58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
TV-Helden mit Happy End
„Die Helden aus der Nachbarschaft“ (Jovan Arsenic, D 2008)
Wie macht man aus einem Episodenfilm etwas, wo alle Figuren mit allen Figuren zusammenhängen? Zum Beispiel aus Robert Altmans „Short Cuts“ (1993) wissen wir das eigentlich längst, Jovan Arsenic versucht es allerdings erneut und hat dafür auch gleich ein Konzept parat: Im Mai 2007 gründete er eigens eine Filmfirma namens „Helden Film“, Ziel: „ein neues, unabhängiges, heldenhaftes Kino zu machen.“ „Die Helden aus der Nachbarschaft“ sind die erste Low-Budget-Produktion von „Helden Film“.
Das Drehbuch sei „so aus ihm herausgeflossen“, sagt Arsenic, trotz der „sehr konstruierten Geschichte“. Ganz genau, sehr konstruiert – aber schön erzählt, nach allen Regeln der Kunst und mit dem ganz und gar unwahrscheinlichen – aber was interessiert im Kino Wahrscheinlichkeit? – Happy End quer durch die Bank der sechs Protagonisten. Versuchen wir mal, das in wenigen Sätzen nachzuerzählen.
Erika (Nina Hoger) ist Moderatorin einer TV-Show namens „Die Helden aus der Nachbarschaft“. Für die hat sie sich die schüchterne und chronisch unbemannte Bäckerin Rosine (wunderbar berlinernd: Eva Löbau) ausgesucht, weil Rosine und ihr Vater einst den größten Pfannkuchen der Welt gebacken haben. Doch Rosine sagt ihr ab, weil sie es „einfach nicht gebacken kriegt“. Da sieht Erika im Nachbarfenster, wie Attila (Marc Zwinz) in ein Glas beißt. Erika vermutet Selbstmordabsicht und eilt zur Hilfe – und hat ihren nächten Showgast. Denn Feuerwehrmann Attila ist zwar gerade seine Freundin Sabine (Myriam Schröder) abgehauen, aber das mit dem Gläser Essen ist seine Besonderheit seit Kindertagen. Er hat eine besonders ätzende Magensäure, die ihn selbst Metall verdauen lässt. Perfektes Futter für Erikas TV-Show. In der fleht Attila Sabine an, zurück zu kommen. Sabine indes hat ein Verhältnis mit Erikas Ehemann Ulf (Christopher Buchholz), der – übrigens wie Arsenic – Psychologe ist. Bei ihm in Behandlung ist Rosine, die sich wiederum in Attila verguckt hat, der, nun wieder Single, ihre Avancen durchaus erwidert – ganz großes Kino, wie sich die beiden in der Pfanne für den größten Pfannkuchen aller Zeiten näher kommen.
Tête à tête in der Pfannkuchenpfanne: Eva Löbau und Marc Zwinz (Foto: Berlinale)
Bis die TV-Show-süchtige Rosine ihn in Erikas Helden-Show entdeckt und so erfährt, dass er eigentlich eine andere liebt. Rosine will sich aus dem Fenster stürzen, wovon sie ihr herbei geeilter Therapeut Ulf nicht abhalten kann. Sie springt – direkt ins Sprungtuch der Feuerwehr und in die Arme ihres Attilas. Dann ist da noch Erikas und Ulfs pubertierender Sohn Niko (Josef Mattes), der es fast zum Sex mit Sabine schafft, der er nachstellt, nachdem er sie im Nachbarfenster bespannt hat. Blöd nur, dass er Sabine in eindeutiger Situation mit seinem Vater Ulf erwischt. Letzterer wiederum, wissend um das drohende Scheitern seiner Ehe mit Erika, chattet im Netz mit einer gewissen „Sushi“, wo nicht nur Worte, sondern auch Intimitäten ausgetauscht werden. Beim ersten Treffen im real Life – das ist dem allseitigen Happy End förderlich – erscheint Erika, denn sie war „Sushi“ …
Jaja, reichlich konstruiert. Und man möchte fast meinen, dass Arsenic diese Story selber nicht ganz ernst nimmt. Schließlich gesteht er im „Director’s Statement“, dass er solche Figuren und Konstellationen direkt den TV-Talkshows mit „Helden aus der Nachbarschaft“ entnommen hat. Die dort erzählten Mocumentarys sind so schräg, dass sie unbedingt für einen Film taugen. Arsenic ironisiert nicht zuletzt das TV-Show-Bizz, indem er ihm seine Figuren direkt abschaut. Und wie gesagt: So unwahrscheinlich solche Verstrickungen scheinen mögen, sie sind TV-Realität, also Märchen, also perfekt für eine Tragikomödie. Dass der Plot absurd ist, mag man Arsenic ankreiden. Doch er ist so absurd, dass er schon wieder gut ist. Zumal Arsenic ihn im Kiez des Prenzlauer Bergs in Berlin ansiedelt – dort wo die „Ureinwohner“ auf die zugezogenen Yuppies treffen, wo also Geschichten gemacht werden.
Indem auch das Happy End dermaßen überkonstruiert ist, ist es ebenso wieder einfach gut. Eine Soap Opera als Spielfilm. Eine Vorabendserie als dann doch dem Betrieb ungemein widerständige Komödie. Das macht Spaß. Vor allem wegen der spielfreudigen Meisterleistungen der Darsteller, ganz besonders Eva Löbau. Sowas wollen wir sehen, vielleicht nicht unbedingt im Kino, aber als TV zur Prime Time wäre Arsenics Nachbarschaftshilfe für verhinderte Helden das erste Extra des Tages. (gls)
Die Helden aus der Nachbarschaft, Deutschland 2008, 90 Min., HD. Buch, Regie: Jovan Arsenic, Kamera: Matthias Schellenberg, Schnitt: Nikolai Hartmann, Darsteller: Eva Löbau, Marc Zwinz, Nina Hoger, Christopher Buchholz, Josef Mattes, Myriam Schröder