58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Selten echte Atmosphäre, dafür aber überkonstruiert
„Kirschblüten – Hanami“ (Doris Dörrie, D 2007/2008)
Ich war so gespannt auf den schon mit erheblichen Vorschlusslorbeeren bedachten neuen Film von Doris Dörrie „Kirschblüten – Hanami“ (Bayrischer Filmpreis), dass ich glatt vergessen hatte, dass seine Regisseurin nie eine große Spielfilmregisseurin gewesen ist. Um es gleich vorweg zu sagen, auch der neue Film ist kein großer oder großartiger geworden, auch wenn es zur Premiere etliche mit der Filmemacherin solidarische Claqueure im Berlinalepalast gab. Zu sehr erscheint die ganze Geschichte konstruiert, zu wenig bzw. zu selten kommt echte, dichte Atmosphäre, gar Trauer über den Tod auf, um den es ja hier neben der Liebe hauptsächlich geht, zu wenig gelingt der initiatorische Bogen, den Film eindringlich zusammenzuhalten. Doris Dörrie hat vor zehn Jahren nach dem Tod ihres Ehemannes eine beeindruckende essayistische Dokumentation über den Tod und unseren Umgang mit ihm unter dem Titel „… augenblicke …“ fürs Fernsehen gemacht. Man hätte sich gewünscht, sie hätte die Ideen und die Regiemittel gefunden, ihre damals so tief berührenden Gedanken über die Flüchtigkeit des Lebens und das oft unerwartete Ereignis des Todes eines geliebten Menschen glaubhafter in einen Spielfilm umsetzen zu können.
Zu Beginn des Filmes wird die ca. 60jährige Trudi (Hannelore Elsner) bei einer ärztlichen Konsultation von der Nachricht überrascht, dass ihr geliebter Ehemann Rudi (Elmar Wepper) bald an Krebs sterben werde. Da die Symptome nicht offen zu Tage träten würden, bliebe es ihr überlassen, ob und wann sie ihm die Wahrheit über seinen gesundheitlichen Zustand erzählte. Sie solle doch vielleicht noch eine Reise mit ihm machen, ein kleines Abenteuer erleben, raten ihr die Ärzte. „Mein Mann mag keine Abenteuer“, sagt Trudi lakonisch und führt dann den Zuschauer in ihr rührendes Miteinander mit dem Müllentsorgungsbürokraten Rudi ein. Trautes Heim in ländlicher Idylle: ihre Strickjacke, seine Filzpantoffeln – Requisiten einer fürsorgliche Liebe, wie sie zärtlicher nicht sein könnte. Hier scheint der Film zu stimmen. Unaufgeregte Sympathien, eine weibliche Liebeserklärung in der Off-Erzählung einer Ehefrau, die sich ein Leben und ein Erleben ihrer Träume ohne ihren Mann nicht vorstellen kann. Doch sollen wir der altersgeschminkten und zart eingegrauten Hannelore Elsner dann wirklich abnehmen, dass sie zeitlebens von einer Karriere als japanische Ausdrucktänzerin (Butohtänzerin) und vom Fujiyama geträumt hat und auf selbiges verzichtete wegen ihres störrischen, trockenen Ehemannes, der kaum einmal von daheim weg möchte und das ewig Gleiche liebt. Fritz Wepper nimmt man seine trockene Verstaubheit durchaus ab, doch wohl kaum, dass er später nach dem überraschenden Tod seiner Frau auf seiner anschließenden Japanreise quasi als versteckter Transvestit unter seinem Mantel die Kleider seiner Frau ausführt und diesen stellvertretend für Trudi die japanische Kirschblüte zeigt. Zu konstruiert kommt nicht nur hier die Geschichte daher, zu stark verlieren sich dann die einfachen Erzählungsmotive im übertriebenen Zuviel.
Zu viel des Guten: Hannelore Elsner und Elmar Wepper in „Kirschblüten – Hanami“ (Foto: Berlinale)
Trudi erzählt Rudi nichts von dessen Krebskrankheit im Endstadium, kann ihn nicht dazu überreden, gemeinsam ihren Lieblingssohn in Japan zu besuchen. Stattdessen reisen sie zu ihren beiden anderen schon erwachsenen Kindern nach Berlin. Auch hier wieder ein Übermaß eines Motivs, so dass das Geschilderte fast unglaubwürdig wirkt: Die Kinder haben eigentlich nie Zeit für ihre Eltern und sind ihrer überdrüssig. Und dann stirbt nicht der Mann, sondern überraschend die Frau, auf der zweiten Station ihrer Reise an der Ostsee. Gute Filmidee oder Überkonstrukt? – Aber die Geschichte muss ja weitergehen. Und so macht sich dann der Witwer auf eine Trauerreise nach Japan auf, um damit sich und seiner Frau in stellvertretender Erfüllung ihrer heimlichen Sehnsüchte quasi post mortem auf ewiglich näher zu kommen.
Eigentlich eine rührende Idee, wenn nicht da so oft wieder das Übertreibende wäre, das den Film mit Klischees und Kitsch befrachtet. Noch ganz nachvollziehbar die irrenden Erforschungen des alten Mannes in der japanischen Großstadthektik mit all ihrer lärmenden Unüberschaubarkeit und Fremdheit. Doch dann die japanische Kirschblüte und Rudis merkwürdige Begegnung mit einer jungen obdachlosen Butohtänzerin (Aya Irizuki). Rosa hoch drei: Blütenrosa, Kostümrosa, Requisitenrosa. Und die so berühmte (symbolisch begriffene) Flüchtigkeit der Kirschblüte wird auf eine filmische Ewigkeit zerdehnt. Kaum noch zu ertragen. Genauso wie Rudis barscher, unmöglicher Sohn (Maximilian Brückner), der seinem Vater notgedrungen Quartier gewährt und ihn am liebsten den ganzen Tag in seiner engen Hochhauswohnung einsperren möchte. Übertriebener geht es nun wirklich nicht mehr, wo dem Zuschauer schon die beiden Kinder Rudis in Berlin absolut „auf den Wecker“ gegangen sind. Auch Rudis Tod am Fujiyama im Morgengrauen lässt den Zuschauer eher ratlos zurück. Wieder eine schöne Idee, aber dürftig umgesetzt. Und man nimmt der hier geisterhaft Rudi erscheinenden Trudi ihren finalen Ausdruckstanz mit ihrem Geliebten nicht wirklich ab. So wirkt der ganze Film nur in kurzen Passagen für wenige Minuten echt und erstickt über weite Strecken eher am überkonstruierten Geschehen und an einer lauen Inszenierung. Schade, aber bei Lichte besehen nicht unbedingt überraschend. (Helmut Schulzeck)
„Kirschblüten – Hanami“, Deutschland 2007/2008, 122 Min., HD, Blow-up 35mm, Regie und Buch: Doris Dörrie, Kamera: Hanno Lentz, Schnitt: Inez Regnier und Frank Müller, Darsteller: Hannelore Elsner, Elmar Wepper, Nadja Uhl, Maximilian Brückner, Aya Irizuki