BLITZFILM Festival: Roter Teppich für deutsche Filme in China

Die Kieler Filmgruppe Chaos veranstalte erneut ihre BLITZFILM Festivaltournee in China (gefördert von der Filmwerkstatt Kiel). Hier ein Bericht über den regen filmischen Kulturaustausch.

In China würde man sich nicht darum scheren, was man ihnen zeige, man gehe in riesigen Schritten einen eigenen kulturellen Weg, hörten wir einen Mitarbeiter des Goethe-Instituts im Deutschlandfunk sagen.

Wir haben andere Erfahrungen machen können. Man will sich seinen eigenen Weg suchen und reagiert allergisch auf den Eindruck, bevormundet zu werden. Das heißt nicht, es gäbe kein Interesse an dem, was sich außerhalb des Landes tut. In der bildenden Kunst hat man es gelernt, sich mit dem auseinanderzusetzen, was in der weltweiten Kunstszene geschieht. Stilistisch auf der Höhe der Zeit, gleichzeitig mit einem explizit chinesischen Ausdruck, hat man Spitzenpositionen auf dem globalen Kunstmarkt eingenommen.

Im Filmbereich befindet man sich in China allerdings noch bei den ersten Schritten der Suche, wohin es gehen soll. Der Staat fördert mit großen Summen historisierende Fantasyfilme, die stark an Computerspiele erinnern. Eine unabhängige Filmszene begann sich erst in den 90er Jahren zu entwickeln. Wir haben Protagonisten dieser Szene aufgesucht und lange Interviews mit ihnen geführt. Man schert sich sehr um das, was außerhalb Chinas passiert, und lechzt nach Reaktionen auf die eigenen Werke aus der Welt, die den Chinesen bis vor wenigen Jahren verschlossen war. Wir hatten den Film „Lainer“ im Programm. Es ist eine Koproduktion der Hochschule Konrad Wolf Potsdam und der Filmhochschule Peking. Es ist eine Fake-Doku über den Berliner Hartz IV Empfänger Rainer, der sich in Eigeninitiative einen Job in einer Hemdenfabrik in Peking gesucht hat. Das Publikum nahm den Film mit weitaus größerer Begeisterung auf, als wir es für möglich gehalten hatten. Man konnte es wohl noch nicht fassen, dass der Westen sich für China interessiert und nicht nur für Olympia.

Das BLITZFILM Festival wurde von der unabhängigen Kulturszene selbst nach China geholt. Das Internet machte es möglich. Diese Szene ist kein reines Phänomen einer Untergrundkultur. Man legt großen Wert auf die eigene Unabhängigkeit, bewegt sich jedoch in einem Netzwerk an Kontakten zum offiziellen Kunstbetrieb und zu staatlichen Institutionen. So wurden wir auch weitergereicht an Hochschulen und Museen und nahmen an Treffen mit Parteifunktionären teil.

Roter Teppich für die Filmbotschafter aus Deutschland (in der Mitte: Karsten Weber) (Fotos: Karsten Weber)

Die Megacity Chongqing wurde unsere „Homebase“, Ausgangsort der Festivaltournee und erster Test unserer Programme. Unsere Veranstaltungen der letzten Jahre blieben nicht folgenlos. Im Sommer diesen Jahres organisierte man das erste unhabhängige Festival chinesischer Filme der Stadt. Die Spiel- und Dokumentarfilme drehen sich um Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen, aber im offiziellen Chinabild kaum vorkommen: Armut, Verdrängung durch Spekulanten, AIDS und Minderheiten. Auch westliche Medien haben über die spektakuläre Besetzung eines Hauses in Chongqing berichtet, das den Plänen der Investoren weichen sollte. Die Eheleute Wu wurden durch ihre Standhaftigkeit zu Volkshelden. Ihnen ist es gelungen, ein Ersatzhaus mit ebenbürtigem Marktwert zu erstreiten. Die Trutzburg, die nur über eine Strickleiter inmitten einer Baugrube zu betreten war, wurde vom Volksmund „der Nagel“ getauft. Der Nagel zierte auch das Plakat des Filmfestes. Bei dem diesjährigen BLITZFILM Festival konnten die Zuschauer ihre Erfahrungen mit Bodenspekulation und Stadtplanung mit denen in Deutschland vergleichen. „Der Häuserfilm“ aus Kiel ist dazu mit chinesischen Untertiteln versehen worden.

