58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Schuld ohne Rache
„Revanche“ (Götz Spielman, Ö 2008)
Anfangs sieht es aus, als würde der österreichische Spielfilm „Revanche“ von Götz Spielman (Buch und Regie) aus einem tristen Wiener Halbweltmilieu seine Geschichte schöpfen wollen. Doch schon relativ bald, nach rund einem Drittel des 121-minütigen Films über Schuld und Rache – oder, man kann auch sagen, über das Scheitern von Träumen oder Illusionen und das Weiterleben danach – geht die Handlung hinaus aufs Land. Was bei aller grauen Verzweiflung, die hier eingefangen wird, doch wohltuend ist. Zu schmierig, ja unerträglich ist das Bordellleben auch für den Zuschauer, das zu Beginn in seiner Erbarmungslosigkeit die Folie für den Befreiungsversuch von Alex und Tamara abgibt.
Der vorbestrafte Alex (Johannes Krisch) arbeitet als Handlanger für den Bordellchef Konecny (Hanno Pöschl) und unterhält eine heimliche Liebesbeziehung zu der Ukrainerin Tamara (Irina Potapenko), einer Prostituierten aus Konecnys muffeligem Puff. Konecny hat ein sehr persönliches und geschäftliches Interesse an Tamara, möchte sie in einem besonderen Etablissement an Vorzugskunden aus der Wiener Oberschicht verkuppeln und sich nebenbei auch persönlich mit ihr „verlustieren“. Als Tamara das ablehnt, wird sie von einem Freund des Bordellbesitzers brutal misshandelt. Alex flieht mit Tamara und erhofft sich, das notwenige Kapital für ihre nähere Zukunft durch einen „einfachen“ Banküberfall auf eine Kleinstadt-Bank in der Provinz sichern zu können.
Keine Chance auf ein neues Leben: Johannes Krisch und Ursula Strauss in „Revanche“ (Foto: lukasbeck.com)
Der Banküberfall scheint glatt zu laufen. Doch als der fliehende Alex zu seinem Auto kommt, trifft er dort auf einen Polizisten. Dieser hat Tamara, die Alex eigentlich gar nicht zum Überfall mitnehmen wollte, in ein Gespräch verwickelt. Dennoch scheint Alex mit Tamara die Flucht zu gelingen. Doch der Polizist Robert (Andreas Lust) schießt dem Fluchtauto hinterher und tötet versehentlich Tamara. Hier trifft die Geschichte der letztlich vergeblichen Liebe von Alex und Tamara auf die Geschichte von Robert und seiner Frau Susanne (Ursula Strauss). Deren Welt, so anders als die von Alex und seiner Freundin, so kleinbürgerlich und oberflächlich heil, ist schon vorher, parallel zu der Wiener Geschichte, in den Film eingefügt worden. Ihre Ehe ist eher nur noch Fassade, was den „Partnern“ nur teilweise bewusst wird. Robert als eifriger Landpolizist ohne großartige Perspektiven, Susanne als adrette, liebenswürdige Hausfrau in ihrem schicken Bungalow am Waldesrand, dessen Hypotheken beide ihr Leben lang noch abstottern werden. Ohne viele Worte wird die leis’ traurige Geschichte einer ehelichen Entfremdung entworfen, deren Ursache auch in der Kinderlosigkeit von Susanne und Robert zu finden ist.
So prallen unvermutet zwei Welten aufeinander. Der fliehende Alex lässt seine tote Freundin im Wald zurück und verkriecht sich in wütender Verzweiflung, Selbsthass und Hass auf den Polizisten bei seinem Großvater, der ganz in der Nähe einen heruntergekommenen Hof bewirtschaftet. Susanne besucht den verwitweten Großvater regelmäßig und lernt so Alex kennen. Dieser erfährt so Namen und Lebensverhältnisse des Todesschützen und sinnt auf Rache. Als er dann eine eher lieblose sexuelle Beziehung mit der frustrierten, sich nach menschlicher Wärme sehnenden Susanne anfängt und gleichzeitig eifrig ihren Mann Robert ausspioniert, baut sich eine eigenartige Spannung im Film auf. Alex’ Sinnen nach Rache steht dem zögerlichen und dennoch unanwendbaren Begreifen von eigener Verantwortung für den Tod seiner Freundin gegenüber – zumal er erkennen muss, dass Robert an dem unbeabsichtigten Todesschuss fast zerbricht.
Sprachlosigkeit und Ohnmacht gehen Hand in Hand in diesem Film. Er wirkt ein wenig spröde, und die Geschehnisse kommen unabwendbar, aber auch beiläufig daher, was nicht heißt, dass die Hauptpersonen nicht eindringlich beleuchtet werden. Keine große Melodramatik, sondern eine eher einfache, alltägliche Tragik begleitet die Figuren. Der Tod gehört hier unabwendbar zum Geschehen wie auch die schmerzlichen Einsichten in die eigene Schuld. Die Hauptpersonen sind auf der Suche nach sich selbst, mit nur teilweiser Aussicht auf Erfolg. Zumindest hält Spielmanns sehenswerter Film mit seinem behutsam angedeuteten versöhnlichen Schluss doch so etwas wie eine Hoffnung parat. (Helmut Schulzeck)
Revanche, Österreich 2008, 121 Min., 35mm, Buch und Regie: Götz Spielmann, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: Karina Ressler, Darsteller: Johannes Krisch, Irina Potapenko, Andreas Lust, Ursula Strauss, Hannes Thanheiser, Hanno Pöschl