkanal

Etwas interessanter wird es beim zweiten Ansatz: Das Web als Instrument, um für ein „klassisches“ Medium Werbung zu machen. Das hat mit dem „Blair Witch Project“ begonnen und schließt neben Filmen natürlich auch Spiele, Bücher oder Marken ein. Eben alles, worum man einen Hype entfachen kann. Es geht vom einfachen Flash-Spielchen über Viral-Marketing bis hin zum weltweiten Alternate-Reality-Game (wer übrigens den Film „The Game“ mit Michael Douglas gesehen hat, weiß im Grunde, was ein ARG ist.), wie es McDonalds letztes Jahr zu den Olympischen Spielen mit „Find the Lost Ring“ veranstaltet hat.
Das rund um die amerikanische Fernsehserie „Lost“ kreierte Internet-Universum „Lost Experience“ macht dabei deutlich, wie sehr man eine solche Kampagne mit der Welt des Hauptproduktes verbinden kann. Was bei McDonalds letztendlich nichts mit dem Produkt „Burger“ zu tun hat, wird bei „Lost“ zu einem genialen Experiment, das Menschen, die bereit sind, viel Zeit zu investieren, noch viel tiefer in das Universum der Geschichte „Lost“ eintauchen lässt.
Dieser Ansatz krankt allerdings – vor allem in Deutschland – oft daran, dass die PR-Maßnahmen erst entwickelt werden, nachdem ein Hauptprodukt bereits existiert. Also z.B. ein Film, zu dessen Start man dann auf die Webseite auch noch ein Spiel setzen will. Hier wird oftmals nicht der Autor des Films involviert, sondern ein Programmierer oder Grafiker, der gar nichts mit der Sache zu tun hat, setzt was oben drauf, was nicht organisch zu der Geschichte des Films passt. Beispiele gibt es genug, da muss man nur mal auf RTL-online gehen: Meistens wird etwas wie das Moorhuhn-Spiel mit aus dem zu promotenden Film entlehnten Figuren neu programmiert – und voilá, man hat das Spiel zum Film. Das es in den wenigsten Filmen darum geht, Moorhühner abzuknallen, interessiert nicht.
Ursachen für diese Lustlosigkeit sind viele vorhanden: Die Filmbranche und die Spiele-/Internet-Branche haben immer noch Berührungsängste. Und in der Spielebranche ist die Qualität, die ein echter Autor als Experte des Geschichtenerzählens hat, weitgehend unbekannt. Berufe wie „Games Scenario Writer“ oder „Games Dialogue Writer“ z.B. gibt es in Deutschland kaum, während es in Amerika und Japan mittlerweile üblich ist, nur die besten Autoren an Spiele zu lassen. Dort sind Technik und Kultur nicht notwendigerweise Gegensätze, während man in Deutschland auch auf Seiten der Autoren oft einem gewissen Dünkel begegnet. Und umgekehrt begreifen sich Menschen, die diesen Beruf in Deutschland ausüben, oft nicht als Autoren, sondern als „Programmierer“ im weitesten Sinne.
Hier wäre es sinnvoll, Autoren von Filmen oder Serien von Anfang an auch an den dazugehörigen Produkten in den Neuen Medien arbeiten zu lassen. Das Spiel zum Film, die Web-Community zum Film, das herunterladbare Making-Off können durch die Mitarbeit des Autoren nur gewinnen. Denn wer kennt seine Figuren, seine Welt so gut wie er? Denn das ist die große Chance und auch die große Herausforderung, die eigentlich jedem Autoren entgegenkommen müsste: Seine Geschichte in einem zweiten Medium noch einmal von einer ganz anderen Seite beleuchten zu können.

Kategorie 3: Produktionen nur für die neuen Medien

Jetzt wird es haarig! Wenn wir mal die Produktionen außen vor lassen, die zwar direkt für das Web produziert, aber unter Punkt 1 abgehandelt worden sind und ganz traditionell im neuen Gewandt klassisch erzählen. Wenn wir nur Projekte zulassen, die direkt für die Möglichkeiten des Netzes und der Computer entwickelt worden sind, bewegen wir uns auf schwankenden Planken. Aber das ist ja gerade spannend! Also, was sind Projekte, die man nur in den neuen Medien erzählen kann, die so nur hier und nicht auf andere Art und Weise ihren Weg zum „Benutzer“ finden?
Dazu müssen wir vielleicht erstmal schauen, was denn das Internet für uns Geschichtenerzähler wirklich neues bietet!
Da fällt mir zuallererst seine Rolle als Kommunikationsmedium ein. Denn entgegen der verbreiteten Meinung, dass man im Internet mit Maschinen kommuniziert, ist es doch in Wirklichkeit so, dass man im Internet über Maschinen mit Menschen kommuniziert. Und das in Echtzeit und rund um den Globus.
Das führt dazu, dass sich der zeitgemäße Geschichtenerzähler fast wieder in derselben Situation befindet wie sein Urahne am ersten Lagerfeuer der Menschheit: Er erzählt direkt und findet das Publikum, das ihm zuhören will, ohne Umwege. Produktionen müssen also nicht mehr über Quoten und Massenreichweiten ihr Publikum finden, sondern können ganz gezielt Menschen ansprechen. So können speziellere Geschichten erzählt werden.
Und dadurch, dass sich – Achtung, Paradox! – im schnellsten Medium der Welt Daten besonders lange vorhalten lassen, können die Geschichten gleichzeitig über sehr lange Zeiträume ihr Publikum finden. Ich muss nicht mehr mit einem Termin am Sonntag Abend um 20.15 möglichst viele erreichen – ich kann über sieben, acht Jahre dieselbe Menge an Menschen erreichen, indem ich jeden Tag ein paar hundert anspreche.
Diese neue Erzählsituation, in der ich nicht mehr davon ausgehen kann, eine 90minütige Geschichte von Anfang bis Ende garantiert erzählt zu bekommen, ohne dass jemand weghört, führt außerdem zu folgenden interessanten Überlegungen:
Wie am Lagerfeuer kann der Zuhörer unterbrechen, Fragen stellen oder verlangen, einem anderen Strang der Geschichte den Vorzug zu geben. Das bedeutet für den Autoren direkte Kommunikation mit seinem Publikum (z.B. in Foren oder Chatrooms) – früher nur bei Lesereisen denkbar, heute tägliche Realität.
Es bedeutet außerdem, dass der Autor von heute nicht mehr davon ausgehen kann, dass sein gesamtes Material beim Publikum ankommt. Eine Geschichte muss nicht mehr mit dem Anfang anfangen, es gibt viele denkbare Einstiegspunkte. Das führt dazu, dass man weniger über klassische narrative Erzählstränge und mehr über Figuren, Geschichtenräume und Ausgangssituationen wie beispielsweise einem Ermittlungsplot erzählt.
Sie ahnen es schon: Im Grunde bedeuten die neuen Medien vor allem für alle mehr Arbeit! Es muss mehr produziert werden, mehr nachgedacht werden, mehr auf jedes Detail geachtet werden. Denn anders als im Kino, wo ich mich über eine schwache Szene hinwegretten kann, weil das Publikum in der Regel nicht gleich aus dem Saal stürmt, muss im Netz jeder Satz sitzen. Sonst begeben sich die Zuhörer eben an ein anderes Lagerfeuer. Die Konkurrenz um Aufmerksamkeit ist ungleich größer.
Was für uns bedeutet: Wir müssen in den neuen Medien mit derselben Qualität arbeiten wie in den Alten. Wir können eben nicht nebenbei oder mit Abfallprodukten anderer Produktionen einen Appetit anfüttern, sondern müssen im Gegenteil noch besser sein! Und wir müssen uns auf die neuen Medien einlassen, sie nicht als weitere Abspielstätte betrachten, sondern als gänzlich neue Herausforderung.
Wie Sie sicher bemerkt haben, habe ich für die dritte Kategorie noch kein Beispiel genannt. Das liegt daran, dass es extrem schwer ist, ein funktionierendes Beispiel zu finden. Wir befinden uns immer noch am Anfang.
Was meiner Meinung nach nicht gefragt ist, sind technische Mätzchen: Der so genannte „Interaktive Film“ z.B. ist ein alter Hut, der zu Recht auch in den alten Medien nicht funktioniert hat. Bei ihm werden lediglich vorproduzierte Stränge bei jeder Vorführung anders kombiniert. Das ist z.B. mit Flash heute leicht und billig zu realisieren. Aber das konnte der Roman schon seit Jahrhunderten. Und die angebliche Interaktivität dieses Modells führt nur zu einem: Dass ständig zwischen der klassischen Erzählsituation und der Anforderung, jetzt eingreifen zu müssen, gewechselt wird. Ich glaube aber nach wie vor, dass Menschen Geschichten passiv hören wollen! Das lernen wir von Kind auf: Wenn einer erzählt, hört der andere zu. Die angebliche Wahlmöglichkeit des Zuschauers, nun zu entscheiden, ob der Held in den Keller oder auf den Dachboden geht, ist nichts weiter als ein Gimmick und führt nur zur Frustration, nicht beide Möglichkeiten sehen zu können. Oft führt es sogar zu beliebigen Geschichten. Ich glaube also nicht, dass in dieser Art der angeblichen Interaktivität die Zukunft liegt.
