49. Nordische Filmtage Lübeck
Reflektorische Erregung
20. Filmforum Schleswig-Holstein bei den 49. Nordischen Filmtagen Lübeck
„Giv di de reflektorische Erregung hin!“ – auf einem verlassenen Schiff im Hamburger Hafen spielen sich mysteriöse Vorgänge ab. Eine Dokumentarfilmerin ist in den Bann eines Matrosengeheimkultes geraten, ein Residium des Marineapparats der Komintern, der sie als Medium zur Kontaktaufnahme zu den Geister-Kadern benutzt. Sie oszilliert zwischen Alltagswelt und einer traumhaft-wilden Geisterwelt: In „Hölle Hamburg“, neuester abendfüllender Film von Peter Ott und Ted Gaier verschmelzen dokumentarische Realität und verschiedene fiktionale Genres zwischen Krimi und Horror. Die Produktion des Abbildunszentrum Entertainment ist zu sehen bei den diesjährigen 49. Nordischen Filmtagen Lübeck, im Rahmen des Filmforums Schleswig-Holstein.
Sich reflektorischer Erregung hinzugeben, könnte auch Losung sein für das diesjährige Programm des Filmforums, das sich im Jahr seines 20. Jubiläums mit selbstbewusst ernsthaften Themen, aber ebenso grotesken Komödien präsentiert. Abschiede und Neuanfänge, Enden und Fluchten spielen als Themenbereiche dabei eine besondere Rolle. Mit „Auf dem Weg zu den Engeln“ von Holger Vogt wird das Filmforum am Mittwoch, 31.10. um 16.45 Uhr starten. Die NDR-Produktion stellt das Kinderhospiz Sternenbrücke in Hamburg vor und beschreibt die herausragende Leistung, die dort für todkranke Kinder erbracht wird.
Der langjährige Gast des Festivals und Regisseur progressiver Dokumentationen, Rasmus Gerlach, ist in diesem Jahr gleich mit zwei Beiträgen vertreten. Neben der Kurz-Doku „Flucht über das Meer“, in der die Flucht jüdischer Emigranten vor der Verfolgung durch das Naziregime ins unabhängige Schweden nachempfunden wird, portraitiert „Der Riss im Regenbogen“ die aufopfernde Fürsorge einer alten Großmutter für ihre drogenabhängige Enkelin, die sie im Milieu des Hamburger Hauptbahnhofs täglich mit Essen versorgt. Der Film ist in der Kategorie „Beste Dokumentation“ nominiert für den Norddeutschen Filmpreis der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein, der auch in diesem Jahr wieder im Rahmen der Nordischen Filmtage verliehen werden wird.
„Der Riss im Regenbogen“ von Rasmus Gerlach (Foto: NFL)
Aus dem Programm der Nominierungen in der Kategorie „Bester Spielfilm“ präsentiert das Filmforum unter anderem Jan Hinrik Drevs ersten abendfüllenden Spielfilm „Underdogs“. Drevs, der im zuletzt mit „Herr Pilipenko und sein U-Boot“ zu Gast im Filmforum war, recherchierte zu einem Programm zur Ausbildung von Blindenhunden durch Gefängnisinsassen in den USA, als ihm der Stoff, den er erarbeitete, packend genug erschien für die Erzählung um den brutalen Häftling Mosk, der zunächst gegen seinen Willen am Programm teilnimmt, dann jedoch seinen Lehrling, den Labrador „Grappa“, so sehr ins Herz schließt, dass es zu einer Verzweiflungstat kommt, als er den Hund schließlich abgeben soll.
„Underdogs“ von Jan Hinrik Drevs (Foto: NFL)
Mit der tiefschwarzen Komödie „Bis zum Ellenbogen“ feiert der gebürtige Lübecker Justus von Dohnányi sein Spielfilmdebüt, das in der Kategorie „Bester Spielfilm“ ebenfalls im Wettbewerb um den Norddeutschen Filmpreis steht. Das ungleiche Paar eines Jung-Reeders und eines naturverbundenen Tüftlers, gespielt von Jan Josef Liefers und Stefan Kurt, muss die Leiche des Freundes Sven loswerden, in einer Seebestattung, am Ellenbogen, doch zuvor muss mitten im WM-Wahn die ganze Republik durchquert werden und diverse finanzielle Probelem mit Hilfe Svens beseitigt werden.
„Bis zum Ellenbogen“ von Justus von Dohnányi (Foto: NFL)
Im Rahmen einer Sonderveranstaltung zu Hochschulfilmen erhalten in diesem Jahr vor allem jüngere Filmemacher, Studenten und Hochschulabsolventen die Gelegenheit, ihre Werke vor einem größeren Publikum zu zeigen. In freundlicher Kooperation mit den Media Docks werden vor der malerischen Hafenkulisse Lübecks diverse Beiträge der Muthesius Kunsthochschule Kiel, der ISNM Lübeck und der Kunsthochschule Köln aufgeführt. Lars Mehlfeld widmet sich in „100 Jahre Muthesius Kunsthochschule“ der Kieler Kunsthochschule und lässt in einem multiplen Interview Dozenten und Kommillitonen zu Wort kommen, die sehr offen von ihren Beziehungen zur „Muthesius“ erzählen. Nehle Koehnitz nimmt uns mit auf einen ungewöhnlichen „Spaziergang mit Kristina und Vanessa“, der bis in den Mikrokosmos führt. Ranjan Shetty, Absolvent der ISNM, wird vertreten sein mit „Solitude Dreams“, einem experimentellen Video über die Angst vor der Einsamkeit, mit dem er in Indien den Nokia Mobile Film Award gewann.
Weiterer Höhepunkt wird ein Drehbuch-Werkstattgespräch sein, bei dem Autoren aus Skandinavien und Deutschland aus ihrem Schaffensprozess berichten. Der Lübecker Drehbuchautor Arne Sommer wird die Veranstaltung am 3.11. um 11.00 Uhr moderieren. Neben Lesungen aus den Drehbüchern werden anhand von Filmausschnitten auch die Visualisierungen der Werke vorgestellt.
Gruselig, grotesk und ironisch präsentiert sich das Kurzfilmprogramm in diesem Jahr, dessen Niveau nicht zuletzt dank der Kurzfilmpreise der Firmen Comline und Cinegate gesteigert werden konnte. Das Drama „The Dead Meat“, unter Leitung von Philipp Scholz an der FH Kiel realisiert, verbindet auf bedrückende Weise die Schicksale eines Massenmörders, eines Nachrichtensprechers und eines Augenzeugen. Auf verheerende Weise veranschaulicht „Rewinding“ von Nils Strüven die These Einsteins, dass jede Wirkung eine Ursache hat und umgekehrt, wenn Zeit unendlich ist. Im weiteren erleben wir die Geburt des „Dionysos“ ebenso mit wie die Weltpremiere des gesungenen Bildes in „3 Rooosen singt seine Bilder“. (Robin Schmeck, Nordische Filmtage Lübeck)