Mediatage Nord 2008

Spielen erwünscht!

Computerspiele sind heute ein wesentlicher Bestandteil der Lebensrealität
von Kindern und Jugendlichen. Sie bieten neue Möglichkeiten, die eigene
Kreativität auszuleben. Man muss nur wissen wie. Einen Einblick in die
Potenziale, aber auch Schattenseiten von Computerspielen gaben die
Referenten auf der Veranstaltung „Spielen erwünscht! Computerspiele in der
pädagogischen Praxis“. Rund 60 Zuhörer verfolgten auf den Mediatagen Nord
2008 die Veranstaltung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familie,
Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein und des Offenen Kanals
Schleswig-Holstein. „Wir wollen Kinder vor sie gefährdenden Inhalten
schützen und sie befähigen ein selbstbestimmtes Leben zu führen“, erteilte
Gyde Hansen aus dem Jugendministerium denjenigen eine Absage, die sich vor
der virtuellen Welt als Teil der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen
verschließen. Wie zentral die digitalen Technologien für Kinder und
Jugendliche sind, strich Moderator Prof. Manfred Blohm von der
Fachhochschule Flensburg heraus. Er zeigte zwei Tonfiguren, die Jungen einer
4. Klasse als ihre wichtigsten Gegenstände modelliert hatten: eine
Fernbedienung und eine Spielkonsole.

„Wir dürfen Computerspiele weder unter Generalverdacht stellen, noch ihnen
Generalentlastung erteilen“, sagte Prof. Dr. Winfred Kaminski von der
Fachhochschule Köln. Kinder und Jugendliche seien durchaus in der Lage, das
„als ob“ der Spielwelt zu begreifen, ihre Fiktionalität zu erkennen.
Computerspiele seien eben in erster Linie Spiele und in dieser Hinsicht
nicht anders zu bewerten als beispielsweise Brettspiele. Spannung,
Nervenkitzel oder einfach der Wunsch, ein gutes Spiel zu machen – Prof. Dr.
Kaminski sah hier keine Unterschiede in der Motivation der Spielenden.. Er
warnte vor überzogenen Erwartungen an den Lerneffekt von Spielen für die
Lebenswelt außerhalb des Spiels. Das Spiel an sich fände in einem
geschützten Raum mit Spielregeln statt, die nur für dieses Spiel gelten, so
dass die im Spiel erworbenen Fähigkeiten zumeist nur für das Spiel nutzbar
seien.

Wie wichtig der Aspekt der Medienkompetenzvermittlung im Zusammenhang mit
Computerspielen ist, zeigten Andreas Koch und Jannis Wlachojiannis von Lost
in Space, einer Beratungsstelle für Computersüchtige in Berlin. Seit
Bestehen der Beratungsstelle im Oktober 2006 haben sie 268 Betroffene und
280 Angehörige beraten. Die größte Anzahl der bei ihnen Hilfe suchenden
spielen exzessiv Online-Rollenspiele. Zwölf Millionen Spieler weltweit
beteiligten sich beispielsweise an dem Online-Rollenspiel „World of Warcraft“,
oft in Gilden von rund 40 bis 50 Spieler. „Das erzeugt häufig einen
Gruppendruck“, so Koch. Oft würde von den Spielern erwartet, mindestens 40
Stunden in der Woche zu festgelegten Zeiten im Netz mitzuspielen. Aber auch
Computer- und Konsolenspieler nutzen die Beratungs- und Therapieangebote von
Lost in Space. Während die Computerspiel-Sucht vor allem männliche
Jugendlichen und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 25 Jahre betreffe,
seien Mädchen und junge Frauen vor allem bei der exzessiven PC-Nutzung durch
Chatten, Surfen und Einkaufen im Internet gefährdet. Bis zu 100 Stunden
brächten einige von ihnen in der Woche vor dem Rechner zu. Wichtig sei, den
Betroffenen den Kontrollierten Umgang mit dem PC zu vermitteln. „Kauft euch
eine Schreibmaschine ist keine Lösung“, erklärte Koch. Schließlich gehört
der Computer zum Lebensalltag, Abstinenz sei keine Lösung. „Oft liegt hinter
den Jugendlichen ein Weg von fünf oder zehn Jahren in die Spielsucht, das
lässt sich nicht einfach von heute auf morgen ändern“, erklärte Koch. Aber
Wege aus der Sucht ließen sich dennoch in Beratungsgesprächen,
Gruppengesprächen und mit alternativen Freizeitangeboten finden.

Welche kreativen Potenziale in Computerspielen und ihren Spielern stecken
und wie sie sich realisieren lassen, erläuterte Andreas Hedrich von der
Initiative Creative Gaming aus Hamburg, einer Gruppe aus Medienpädagogen und
Medienkünstlern. „Computerspiele haben ein hohes visuelles, physikalisches
und kreatives Potenzial. Man muss die Spiele nur neu denken“, sagte Hedrich
und verdeutlichte seinen Ansatz an einer Reihe von Beispielen. Wenn nicht
mehr das eigentliche Spielziel verfolgt werde, könnten Online-Rollenspieler
ihre Figuren anderen Betätigungen nachgehen lassen, als sie gegeneinander
kämpfen zu lassen. Sie könnten beispielsweise gemeinsam Ballett tanzen. Aus
Sicht des Medienpädagogen seien Computerspiele deshalb so interessant, weil
aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen kommen und ihnen Erzählformen
und Genres bekannt sind. Die Technik ist für Kinder und Jugendliche leicht
handhabbar, so dass schnell Ergebnisse beim kreativen Umdenken zu erzielen
seien. Schließlich bat Hedrich die Zuhörer an drei „Game Inseln“. Hier
wurden ihnen präsentiert, wie Kinder und Jugendliche innerhalb eines
fünfstündigen Workshops eigene Filme aus Computerspielen generieren können,
eigene Spiele gestalten oder Elemente aus Computerspiele in die Realität
holen und in einen neuen Kontext stellen können.

Fazit: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber Medienkompetenz ist
gefragt.

(nach einer Pressemitteilung der Mediatage Nord)

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