57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007
Zerbrechliche Fragmente einer Jugend
„The Tracey Fragments“ (Bruce McDonald, CAN 2007)
Tracey Berkowitz (Ellen Page) ist zarte und kritische 15 Jahre alt und (über-) lebt in einem Elternhaus, das „prekär“ genug ist, ihre zerbrechliche und schwerst pubertierende Jugend noch schwieriger zu gestalten. Ihr depressiver Vater hält ihre bloße Existenz für einen „Unfall“, ihre Mutter „amüsiert“ sich tabakschwanger vorm Fernseher „zu Tode“. Und dann ist da noch ihr kleiner Bruder Sonny, den sie erfolgreich zum brav ihr nachbellenden Tamagotchi-Hündchen abgerichtet hat – anders als ihren Mitschüler Billy Zero, der in der eigenen Haltlosigkeit nichts mit ihren verliebten Annäherungsversuchen anzufangen weiß.
Schwer ist die Jugend samt erster großer Liebe schon immer gewesen, noch schwerer wird sie in der gegenwärtig zerfasernden Epoche, wo Menschen zu multimedialen Avataren ihrer selbst werden. Regisseur Bruce McDonald wählt dafür eine Bildsprache, die mit multiplen Split-Screens das Schizophrene heutiger (Jugend-) Existenzen als „Zapp-Stream“ fotografiert. Ein Frame-Rausch, dessen Highspeed so verwirrt, wie das Leben ein verwirrendes ist – aber ebenso deutlich auf die Anfänge des Split-Screens etwa in „The Thomas Crown Affair“ (Norman Jewison, USA 1968) verweist, wenn Tracey in einer explizit mit „The Tracey Affair“ betitelten Fantasiesequenz tagträumt. Das Leben erfährt Tracey nur noch als fragmentarisch unzusammenhängendes, die Split-Screen-Technik macht uns als Zuschauer genau das augenscheinlich nachvollziehbar. Wo alles mit allem vernetzt ist und also zusammenhängt, werden die spärlichen Links zum Leben zufällig, unzusammenhängend. Wo findet man noch Anker ins Leben, die nicht bloß mit dem HTML-Code „“ beginnen?
Das Leben ist eine Split-Screen-Baustelle … „The Tracey Fragments“ (Foto: Berlinale)
Zu kurz gesehen wäre es indes, McDonalds Split-Screen-Fragmentierung als medienkritische Eins-zu-Eins-Kopie der Videoclip- oder YouTube-Bilderräusche zu interpretieren. Denn McDonald, (Hand-) Kameramann Steve Cosens und vor allem die Split-Schnitt-Akrobaten (um es mit Alexander Kluge zu sagen: häufig „ratlos in der“ eigens aufgerichteten „Zirkuskuppel“) Jeremy Munce und Gareth C. Scales organisieren ihr angerichtetes Chaos dann doch immer wieder in Zusammenhänge. Nicht nur dass Tracey eindrucksvoll videoinstalliert durch gleich mehrere Frames stürzt, ein „Kniefall“, den man auch medienästhetisch als symbolischen sehen darf – sie scheint selbst ihr Leben zu „screenshotten“, so zusammenanhänglich unzusammenhängend, wie sie um Lebens-Logik ringt. Das filmische Experiment der Filmemacher wird zu dem ihrer Figur. Wenn man als Jugendliche heutzutage schon nicht mehr Mensch werden kann … Medium, medial zu werden, wäre doch noch einen Versuch wert. DSDS lässt grüßen.
Der scheitert in McDonalds Film auf ebenso ganzer Linie, wie er gelingt, indem er uns dieses Scheitern als konsequent zusammenhangs- und zusammenhaltslose Bilder- und Frame-Flut anbietet. So verzweifelt wie Tracey selbst müssen wir uns aus all dem Geraffel ein Bild von Welt zimmern, in deren Medialisierung das einfache Leben immer schwerer fällt. Und da muss man jetzt – wenn auch überflutet von Frames – mal ganz schwer loben: So den Zuschauer ins Chaos der existenzialistisch geworfenen Existenz und deren medialer Generierung einzugemeinden, schaffen nur wenige Filme. Schon gar nicht jene, die ganz konventionell – und also existenzfern – einfach auf einer (bildlich wie simpel zu rezipierenden) ungeteilten Leinwand nur eine statt der notwendig vielen Geschichten erzählen. (jm)
The Tracey Fragments, CAN 2007, 80 Min., 35 mm. Buch: Maureen Medved, Regie: Bruce McDonald, Kamera: Steve Cosens, Schnitt: Jeremy Munce, Gareth C. Scales , Darsteller: Ellen Page, Max McCabe-Lokos, Ari Cohen, Slim Twig, Julian Richings