Technisch vielversprechender sind Ansätze aus Computerspielen, die Interaktivität ohne das Bewusstsein des Zuschauers einzubauen. Spiele wie „Silent Hill 2“ z.B. reagieren darauf, wie sich der Spieler verhält. Ist er besonders vorsichtig, besonders mutig, besonders langsam, schnell, kaltblütig oder grausam? Ohne dass der Spieler etwas merkt, stellt sich das Spiel auf ihn ein und bietet ihm eine auf ihn zugeschnittene Spielsituation. Das ist mit Sicherheit ein Ansatz, der neu und vorher technisch nicht möglich war. Aber ein Spiel ist ein Spiel, und wie weit Spiele Geschichten erzählen können, ist zumindest umstritten.
Eine andere Möglichkeit ist es, die Zuschauer selbst zu Figuren der Fiktion zu machen. Diesen Ansatz verfolgen eben jene bereits angesprochenen ARGs. Sie kommunizieren direkt mit den Teilnehmern über alle möglichen Kanäle, und die Macher passen im Laufe des Spiels, das in der Regel über einige Wochen läuft, die Welt der Geschichte auf die Reaktionen und Aktionen der Teilnehmer an. Der Nachteil dieses Ansatzes ist natürlich der hohe Aufwand. Außerdem zeigen Untersuchungen, dass nur etwa 1% der Teilnehmer tatsächlich an der Fiktion der Geschichtenwelt aktiv mitschreiben – der Rest konsumiert auch hier mehr oder minder passiv. Was nicht schlecht sein muss. Spannend an diesem Ansatz ist für den Autoren meiner Meinung nach die Laborsituation, in die er seine Geschichte aussetzt. Was sich nicht bewährt, muss in Echtzeit verändert werden.
Hierzulande gab es allerdings erst 5 echte, kommerzielle ARGs, weil dieses Format einen unglaublichen Aufwand an Zeit und Geld bedeutet, nicht nur für die Macher, letztlich auch für die Spieler, die ja über Wochen in eine andere Welt abtauchen müssen. Daher ist es fraglich, wieweit dieses Konzept trägt.
In abgeschwächter Form nehmen neue, crossmediale Konzepte wie „Harper“˜s Globe“ diesen Ansatz auf, die User selbst in die Fiktion einzubeziehen. Ob sie Erfolg haben werden, wird die Zukunft zeigen.
Diese Ansätze allein zeigen aber schon, wie spannend es gerade ist, Geschichtenerzähler zu sein! Anders als in den sog. „alten“ Medien gibt es keine Standards, keine verlässlichen Formate, keine langerprobten Muster. Wir befinden uns in derselben Situation wie die ersten Filmemacher um 1900 herum, und das ist doch wunderbar! Wir können zu den Begründern neuer Standards und Formate gehören. – Oder herausfinden, das Standards der Vergangenheit angehören.
Wie auch immer sich das alles entwickeln wird: Eine Sache aber ist in meinen Augen ganz klar und nicht genug zu betonen: Auch an diesem gigantischen, weltumspannenden digitalen Lagerfeuer sitzen Menschen. Und Menschen wollen Geschichten über Menschen hören. Die Liebesgeschichte, die Intrige, der Heldenepos, die Heilsgeschichte, auch grundlegende Modelle der Dramaturgie – all das wird niemals aus der Mode kommen, und auch in den neuen Medien kommt man nicht darum herum, etwas zu erzählen zu haben! Der größte Fehler, den man machen kann, ist zu glauben, dass das Medium die Botschaft ist! Die Technik nimmt uns nicht das uralte Problem ab, einen packenden Stoff zu finden. Und für packende Stoffe gibt es Experten: Die Autoren!
Eigentlich müsste für uns Au
oren jetzt ein goldenes Zeitalter anbrechen – die anderen haben nur noch nicht gemerkt, wie sehr sie uns brauchen! Daher mein Appell an Sie: Überlassen Sie auch in den neuen Medien das Erzählen der Geschichten den Experten, den Autoren. (Am Rande: Studie, die besagt, das 90% der Kinogänger sich für einen Film nach der Qualität der Geschichte entscheiden! 7% Star, 3% Regisseur.) Machen Sie Ihre Produktionen dadurch stärker und spannender und tun Sie sich selbst einen Gefallen: Binden Sie Autoren so eng wie möglich ein in alles, was mit dem Universum Ihrer Geschichte zu tun hat.
Und damit meine ich auch: Finanziell!!!

(Arne Sommer)
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