Studie „Trennung von Werbung und Programm im Fernsehen – Zuschauerwahrnehmung und Regulierungsoptionen“ vorgestellt

Die Studie „Trennung von Werbung und Programm im Fernsehen – Zuschauerwahrnehmung und Regulierungsoptionen“ wurde am 25. März 2009 in Berlin im Rahmen einer Pressekonferenz öffentlich vorgestellt. Die unter der Federführung der MA HSH gemeinsam mit der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK), der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb), der Bremischen Landesmedienanstalt (brema), der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM), der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) und der Medienanstalt Sachsen-Anhalt (MSA) in Auftrag gegebene interdisziplinäre Studie betritt Neuland. In ihrem kommunikations- und rechtswissenschaftlichen Teil untersuchen die Autoren Prof. Dr. Helmut Volpers, Leiter des Instituts für Medienforschung Göttingen & Köln GmbH (IM GÖ), und Prof. Dr. Bernd Holznagel, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Leiter des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht, erstmals, woran Zuschauer TV-Werbung als solche erkennen und welche Regulierungsoptionen sich hieraus ergeben. Hierzu erklärte der Direktor der MA HSH, Thomas Fuchs: „Passgenau zur aktuellen Diskussion um die Umsetzung der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVD-RL) in deutsches Recht stellt die Studie erstmals in Deutschland empirisches Wissen dazu bereit, wo die Grenze zwischen Werbung und Programm aus Sicht der Zuschauer verläuft. Im rechtlichen Teil der Studie hält der Gutachter auf der Grundlage dieser Erkenntnisse überdies die Einführung von Produktplatzierung mit einem klaren Rechtsrahmen für möglich. Auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials und der rechtlichen Bewertung lassen sich jetzt konkrete Vorschläge für die zukünftige Werberegulierung formulieren.“
Zu den Ergebnissen der Studie im Einzelnen:
Der kommunikationswissenschaftliche Teil kommt aufgrund einer Sachstandsanalyse zu dem Ergebnis, dass die Integration persuasiver Kommunikationsinhalte in unterschiedlichen Erscheinungsformen (z. B. Product Placement, Infomercials, Promotion-Gewinnspiele, Programming, aber auch PR-Beiträge) im aktuellen Fernsehprogramm weit voran geschritten ist. Werbliche Intentionen sind zu festen Bestandteilen des redaktionellen Programms geworden. Vor diesem Hintergrund wurde untersucht, inwieweit Zuschauer in der Lage sind, diese werblichen Bestandteile zu erkennen und in ihrer Absicht einzuordnen. Hierzu wurde eine repräsentative Telefonbefragung mit mehr als 1.000 Interviews durchgeführt. Mit Blick auf das geltende Kennzeichnungsgebot für Werbung wurde zudem ein Experiment mit 80 Probanden durchgeführt, bei dem es darum ging, festzustellen, ob der Zuschauer programmintegrierte werbliche Erscheinungsformen aufgrund einer Kennzeichnung oder auch ohne eine solche Kennzeichnung erkennt und welche Kennzeichnung am ehesten geeignet ist, vom Zuschauer wahrgenommen zu werden.
Akzeptanz werblicher Elemente
  • Ein Großteil der Zuschauer anerkennt die wirtschaftliche Notwendigkeit von Werbung für Programmveranstalter. Dennoch ist die Einstellung gegenüber Werbespots eher negativ. Sie werden als lästig, störend und langweilig empfunden. Festzustellen ist ein ausgeprägtes Werbevermeidungsverhalten. Die meisten der befragten Zuschauer wenden sich während der Werbeblöcke anderen Tätigkeiten zu oder wechseln das Programm.
  • Über 50 Prozent der Zuschauer können redaktionelles Programm und Werbung nicht immer sicher unterscheiden. Dies gilt vor allem für Ältere. Um eine Unterscheidung treffen zu können, orientiert sich die Mehrheit weniger an formalen Kriterien wie Werbehinweisen als vielmehr am Grad der persuasiven, einseitigen Darstellung.
  • Etwa 70 Prozent der Befragten lehnen die Vermischung von Werbung und redaktionellem Programm ab und wünschen sich eine klare Trennung.
  • Knapp die Hälfte der Zuschauer ist der Meinung, dass werbliche Formen im Fernsehen nicht immer ausreichend gekennzeichnet sind.
  • 73 Prozent der Zuschauer halten eine Kennzeichnung von werblichen Erscheinungsformen für „sinnvoll“.
  • Ein Großteil der Zuschauer akzeptiert Produktplatzierungen in fiktionalen Unterhaltungskontexten. Dagegen wird sie in Informationssendungen von den Zuschauern nicht toleriert.
Erkennen werblicher Elemente
  • Deutlich und plakativ angebrachte Produktplazierungen („Selbsterklärende Placements“) werden von den meisten Zuschauern in ihrer werblichen Intention erkannt, unabhängig davon, ob die Sendung Werbekennzeichnungen in irgendeiner Art und Weise enthält.
  • Beiläufige Placements, die in eine fiktionale Spielhandlung eingebaut sind, werden von den meisten Zuschauern ohne Kennzeichnung nicht erkannt. Eine Kennzeichnung erhöht in diesem Fall das Erkennen von Placements.
  • Die Durchdringung eines Beitrages mit stark persuasiven Elementen (PR oder Werbung) wird in Informations- bzw. Ratgebersendungen von einem Großteil der Zuschauer – unabhängig von einer vorhandenen Kennzeichnung – erkannt.
  • Formal höher gebildete Zuschauer erkennen die werbliche Intention eines persuasiven Beitrages – unabhängig von der Kennzeichnung – häufiger als formal niedrig Gebildete.
Wirkung der Kennzeichnung
  • Zuschauer orientieren sich bei der Erkennung von werblichen oder PR-Elementen eher am Inhalt als an formalen Kennzeichnungen.
  • Zuschauer, die die persuasive Absicht von Beiträgen erkennen, auch wenn nicht darauf hingewiesen wird, wünschen sich dennoch eine Kennzeichnung zur Validierung ihrer Wahrnehmung.
Art der Kennzeichnung
  • Die Kennzeichnung „Dauerwerbesendung“ wird von den Zuschauern am ehesten mit Werbung in Verbindung gebracht. Dagegen bestehen zu „Imagefilm“ oder „Promotion“ häufig keine bzw. falsche Assoziationen.
  • Viele Zuschauer schöpfen aufgrund inhaltlicher Merkmale häufig „Werbeverdacht“. Die eingeblendeten Kennzeichnungen unterstützen und bestätigen diesen Eindruck. „Dauerwerbesendung“ erfüllt aufgrund der stärkeren Begriffsklarheit diese Validierungsfunktion besser als „Imagefilm“ oder „Promotion“.
  • Die Einblendung „Dauerwerbesendung“ sensibilisiert die Rezeptionshaltung vieler Rezipienten insofern, als diese verstärkt auf persuasive inhaltliche Elemente achten. Bei den Kennzeichnungen „Imagefilm“ und „Promotion“ ist dieser Effekt deutlich schwächer ausgeprägt.
  • Der zweite, rechtswissenschaftliche Teil der Studie ordnet die oben genannten empirischen Befunde aus juristischer Sicht ein und untersucht, inwieweit sich Reformbedarf für das geltende Werberecht ergibt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Frage, ob und inwieweit programmintegrierte Werbung zulässig ist, wie sich die durch die AVD-RL ermöglichte Produktplatzierung in das deutsche Recht integrieren lässt. Hierzu unterbreitet der Gutachter konkrete Vorschläge.
Produktplatzierung
  • Der Großteil der Zuschauer wünscht sich ein grundsätzliches Verbot von Schleichwerbung und Produktplatzierung, wie es die AVD-RL vorsieht.
  • Gleichzeitig akzeptiert ein Großteil der Zuschauer Produktplatzierung in Unterhaltungsformaten und damit in jenem Bereich, in dem die AVD-RL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit lässt, Ausnahmen vom Verbot von Produktplatzierung zuzulassen.
