Die Magie der Verschlüsselung

„Schlüsselerlebnis“ (Oliver Boczek, D 2009)

Nach „Farbenblind“ widmete sich der Wendtorfer Filmemacher Oliver Boczek mit „Schlüsselerlebnis“ erneut einem „Mystery“-Stoff. Das Filmerzählen in Surrealität ist Boczek insofern schon vertraut. In „Schlüsselerlebnis“ verdichtet und transzendiert er es noch einmal.
Ein fremder Mann mit häufigem Namen Müller (Martin Friederichs), der anfangs nur ein Klingelschild tauscht, dann auch das Interieur der Wohnung, die er sich so aneignet, dass ihre eigentliche Bewohnerin (Mirjam Smejkal) am Ende ausgeschlossen ist. Boczek erzählt diese surreale Geschichte so bieder wie einen Krimi und so magisch wie Lebensidentitäten, die eben nicht identisch sind, sondern austauschbar.
Ein „Schlüsselerlebnis“ heutiger Identitäten, die sich in der Anonymität großstädtischer Siedlungen etablieren und gerade darin verletzlich, weil Legion sind. Wer bin ich? – eine Frage die sich manchmal nur durch den (nicht mehr passenden – der feindliche Übernehmer hat ganze Arbeit geleistet) Schlüssel zur eigenen Wohnung klären lässt. Was, wenn dieser Schlüssel plötzlich verschlüsselt ist?
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist nicht von Ungefähr als Menschenrecht im Grundgesetz verankert. Doch für solche Unverletzlichkeit bedarf es eines verletzlichen Subjekts, das dieses Grundrecht wahrnehmen könnte. Boczek zeigt gleich zwei, die Wohnungsbesitzerin und ihr unfreiwilliges Alter Ego, einen Mann, der ab jetzt sie ist. Identitäten vermischen, verwischen und verwandeln sich.
Aus sowas werden Filme gemacht, hier ein eindringlicher, indem er seine Verschlüsselung ebenso offen zeigt, wie er sie „geheimdienstlich“ verbirgt: In raschen Schnitten, die das geschickt aussparen, was wir uns selbst im Kopf-Kino entschlüsseln könnten, erzählt Boczek diese genauso verwirrende wie für den Selbstverlust in heutiger Gesellschaft eindeutige Geschichte.
Was wir mal waren, sind wir, die eh nicht wissen, was wir sind, auf einmal nicht mehr. Der Schlüssel zu uns selbst passt nicht mehr. Und das ist in der Tat ein „Schlüsselerlebnis“. Boczek hat es in eine kurzweilige, krimino-„logisch“ stringent erzählte Geschichte verpackt, die länger nachdenken lässt als der Kurzfilm dauert: Über das allzu Kurzlebige der selbstgezimmerten Existenz, für die wir den Schlüssel lange suchen müssen. Wo? Im Magischen. (jm)
„Schlüsselerlebnis“, D 2009, 12,5 Min., DVD, Buch, Regie: Oliver Boczek, Kamera: Mehmet Kayabas, Schnitt: Jonas Wolff, Musik: Christopher Evans Ironside, Michael Stöckemann, Darsteller: Martin Friederichs, Mirjam Schmejkal, Janos Hennicke, Jörn Siemsen, Almuth Schmidt. Gefördert von der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Hostein e.V. und dem Amt für Kultur und Weiterbildung der Landeshauptstadt Kiel.

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