58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Seltene Menschen, seltsame Märchen

Berlinale Shorts 1: „RGB XYZ“, „Haze“, „Mompelaar“, „Traces“, „Frankie“

Der junge (Jahrgang 1985) irische Animationsfilmer David O’Reilly liefert die Legende zu seinem Pixelabenteuer „RGB XYZ“ gleich mit: Ein Gärtner habe eine alte Festplatte ausgegraben und sie sofort an den Filmemacher weitergeleitet … So sieht’s tatsächlich aus: 4-Bit-RGB-Farben, polygone Figuren aus der Frühzeit der Spielekonsolen und Computerstimmen aus der Konserve der 80er, lange bevor es Sampling gab. Ähnlich archaisch ist die Geschichte, die sich seltsamerweise aus den zuckenden 3D-Grafiken (eigentlich eher 2,5D) ergibt. Sie scheint sowohl dem Märchen als auch saurierhaften Klick-and-Run-Spielen entnommen. Ein Männchen bricht auf, die Welt zu entdecken. Es irrt durch Techno-Discos, trifft auf Zauberer und Indoktrinatoren, die es schließlich mit dem Pixelschwert niederstreckt, um zur Belohnung von einem Fröschlein (8 x 8 Pixel) den Weg nachhause gewiesen zu bekommen. Das Erstaunliche an dieser Computerspielerei ist, mit wie wenig bildnerischen und Bewegungsmitteln man eine Geschichte erzählen kann. Manches bleibt anekdotisch, aber doch scheint auch in die pixel-geschredderten Weltchen mit den drei Richtungen X, Y und Z der Ernst des Lebens.

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3 Richtungen, 16 Farben, eine Geschichte: „RGB XYZ“ (Foto: Berlinale)

Der liegt zwei Teenagern im überhitzten und Smog-geplagten Singapur fern. In „Haze / Dunst“ inszeniert Anthony Chen (sein Kurzfilm „Ah Ma“ wurde 2007 als erster Film aus Singapur überhaupt in Cannes ausgezeichnet) sein Figurenpaar (Ee Seng Quek, Mei Jun Tan) in einer vom Dunst aus Sommer und Sex weichgezeichneten Teenagerhölle. Die zwei schwänzen die Schule, glotzen TV, nagen am Fastfood und machen schließlich Liebe – das heißt Sex und das eher aus Langeweile. Die Frage nach der ewigen Liebe, die das Mädchen am Ende ihrem Lover für einen schwülen Tag stellt, lässt sich natürlich nicht beantworten. Nicht nur, weil die beiden zu jung sind, sondern weil die Beziehungen in urbanisierten Welten nur noch kurze Lichter im Dunst sein können. Gleichwohl spielt Chen elegant mit den Klischees sowohl der romantischen Liebe als auch dem von No-Future-Jugendlichen. Dabei gelingt ihm auch, die Sex-Szene durchaus drastisch und dennoch ganz ohne Sensationen darzustellen – eben nicht nur lebendig, sondern auch lebensnah.

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Schwüler Realismus: Ee Seng Quek und Mei Jun Tan in „Haze“ (Foto: Berlinale)

Der dokumentarische Gestus (verbunden mit der dafür obligatorischen, aber auch hier recht wenig motivierten Wackel-Kamera) in Darren Thorntons „Frankie“ zeigt auch ein Jugendschicksal. Der 15-jährige Frankie (Ryan Andrews) stammt aus der so genannten Unterschicht, die familiären Verhältnisse sind verworren und demnächst wird er auch noch Vater. Wenn ihm – außer Klauereien – auch sonst wenig gelingt und er von den Jungs aus seinem Kiez gehänselt wird, jetzt will er’s wissen und ein vorbildlicher Vater werden. Er übt mit einem Kinderwagen, in dem eine plärrende Puppe sitzt, für das Kommende. Das hat einerseits etwas Rührendes, auch Romantisches, andererseits spricht die Szenerie eine andere Sprache. In frostig gedimmtes Blau taucht Thornton die Vorstadtsiedlung, durch die Frankie sein zukünftiges Baby schiebt. Eine stählerne Welt, die für zärtliche Vaterfreuden imgrunde keinen Platz hat.