Unser Konzept war, den Chinesen das denkbar weiteste Spektrum an Filmen zu bieten, das man in Deutschland findet. Es reicht von Mainstreamproduktionen bis zum experimentellen Ausloten des Mediums. Bei Letzterem war unschwer zu erkennen, dass man in China noch einiges aufzuholen hat. Im Zendai MOMA in Shanghai präsentierten wir dem Publikum, das sich im Wesentlichen aus der Medienszene der kosmopolitischen Stadt zusammensetze, ein Programm mit dem Schwerpunkt künstlerischer Auseinandersetzung mit Filmsprache. Wir waren schon überrascht, dass sich ausgerechnet im Museum of Modern Art die Filmszene überfordert sah und die meisten Werke „unverständlich und zu abstrakt“ fand, wobei diese Filme in Deutschland zwischen hippen Werbefilmen und MTV kaum auffallen würden. Aber man wollte auch wissen, warum die Bilder aus dem Westen so anders aussehen, als man es in China gewohnt ist. Die anschließende Diskussion dauerte länger, als das Filmprogramm selbst. Das Publikum weiß es zu schätzen, dass das Programm von Leuten präsentiert wird, die selbst Erfahrung als Filmemacher und Kuratoren haben und auch die Fragen nach dem Wie und Warum beantworten können. So wurden wir in Suzhou an der University of Art Design & Technology für mehrere Tage verdonnert, Vorlesungen über inhaltliche und ästhetische Diskussionen sowie filmhandwerkliche Kniffe der deutschen Filmszene zu halten. Bis zu 250 Zuhörer kamen zu den Veranstaltungen, nicht nur Studenten, sondern auch Filmprofessoren aus verschiedenen Städten.

Da wir unser Publikum nicht nur fordern, sondern auch unterhalten wollen, haben wir in dem trickfilmverrückten Land einige Animationsfilme ins Programm gestreut. Im Dunkel der Vorführung erspäht man bei Zeichtentrickfilmen selbst Kunstprofessoren mit offenem Mund und glänzenden Augen.

Eine Besonderheit des BLITZFILM Festivals ist die Zusammenarbeit mit Musikern und die Arbeit mit „Clubvisuals“ als multimediale Erweiterung der Klänge. Mit Phil Conyngham haben wir einen Profimusiker in der Crew, der mit lokalen Musikern improvisiert. Auf der Bühne gesellten sich chinesische Folk- wie auch Elektronikmusiker zu dem Didgeridoo-Virtuosen, und er jammte mit einem Mundharmonikaspieler und Stepptänzer sowie mit Jazzsaxofonisten. In den Bildermix warfen wir Motive aus Deutschland und China, aus Filmgeschichte und Popkultur, auch frisch geschossene Aufnahmen von dem jeweiligen Ort. So bekamen wir Auftritte in den bekanntesten Clubs der jungen musikalischen Subkulturen. Einige nehmen für sich in Anspruch, Geburtshelfer der chinesischen Punkszene gewesen zu sein.

Jam aus Filmbildern und Klängen

In diesem Jahr stellte sich die Entscheidung für die Doku „Full Metal Village“ über das weltgrößte Heavy Metall Festival im schleswig-holsteinischen Dorf Wacken als Glücksgriff heraus. Während der Film auf dem Pusan Festival in Süd Korea nicht recht funktionieren wollte, wurde er in China stürmisch gefeiert. Es gab Lacher, Gejohle und manchmal Szenenapplaus, und am Ende wurden wir vom Publikum mit Fragen gelöchert. Man interessierte sich für die norddeutsche Landwirtschaft ebenso wie für den Gedanken, auch selbst einmal ein Rockfestival zu organisieren.

