“Pilgern ist kein Händchen Halten mit Gott”
Gerald Koll über seinen Film “88 – pilgern auf japanisch”
1.300 Kilometer, 88 heilige Orte: Der “hachijuhakkasho” ist der längste und älteste Pilgerweg der Welt. Der Kieler Autor und Filmemacher Gerald Koll hat diesen “Jakobsweg hoch zwei” um die japanische Insel Shikoku abgeschritten und hatte seine Kamera dabei. Entstanden ist der Dokumentarfilm “88 – pilgern auf japanisch” (gefördert u.a. von der Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein), ein Film über das ebenso erleichternde wie beschwerliche Erlebnis der Fremde, den seltsamen Pilgerzustand namens “henro boke” – und die Frage, wie man all das abbildet.
Du konntest die Sprache nicht verstehen und die Wegweiser nicht lesen, was du in deinem Film humorvoll kolportierst. Wie kommuniziert man mit Menschen in solcher Fremde?
Wenn man nichts versteht, entsteht eine andere, sehr schöne Kommunikation: das gegenseitige Einverständnis, sich in der peinlichen Lage zu befinden, miteinander nicht sprechen zu können – und darüber gemeinsam zu lachen. Das sind sehr intime Gespräche mit dem Fremden, die ich sehr genossen habe.
Fremd, aber nicht allein: Gerald Koll vor einem der 88 Tempel (Fotos: Koll)
Ist das auch eine Folge der Entrückung, die man beim Pilgern erreicht?
Ich würde nicht von “Entrückung” sprechen wollen. Pilgern heißt – jenseits religiöser Mystik -, sich auf einen guten Weg zu begeben. Pilgern verändert die Wahrnehmung, man entschlackt, man wird körperlich und geistig leichter und sozusagen befreiter. Im Film gibt es eine Szene, wo ich mit einer Raupe tanze, eine Lächerlichkeit, die ich mir normalerweise nicht erlauben würde. Indem man sich aber mit der fremden Welt immer wieder neu verbindet, entsteht eine Leichtigkeit, die so etwas zulässt.
Ist das jener Zustand “glücklicher Leere”, den die japanischen Pilger “henro boke” nennen? Du hattest ja auch noch eine Kamera dabei. War die auch mit solcher Leichtigkeit zu bedienen?
Die japanischen Pilger nennen das gar nicht so. Den ganzen Film rätsele ich mit Pilgern über diesem Begriff, den ich in der Literatur gefunden hatte. Ich weiß auch nicht, ob “glückliche Leere” eine zu romantische Vorstellung vom Pilgern weckt. Pilgern ist kein Händchen Halten mit Gott oder Buddha, es ist Arbeit: Blasen an den Füßen, Schwitzen, Aufpassen, dass man den Weg nicht verliert. Man kann sich auf so einer Pilgerfahrt gar nicht erlauben, in meditative Leere zu fallen. Deshalb haben die japanischen Pilgerstäbe auch Glöckchen, die den Pilger immer wieder aufwecken. Und ich hatte mit der Kamera eine zwei Kilo schwere Kuhglocke um den Hals hängen, …
… die dich immer wieder ins “Wahre” zurückgeholt hat?
Und die ich wiederum ins Reale zerrte, damit sie sich nicht im Klischee verliert. Wie ich das filmte, war nicht nur eine ästhetische, auch eine ethische Frage. Sie lautet: lässt sich Pilgern in Bilder übersetzen, die sich nicht in Tempeln und Räucherstäbchen erschöpfen, sondern das Neue wagen.
Im Spiegel von “Miss Sony”
Also als Apparat authentischen Abbildens? – Man hat in deinem Film den Eindruck, dass die Pilger, dich eingeschlossen, die Kamera gar nicht bemerkten und ganz ungezwungen vor ihr agierten.
Meine Kamera – ich nenne sie: Miss Sony – und ich versuchten, uns so klein wie möglich zu machen. Deshalb ging ich allein. Ich wollte den Abstand zu den Anderen, die so eine Apparatur naturgemäß mit sich bringt, so gering wie möglich halten. Kameras schaffen Dominanz und Angst. Ich aber wirkte oft hilflos und war es ja auch. Für den Kontakt zu Japanern, denen eine gewisse Scheu eigen ist, ist das sehr förderlich. So begegneten wir uns auf Augenhöhe, statt im Ritual zu versteifen. Dazu gehört auch, dass ich selbst sichtbar werde: Das Publikum kann sehen, wer da filmt und unter welchen Bedingungen er sieht. Wer sich auf einem Weg befindet, sollte seinen Standpunkt kennen. Und ihn auch benennen.
(Interview: jm)
Kiel-Premiere in Anwesenheit des Filmemachers am Freitag, 12.12., 20.30 Uhr im KoKi. Weitere Aufführungen am 13., 14., 16., 17., 20., 21. und 23.12., jeweils 18.30 Uhr. Infos über den Film unter www.88-pilgern-auf-japanisch.de.