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Übt für das wirkliche Leben: Ryan Andrews in „Frankie“ (Foto: Berlinale)

Das Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen ist stets ein schöner Filmstoff, weil es oft ein schwieriges Verhältnis ist. Für Sydney Kessler (Alan Feinstein) ist noch heile Welt, als er sich am Flughafen von seinem Sohn Julian (Zack Graham) verabschiedet. Doch der verunglückt tödlich unter zunächst mysteriös erscheinenden Umständen. Der Vater begibt sich auf Spurensuche und muss entdecken, dass Julian offenbar schon seit Jahren eine geheim gehaltene homosexuelle Beziehung lebte – auf dem Leichentisch findet ihn der Vater in Frauenkleidern. Dem Gatten seines Sohns (John Antonini) macht er erst die üblichen homophoben Vorwürfe. Doch die Vorurteile sind auf beiden Seiten. Weder ist Julians Freund der typische Schwule, noch ist Sydney so gefangen in bürgerlichen Lebensbildern, wie es zunächst scheint. Die „Traces / Spuren“ deuten sich in Rachel Zissers Kurzfilm nur an – ein typischer Fall eines Kurzfilms als Vorstudie für einen Langfilm. Den würde man gerne sehen, auch wegen der einfühlsamen Bilder, die sowohl das Kino des amerikanischen Traums zitieren wie sie ganz französisch tragödisch wirken.

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Bestürzende Entdeckung auf dem Totenbett:
Zack Graham in „Traces“ (Foto: Berlinale)

Apropos französisch, genauer flämische Maler. Die surrealen Bilder in „Mompelaar / Der Murmelnde“ von Marc Roels und Wim Reygaert erinnern einerseits an Marco Caros und Jean-Pierre Jeunets „Delicatessen“ (1991) als auch an Breughels und Boschs malerische Bestiarien. Der geistig behinderte Lubbert (Serge Buyse), nur einer murmelnd singenden Sprache mächtig, flieht in eine von Mord und Totschlag geprägte Fantasiewelt. Der Teufel begegnet ihm leibhaftig, liegt aber plötzlich mit abgetrenntem Medusenhaupt in seinem Blut. Lubbert begegnet diesen Horrorvisionen mit kindlicher Gleichmut – bis sich eine Gruppe seltsamer Untoter in seiner Garage einfindet … Das Regisseur-Duo inszeniert diese Visionen mit einer gehörigen Portion Ironie. Der Horror kippt immer wieder in die Nerd-Komödie. Als durchaus ironisch darf man auch die musikalische Untermalung hören: der dumpf pumpende zweite Satz aus Beethovens 7. Sinfonie in fast voller Spiellänge und dann auch noch Mozarts Requiem. Hier wird ganz bewusst dick aufgetragen, um doch eine ganz feinsinnig flirrende Geschichte zu erzählen. Eine Meisterleistung, dass das in bloß 22 Minuten gelingt. (jm)

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Murmelnde Malerfantasien: Serge Buyse in „Mompelaar“ (Foto: Berlinale)

RGB XYZ, Irland 2008, 13 Min., DigiBeta, R: David O’Reilly

Haze / Dunst, Singapur 2007, 14 Min., 35mm, R: Anthony Chen, D: Ee Seng Quek, Mei Jun Tan

Mompelaar / Der Murmelnde, Belgien 2007, 22 Min., DigiBeta, R: Marc Roels, Wim Reygaert, D: Serge Buyse, Gunter Lamoot, Piet De Praitere

Traces / Spuren, USA 2007, 19 Min., 35mm Cinemascope, R: Rachel Zisser, D: Alan Feinstein, Zack Graham, John Antonini

Frankie, Irland 2007, 12 Min., 35mm, R: Darren Thornton, D: Ryan Andrews

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