In Chengdu war der Veranstalter eine staatlich subventionierte Galerie. Dort bat man uns, mit dem Beginn des Programms doch bis zum Eintreffen des deutschen Konsuls zu warten. Die Veranstaltungsreihe in der Stadt der Pandas belegt, wie groß das Interesse an internationaler Kultur in China ist. Das chinesische Fernsehen interviewte die Festivalmacher und -besucher, und das bedeutendste Internetportal des Landes organisierte eine Diskussionsrunde mit uns.

Reges Interesse der chinesischen Medien – Karsten Weber im TV-Interview

Die Zeitung SOUTHERN METROPOLIS DAILY trat als Veranstalter des deutschen Filmfestivals in der Zehnmillionenstadt Guangzhou auf und stellte ihren Veranstaltungsraum in der obersten Etagte des Redaktionshochhauses zur Verfügung. Diese Stadt war eine Quelle vielfältigster Kontakte, wir wurden durch die Multimediaausstellung „Farewell to Post Colonialism“ im Guangdong Museum of Art geführt, lernten einen der Kuratoren des Museums von Weltruf kennen, wurden einer der Organisatorinnen des CHINA INDEPENDET FILMFESTIVAL vorgestellt und trafen uns mit Filmemachern. Untergebracht wurden wir in dem Dorf Xiao Zhou am Rand der subtropischen Metropole. Dieses Dorf ist eine Insel eines historischen China, das ansonsten von der Bauwut der Investoren niedergewalzt wurde. Dieser verwunschene Ort, dessen Gassen zu schmal für Autos sind und wo auch heute noch Holzkähne Baumaterial und Müll durch ein Labyrinth von Kanälen transportieren, ist ein Geheimtip der Kunstszene. Von den Kanalbrücken und Straßenecken scheinen die Kunststudenten mit ihren Skizzenblocks kaum wegzudenken, und die zahlreichen Familientempel beherbergen heute Ateliers oder Galerien. Auf dem Platz an einer Pier gab es eine legendäre Vorführung von „Full Metal Village“ für die traditionelle Dorfbevölkerung. Die sich in der Landwirtschaft bestens auskennenden Zuschauer wussten das befremdliche Vorgehen der norddeutschen Bauern lautstark zu kommentieren, und der Dorfvorsteher war sichtlich bemüht, den Bierkonsum der Zuschauer zu bremsen, damit sie sich nicht wie die Metal-Fans im Film aufführten. In einer Hinterhofgalerie des Dorfes veranstalte ein Galerist vor einer handverlesenen Schar Kulturschaffender ein Sonderscreening. In dem Programm mischte er seine Lieblingsfilme von BLITZFILM mit Kurzfilmen lokaler Filmemacher.

Das BLITZFILM-Plakat diente sogar als Hintergrund für Souvenir-Fotos

In Hong Kong besuchten wir Festivals, Filmwerkstätten und Kulturbüros. Man drückte uns Filme in die Hand und hofft auf Zusammenarbeit. Man wünscht sich ein deutsches Publikum für unabhängige chinesische Filme. Wir sind noch fast trunken von dem Erfolg der Veranstaltungen der Tour, von dem Interesse allerorten. Wir haben zu den bisherigen Veranstaltungsorten (Chongqing, Chengdu, Suzhou, Shanghai und Guangzhou) nun zusätzliche Einladungen aus Beijing, Hong Kong und Macao, und weitere zeigen Interesse. Einige Veranstalter wünschen sich Workshops, um den Austausch zu vertiefen.

Wir müssen jetzt realistisch bleiben und abwarten, inwieweit die Ausweitung von BLITZFILM 2009 finanzierbar ist. Es kommt darauf an, welche Kooperationspartner und Unterstützer sich gewinnen lassen. Die Redaktion „Metropolis“ bei ARTE hat jedenfalls Interesse an einem Bericht über die Indie-Filmszene in China signalisiert. Vielleicht trägt dieser Beitrag dazu bei, uns neue Türen auf dem Weg weiterer Zusammenarbeit mit China zu öffnen. (Karsten Weber)

Weitere Infos zum BLITZFILM Festival unter www.blitzfilm.de.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner