50. Nordische Filmtage Lübeck
Mitten drin im „Dazwischen“
Kai Zimmer: „Notizen“ – Fotografien Kaliningrad, Riga, Tallinn 1990-1993. Ausstellung während der Nordischen Filmtage Lübeck
Im Januar, Mai und September 1990 sowie im August und November 1993 reiste der damals Kieler Fotograf, Filmemacher und Videokünstler Kai Zimmer ins östliche Baltikum, namentlich Tallinn, Riga und Kaliningrad, um dort u.a. als Kameramann tätig zu sein. Mit dabei hatte er seine Kleinbildkamera, mit der er durch die Straßen der baltischen Städte zog und relativ spontan seine Eindrücke einfing: Alltagsbeobachtungen, Straßenfotografie, Architekturstudien.
Entstanden sind rund 1.500 (erhalten sind etwa 500) fotografische Notizen. Beobachtungen aus einem Gebiet des ehemaligen Ostblocks, in dem – zumindest was das noch bis zum Frühjahr 1990 zum Sperrgebiet erklärte Oblast Kaliningrad betrifft – er zu den den ersten westlichen Fotografen seit dem Ende des 2. Weltkriegs zählt, die dort Aufnahmen machen konnten. Auch in den damals erst vor wenigen Monaten unabhängig gewordenen Republiken Estland und Lettland fing Zimmer den Übergangszustand zwischen Sowjet-Ära und der neuen „Nach-Wende-Zeit“ ein. Im August 1993, den Tagen des Putsches in Moskau, erlebte er dort direkt Zeitgeschichte.
Zimmers Fotografien der „Notizen“-Reihe sind dennoch nicht dem Genre Pressefotografie zuzuschreiben. Sie zeigen den sehr persönlichen, staunenden, aber auch distanzierten Blick eines Fremden in einer anderen Welt. Zwar hat Zimmer nicht einfach nur „geknippst“, dennoch überließ er sich und seine Kamera dem spontanen Eindruck, getreu dem filmischen Motto „Gehen, Sehen, Drehen“ – fotografische Notizen, vergleichbar den Skizzen eines Malers in noch unbekanntem Terrain. Zimmer bezieht sich dabei auch auf den künstlerischen Dokumentarismus eines Walker Evans, der sich wie Zimmer in seinen „Notizen“ erklärtermaßen nicht als Fotojournalist sah.
Die Fotos zeigen sowohl die Relikte des pompösen Baustils aus der stalinistischen Ära wie den menschlichen Alltag des Mangels zwischen abblätternden Altbauten. Ein Bild einer marmornen Lenin-Statue in einem romantisch verwachsenen Vorgarten illustriert dabei eindrucksvoll den Epochen- und Paradigmenwechsel Anfang der 90er Jahre, zwischen noch gegenwärtiger Vergangenheit und schon gegenwärtig aufkeimender Zukunft. Fotografische Notizen aus einem zeitlichen wie örtlichen Niemandsland, aus dem „Dazwischen“. (jm, Fotos: Kai Zimmer)
Kai Zimmer: „Notizen“ – Fotografien Kaliningrad, Riga, Tallinn 1990-1993. Ausstellung 29.10. – 2.11.2008 in der Overbeck-Gesellschaft – Kunstverein Lübeck (Königstr. 11, Behnhausgarten, 23552 Lübeck, Tel./Fax: 0451-74760). Eröffnung: Dienstag, 28.10.2008, 19 Uhr. Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr.