13. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide
Wie im richtigen falschen Leben
“Die Glücklichen” (Jan Georg Schütte, D 2008)
“Ich habe beschlossen, heute glücklich zu sein. Und wenn ihr wollt, könnt ihr mitmachen”, sagt der erfolglose, beziehungsgescheiterte und somit midlife-kriselnd unglückliche Schriftsteller Hans Schiller (Stephan Schad) zu seinen beiden immer noch geliebten, aber lange nicht mehr gesehenen Studienfreunden Tom (Oliver Sauer) und Helene (Meret Becker), die er zusammen mit ihren neuen Partnern Charlotte (Susanne Wolff) und Werner (Ole Schloßhauer) samt der Friseusin Angela (Pheline Roggan), die Hans mal gerade vor drei Tagen kennengelernt hat und ihr jetzt den neureichen Hof macht, in ein Blockhaus am See zu einem “glücklichen” Wochenende eingeladen hat. Drei Tage, die die drei Paare wie in Goethes “Wahlverwandschaften” kräftig aufmischen und in ein vielfach kreuzweise “verlinktes” Beziehungsgeflecht verstricken, bei dem am Ende manche Lebenslüge entlarvt oder als ewige Wahrheit bestätigt wird.
Wenn’s mit dem Glück sonst schon nicht klappt, improvisieren sie wenigstens ein glückliches Wochenende: Stephan Schad und Pheline Roggan in “Die Glücklichen”
Ein klassisches Kammerspiel, das man rezeptionsästhetisch einfach als gelungen verbuchen könnte, weil eines der besseren dieses Genres der “Beziehungskistenumstapelung”, gäbe es nicht auch noch den besonderen produktionsästhetischen Hintergrund, der weitere Aufmerksamkeit verdient. Wie schon in “Swingerclub” (D 2006) – und mit teilweise dem gleichen Darstellerensemble – drehte Schütte ohne Drehbuch mit sechs hoch beweglichen Digitalkameras und ohne die übliche Entourage von Beleuchtern bis zum Kameraassistenten. Statt eines Drehbuchs erarbeitete Schütte mit seinen sechs SchauspielerInnen detaillierte Figurenbiografien, mit welchem “Material” er sie dann, ohne dass die SchauspielerInnen die Figurenentwürfe der jeweils anderen kannten, ins Rennen der Improvisation schickte – drei Tage lang und unter Dauerbeobachtung der Kameras wie sonst nur bei “Big Brother”. Schütte hatte dieses Konzept anhand von “Swingerclub” bereits beim von der Kieler Filmwerkstatt initiierten Werkstattgespräch “Kleine Kamera – großes Kino” vorgestellt und das Konzept in mehrteiligen Improvisationstheater-Sessions im Hamburger Schauspielhaus weiterentwickelt. In den 72 Stunden fast ununterbrochenen Drehs versammelten seine sechs Kameraleute rund 80 Stunden Material, aus denen Schütte und sein Editor Ulf Albert die 90-minütige “Story” zusammenschnitten, die sich gleichsam wie im richtigen Leben aus diesem selbst erzählt. Noch während des Drehs war unklar, wie die “ménage a six” enden würde, Schütte entwickelte das Ende am Set aus dem “vorgefundenen” Material.
So entstanden Mono-, Dia-, Tria- und Heptaloge, die ein guter Drehbuchautor vielleicht auch geschrieben hätte, die mit ihren vielen offenen – und damit umso vielsagenderen – Enden einer letztlich versagenden Kommunikation der sechs “Ego-Shooter” aber umso authentischer wirken. Ja, es entsteht ein treffendes Porträt einer zwar beziehungskommunikativ hoch geschulten, aber zu den ganz normalen sozialen Interaktionen letztlich unfähigen Generation der Fourty-Somethings, deren Lebensentwürfe am Konflikt zwischen der Forderung nach Individualität und Originalität und der geheimen, sich selbst nur selten eingestandenen Sehnsucht nach dem etabliert “Normalen” (Kinder, Familie, “samstagnachmittägliche Einkäufe bei IKEA”) scheitern.
Schüttes quasi-dokumentarisches Verfahren (die künstlerisch verfeinerte Variante von TV-Formaten wie “Big Brother” oder den Doku-Soaps, die auf den TV-Schirmen mittlerweile Legion sind), das nach eigenem Bekunden von Tschechows Theaterkonzept und auch dem “Method Acting” beeinflusst ist, schafft eine enorme Nähe zu den Figuren und könnte als zeitgemäße Form des “soziologischen Experiments” gelten, wie es Brecht in den früheren 30er Jahren entwickelte. Umso mehr, als Persönlichkeits- und Lebensentwürfe der heutigen “Best-Agers” um die 40 imgrunde Drehbücher für das eigene Leben sind – meistens dann leider schlecht von der Kamera der Selbstbeobachtung “verfilmt”. Dass sich diese Generation, zu jung für die ideologischen Gesellschaftsentwürfe der 68er, zu alt für den unreflektierten Hedonismus der heutigen Twens, ihr Leben mehr erzählt als es zu erleben, ist eine Tragik, die “Die Glücklichen” ebenso komisch wie in hautnah nachweinbaren Tränen zeigt.
Inklusive zweier erzählerischer “Clous”: Mit Angela, erst 23, aber schon mit allein erzogenem Kind und einer Mutter, die ob ihrer Alkoholsucht nicht die Großmutter sein kann, die die Mutter Angela für ein stabiles Familienkonzept benötigte, ist im Figuren-Set jener Lebensentwurf als wirklicher vertreten, den sich die verhinderten “Älter(e)n” romantisch ersehnen, aber in ihrer Selbstinszenierung versagen. Und indem sich das “Setting” am Ende als mutwilliges des (Möchtegern-) Schriftstellers Hans – vielleicht als Materialsammlung für den sowieso nie geschriebenen Erfolgsroman – entlarvt, wirft der Film auch ein ironisches Licht auf sich selbst und seinen Entstehungsprozess.
Ein Happy End, das keines ist, weil es derlei ebensowenig gibt wie “das richtige Leben im falschen” (Adorno – wir “40er” kennen ihn noch …). Aber die Hoffnungen, das “Glückspotenzial” (Schütte über seine Figuren), sind eben diese Widersprüche – und die wirklichen Tränen, die Schüttes SchauspielerInnen ganz ohne Glanzlicht und Glyzerin vergießen. (jm)
“Die Glücklichen”, D 2008, 90 Min., Regie: Jan Georg Schütte, Kamera: Bettina Herzner, Thorsten Berndt, Roland Fritzenschaft, Andonia Gischina, Lilli Thalgott, Henna Peschel, Schnitt: Ulf Albert, Darsteller: Meret Becker, Pheline Roggan, Oliver Sauer, Stephan Schad, Ole Schloßhauer, Susanne Wolff. Gefördert u.a. von der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. www.diegluecklichen-film.de