58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Virtuelle Popstars
„Bananaz” (Ceri Levy, GB 2008)
Seit der Veröffentlichung ihrer ersten Single „Clint Eastwood“ im Mai 2001 ist die Story der Band Gorillaz eine außerordentlich erfolgreiche. Zwei Alben mit mehrfachem Platin-Status in Großbritannien und den USA und ein halbes Dutzend Singles in den Top Ten. Dazu ausverkaufte Tourneen, Grammys, Brit Awards und einen Eintrag im Guinness Book of Records als erfolgreichste virtuelle Band. Moment – virtuelle Band?
Der charismatische Sänger 2D, der diabolische Bassist Murdoc, die japanische Gitarren-Legende Noodle und Russel, Drummer und Koloss von einem Mann, sind die vier festen Mitglieder der Gorillaz. Und sie sind alle Cartoons. Geboren wurden die vier in einer inspirierten Nacht im Jahre 1998 in einer WG in Westbourne Grove in London. Die geistigen Väter sind Britpop-Ikone und Blur-Frontmann Damon Albarn sowie Jamie Hewlett, Co-Autor der „Tank Girl” Comics. Aus der Idee, eine Band in wechselnder Besetzung hinter vier Comic-Figuren „unsichtbar“ werden zu lassen, wurde schnell mehr. Nachdem die erste EP erschienen war, fragte sich der Londoner Underground, wer hinter der aufregenden Mischung aus Alternative Rock, Electro, Hip Hop und Dub Reggae stand. Vor der ersten LP machte ein Flyer mit den fiktionalen Lebensgeschichten der vier Bandmitglieder die Runde. Die fantasievolle Webseite www.gorillaz.com weckte Neugier, und Mundpropaganda tat ein übriges: „Clint Eastwood“ wurde ein Hit, und die auf die Single folgende LP „Gorillaz“ verkaufte sich sieben Millionen mal.
Anarchischer Spaß: „Bananaz“ (Foto: Berlinale)
Regisseur Ceri Levy begleitete Albarn und Hewlett über sieben Jahre mit der Kamera. Levy kannte Albarn bereits aus frühen Blur-Zeiten, drehte Dokumentationen und Videos mit den Britpoppern. Das vertraute Verhältnis öffnete ihm sämtliche Türen, das ist ein wichtiger Aspekt des Films. So sehr die beiden Macher Albarn und Hewlett sich jahrelang bemühten, die Idee der virtuellen Band aufrecht zu erhalten, so wenig musste Levy darauf Rücksicht nehmen. In „Bananaz“ geht um das kreative Team Albarn und Hewlett, die mit anarchistischem Spaß die Regeln des Business auf den Kopf stellen. Statt Albarns Starpower, Promo-Gigs und Interviews gibt es schräge Comic-Video-Clips, und die virtuellen „Kong Studios“ im World Wide Web. „Bananaz“ atmet die kindliche Energie, die zwei Lausbuben entwickeln, wenn sie mit ihrem neuen Chemiekasten endlich Rauchbomben basteln können. Die Fans stiegen drauf ein und stehen bei den wenigen Live-Konzerten der Gorillaz artig vor der Leinwand und schauen Zeichentrick, während dahinter Damon Albarn mit Live-Band musikalisch zur Sache geht.
Man ahnt, dass die Idee einer virtuellen Band für Albarn ein Befreiungsschlag nach 10 Jahren wildem Ritt auf der Britpop-Welle mit Blur war. Nach den Schlammschlachten mit den Gallagher-Brüdern, Heroin-Sucht und Entzug sowie Trennung von Elastica-Frontfrau Justine Frischman konnte Albarn schlicht hinter den Zeichnungen seines Freundes Jamie Hewlett verschwinden. Hewlett hält die Mannschaft von Zeichner und Programmierern am Rotieren, ausgelassen wie ein frisch verliebter Derwisch mit Pisspotschnitt tobt derweil Albarn mit der Klarinette oder der kleinen Tochter durchs Studio. Der Film dokumentiert auch die Freiheit, die der Musiker Albarn ohne festes Bandgefüge und ohne den Zwang der persönlichen Präsentation genießt. Musiker unterschiedlichster Stilrichtungen kollaborieren, von Buena-Vista-Social-Club-Legenede Ibrahim Ferrer bis zu den Hip Hoppern von De La Soul. Man sieht es in „Bananaz“ und hört es den Songs der Gorillaz an, mit welcher Freude die musikalischen Genre-Grenzen gebrochen werden. Bald jeder Song hat einen anderen Stil, doch Albarns Stimme, Hewletts grafische Ideen und die Unberechenbarkeit der Gorillaz tragen das Konzept der virtuellen Band.
„Bananaz“ bleibt nicht nur nahe an den Machern hinter der grandiosen Gorillaz-Idee, er hält auch ihr irres Tempo und vermittelt dadurch Stress, Spaß und Wahnsinn in der Kreativschmiede Albarn/Hewlett. Ceri Levys Film macht außerdem Lust auf die Musik und Videos der Gorillaz. Und darum geht es 2D, Murdoc, Noodle und Russel: Anarchischer Spaß an Sound und Vision und einem kleinen, aber feinen Tritt in den fetten Hintern des tradierten Pop-Business. (dakro)
Bananaz, GB 2008, 92 Min., 35 mm, Buch, Kamera, Regie: Ceri Levy, Schnitt: Seb Monk, mit den Gorillaz, Damon Albarn, Jamie Hewlett, Dennis Hopper, Ibrahim Ferrer, De La Soul u.a.