57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007
Scheidewege des Scheiterns
„Autopiloten“ (Bastian Günther, D 2007)
Für 106 Minuten Film braucht man eine tragfähige, um nicht zu sagen nachhaltige Geschichte, so steht es wenigstens in den Lehrbüchern. Nur leider: das Leben ist nicht so, wie es Drehbuch-Vademecums verordnen, hat keine „Plot Points“, sondern fließt so gleichförmig sensationslos und eigentlich nicht erzählenswert vor sich hin wie der Verkehr auf Deutschlands Autobahnen.
Bastian Günther, 2006 für seine dffb-Abschlussarbeit „Ende einer Strecke“ mit dem First Steps Award ausgezeichnet, verzichtet in seinem Langfilm-Debut daher aus gutem Grund auf die den großen Bogen spannende Geschichte. „Autopiloten“ ist ein Episodenfilm, der statt einer vier Geschichten erzählt, die sich – recht konstruiert – ab und an berühren, kreuzen, interferieren. Abgesehen davon, dass das für einen Erstling im Haifischteich des großen Kinos eine weise Entscheidung für ein „Weniger ist mehr“ ist, spiegelt es ja vielleicht auch treffend das Leben, das eben nicht aus großen Geschichten besteht, sondern aus den kleinen alltäglichen des Scheiterns. Zusammenhang in zeitgeistig zerfasernden Biografien schafft da umso schöner, weil schnöder das dichte Straßennetz im Ruhrpott.
Günthers vier (Anti-) Helden sind ständig unterwegs ohne anzukommen. Ihre Autofahrten auf des Ruhrpotts eng vernetzten Straßen machen ein (gefühltes) Viertel der 106 Minuten aus. Insofern ist „Autopiloten“ auch ein Road-Movie, wenngleich es das Genre ironisch spiegelt, denn die Figuren kommen trotz Autobahngeschwindigkeit auf einleuchtende Weise nicht vom Fleck. Ihr Leben ist auf Autopilot gestellt und der fliegt bekanntlich manchmal in der Warteschleife.
Jörg (Charly Hübner) ist reisender Vertreter für Badewannen-Lifte, doch die Geschäfte gehen schlecht, weil die geriatrischen Kunden tendenziell wegsterben. Manche heimliche Liebschaft findet sich entlang seiner Routen, doch die Liebe wie die Geborgenheit ist auch hier von vorzeitigem Ableben gezeichnet. Er sucht Trost und Bestätigung in disco-kugeligen Abenteuern, findet aber beides nicht.
Kann man im Nirgendwo von Autobahn-Raststätten ans Leben anbandeln? Jörg (Charly Hübner) versucht’s … auf Autopilot … (Foto: Alex Trebus, Copyright: Lichtblick Film)
Dieter (Wolfram Koch) ist als frei scheiternder TV-Journalist ständig auf der Suche nach Sensationen. Doch die sind rar und provinziell selbst zwischen unfallträchtigen Autobahnkreuzen. Sein ständig auf dem Sprung Sein hat ihn die Ehe gekostet und auch sein Filius hat für Papas Pseudo-Abenteuer nur wenig übrig. Ein kleiner Coup gelingt Dieter doch, als er die einzigen TV-Bilder des verschollenen Schalke-Trainers Georg Brandner (Walter Kreye) auf einer Autobahn-Raststätte schießt. Der steht nach allerlei fußballerischen Misserfolgen auf der Abschussliste und flieht beim alles entscheidenden Pokalspiel aus dem Stadion. Doch wie dort bietet ihm auch die vernachlässigte Familie längst kein Heimspiel mehr. Und dann ist da noch Heinz (Manfred Zapatka), ein Schlagerstar, dessen Bühnentage längst gezählt sind. Er tingelt von Supermarkt- bis Sparkassenjubiläum, um seine verschossenen Lieder vor alterndem Publikum zum Schlechten zu geben. Dass er dabei auf Rita (Susanne-Marie Wrage), Dieters Ex, für einen melancholischen One Night Stand trifft, reißt’s auch nicht raus, verknüpft aber die Episoden.
Die Figuren bleiben in Günthers zuweilen fast dokumentarisch inszeniertem Film (beeindruckend eine Handkamera-Sequenz, wie Georg durch die Treppenhaus-Labyrinthe des Stadions enteilt) buchstäblich auf der Strecke, in einem transitorischen Nirgendwo ohne wirklichen Aufbruch und vor allem ohne Ankommen. Ein Lebensgefühl teilt sich da mit, das mancher Zuschauer teilen dürfte. Jeder Scheideweg ist einer zum erneuten Scheitern. Das Erzählen in Episoden erweist sich dabei geradezu als Analyse, wie Existenzen heutzutage scheitern, „without a bang and no whimper“ … Das Leben ist keine Geschichte, es ist wie die Autobahn, auf der man die richtige Abfahrt verpasst. Und was wäre schon die richtige? Ein feiner Film, der gerade in seiner Sprödigkeit nah am Wirklichen ist und also folgerichtig fern vom Kino. (jm)
Autopiloten, D 2007, 106 Min., DigiBeta. Buch, Regie: Bastian Günther, Kamera: Michael Kotschi, Schnitt: Olaf Tischbier, Darsteller: Charly Hübner, Wolfram Koch, Walter Kreye, Manfred Zapatka