  • Im Zentrum der Umsetzung der AVD-RL sollte eine Konkretisierung des Begriffs „Sendung der leichten Unterhaltung“ stehen, um Informationssendungen aller Art auszuklammern. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil mit jeder Implementierung werblicher Darstellungsformen ins redaktionelle Programm die Gefahr einer Beeinflussung durch kommerzielle Interessen besteht, die insbesondere für den Informationsbereich die Rolle des Rundfunks als Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung gefährden würde.
  • Die Zulässigkeitsvoraussetzung „nicht zu starke Herausstellung“ sollte staatsvertraglich konkretisiert werden. Eine solche besondere Darstellung eines Produktes sollte nur gerechtfertigt werden können, wenn es hierfür redaktionelle Gründe gibt. Auf diese Weise würden die Unabhängigkeit der Programmgestaltung und das Vertrauen der Zuschauer in die Neutralität des Programms gewährleistet.
  • Die in der AVD-RL vorgesehene Kennzeichnung ist insbesondere im Bereich der Filme und Serien notwendig, in denen die meisten Zuschauer beiläufige, in die Spielhandlung eingebaute Produktplatzierungen ohne Kennzeichnung nicht erkennen.
  • Da ein Großteil der Zuschauer deutlich und plakativ angebrachte Produktplatzierung in ihrer werblichen Intention erkennt und in diesem Fall die Kennzeichnung lediglich einer Validierung dieser Wahrnehmung dient, ist die eher liberal ausgestaltete Pflicht einer Kennzeichnung zu Beginn und am Ende einer Sendung sowie nach jeder Werbeunterbrechung grundsätzlich angemessen.
  • Damit die Kennzeichnungspflicht nicht ins Leere läuft, sind die Hinweise, insbesondere durch eine entsprechende Länge, so zu gestalten, dass auch der nicht rechtzeitige und nicht bis zum Ende des Abspanns aufmerksame Zuschauer diese wahrnehmen kann.
Dauerwerbesendungen
  • Es wird empfohlen, den Wortlaut von Paragraph 7 Abs. 5 Satz 2 RStV zu konkretisieren. Dabei kann auf die entsprechende Formulierung in den Werberichtlinien der Landesmedienanstalten zurückgegriffen werden. Danach ist eine Dauerwerbesendung im Fernsehen zulässig, wenn sie unmittelbar vor Beginn als „Dauerwerbesendung“ angekündigt und während des gesamten Verlaufs mit dem Schriftzug „Werbesendung“ oder „Dauerwerbesendung“ gekennzeichnet wird. Die Forderung wird durch einige Gerichtsurteile gestützt, die die Rechtsauffassung der Landesmedienanstalten bestätigt haben, nach der die Kennzeichnung von Dauerwerbesendungen als „Promotion“ unzulässig ist.
Public-Relations-Beiträge
  • Rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht auch bei der zunehmenden Verzahnung von Public Relations und Programm. Bestehende Werbegrenzen werden auch durch PR-Strategien zunehmend unterlaufen, was insbesondere mit Blick auf Informationssendungen problematisch ist. Um dieser Entwicklung nicht tatenlos zuzusehen, kommt die Einführung einer Meldepflicht für den Fall der Übernahme fremdproduzierter PR-Beiträge in Betracht. Die Landesmedienanstalten und die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten diese Verpflichtung durch Leitlinien konkretisieren dürfen. Sie sollten zudem angehalten werden, über die Ergebnisse- auch die Praxis der Veranstalter im Bereich Wirtschaftsberichterstattung – in ihren Jahresberichten Auskunft zu erteilen, um auf dieser Basis zu prüfen, ob das bestehende rechtliche Instrumentarium ausreicht oder gegebenenfalls z. B. durch eine Kennzeichnungspflicht von PR-Beiträgen ergänzt werden muss. Auch könnten Vorschläge erarbeitet werden, wie die praktische Durchsetzung des geltenden Rechts verbessert werden könnte.
Die Studie „Trennung von Werbung und Programm im Fernsehen- Zuschauerwahrnehmung und Regulierungsoptionen“ ist als Band 2 der MA HSH-Schriftenreihe im VISTAS Verlag, Berlin, erschienen. ISBN 978-3-89158-499-6, 22,- €.
(nach einer Pressemitteilung der MA HSH)
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