58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Plädoyer gegen Gewalt
„Leo“ (Josef Fares, Schweden 2007)
Am Anfang steht eine nette, feucht-fröhliche Geburtstagsfeier. Es ist Leos Dreißigster, seine Freundin Amanda feiert mit, seine Mutter, seine Freunde Josef und Shahab und noch einige andere. Am Ende hat Leo sich schuldig gemacht am Tod seines besten Freundes, und keiner weiß, wie es weitergehen wird. Aber eines wird klar: Dass durch Gewalt alles schlimmer und schlimmer wird.
Dabei beruht alles nur auf einem fürchterlichen Zufall: Leo (Leonard Terfelt) und Amanda (Sara Edberg) gehen zu später Stunde von der Feier nach Hause und begegnen zwei Gewalttätern. Besonders der eine von ihnen hat Lust auf Randale – und eine Schusswaffe. Leo wird brutal zusammengeschlagen, und die Schüsse auf Amanda sind tödlich: Sie stirbt kurz darauf im Krankenhaus.
Tage, Wochen, Monate später: Die Täter können nicht dingfest gemacht werden. Josef und Shahab können ihrem Freund Leo nicht erfolgreich klar machen, dass ihn keinerlei Schuld an Amandas Tod trifft. Die Polizei scheint den Fall aufgegeben zu haben, und Leos betreuender Psychologe bekommt keinerlei Zugang zu seinem Patienten. Leos unermessliche Hilflosigkeit äußert sich zunächst in Apathie, dann in Aggressivität, dann im fanatischen Verfolgen eines Racheplans. Doch dazu braucht er auch seine beiden Freunde …
Wie weit darf Freundschaft gehen? Shahab Salehi (l.) und Josef Fares in „Leo“
(Foto: Berlinale)
„Leo“ ist Josef Fares’ vierter Spielfilm, nach seinen Kassenschlager-Komödien „Jalla! Jalla!“ (2000) und „Kopps“ (2003), die rechnerisch mit jeweils 800.000 Besuchern von sage und schreibe 10% aller Schweden gesehen wurden. Sein Flüchtlingsdrama „Zozo“ erhielt 2005 den Filmpreis des Nordischen Rates und wurde von Schweden für den Oscar für den besten ausländischen Film nominiert. Bevor „Leo“ am 30.11.2007 in Schweden anlief, wurde er als erster schwedischer Film in dessen immerhin 18-jähriger Geschichte zum Eröffnungsfilm des Filmfestivals in Stockholm gekürt. Die Zuschauerzahlen blieben seitdem jedoch bescheiden.
Warum Josef Fares dem Publikum nach seinen so ganz anders gearteten Erfolgen jetzt ein Handkamera-gedrehtes Anti-Gewalt-Actiondrama präsentiert? Weil er gerade 30 geworden sei, witzelt Fares, da könne man schon mal ernster werden. Doch tatsächlich: Der Film solle zeigen, „wie hässlich, roh und ekelhaft Gewalt ist“, und alle Gewaltverherrlichung ad absurdum führen. Die Idee zum Film sei aus einem Gespräch beim 30. Geburtstag des Schauspielers Leonard Terfelt entstanden: Welche Verantwortung bringt Freundschaft mit sich? Wie weit muss ein „echter Freund“ bereit sein zu gehen? Leo, Josef und Shahab sind nämlich auch im wirklichen Leben Freunde und heißen Leonard Terfelt, Josef Fares und Shahab Salehi. Fares schrieb das Drehbuch; die Vornamen der Freunde wurden kurzerhand zu denen der drei Protagonisten, „um den realistischen Ton so weit wie möglich zu treiben“. Schon einen Monat nach Fertigstellung des Skripts habe man angefangen zu drehen, und zwar chronologisch in der Reihenfolge der Filmszenen. Dies hatte zur Folge, dass einige Szenen spontan umgearbeitet wurden. Auch das Ende des Films, das laut Fares „eigentlich noch härter“ hätte ausfallen sollen, wurde umgeschrieben, als Hauptdarsteller Leonard Terfelt – wohlgemerkt der einzige ausgebildete Schauspieler in der Dreierkombination – durch eine bei den Dreharbeiten zugezogene Gehirnerschütterung und Rippenbrüche außer Gefecht gesetzt wurde.
Wie seine Charaktere mit der „harten Männerwelt“, die sie in der einen oder anderen Ausprägung umgibt, umgehen, ist einer der motivisch roten Fäden in Fares’ Filmen. In Beirut geboren, kam Josef Fares als Elfjähriger mit seiner Familie nach Schweden. In „Leo“ steht die Thematisierung von Gewalt nicht in Beziehung zum Migrantenhintergrund weder der Opfer noch der Täter, auch wird keine schuldige gesellschaftliche Instanz gesucht – wenn auch die fatale Machtlosigkeit der Polizei und der psychologischen Betreuung Bände sprechen. In „Leo“ geht es um Leos Einsamkeit nach dem Schicksalsschlag trotz der Nähe seiner Freunde, die Sucht nach Rache, die ihn beherrscht, die durch Gewalt immer größer werdende Aussichtslosigkeit – all dies wird bedrängend realistisch umgesetzt. Fares’ Mut zu filmisch schwerer Kost wurde in Schweden mit drei Nominierungen für den schwedischen Filmpreis „Guldbagge“ honoriert: 1. als bester Film, 2. für die beste Regie und 3. für den besten Schauspieler (Leonard Terfelt) – alle drei gingen jedoch leer aus.
Bemerkenswert übrigens, dass Josef Fares bezeugt, am Set sei ständig gelacht worden. Was für einen Film er als nächstes plant? Eine romantische Komödie! (gls)
Leo, Schweden 2007, 78 Min., 35mm, Buch, Regie, Schnitt: Josef Fares, Kamera: Aril Wretblad, Darsteller: Leonard Terfelt, Josef Fares, Shahab Salehi, Sara Edberg