57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007

Mit voller Wucht in die eigene Fremde

„Hotel Very Welcome“ (Sonja Heiss, D 2007)

Asien übt auf Europäer von je her eine starke Anziehungskraft aus. Waren es vor Jahrhunderten zunächst seefahrende Pioniere, dann Kaufleute und das Militär, die sich große Teile Asiens untertan machten, ist es nun eine neue Brut von Kolonialisten: die westlichen Touristen. Auf der Suche nach Abenteuer, Vergnügen und Lust oder auf der Flucht vor Problemen ihres privilegierten Lebens in der „ersten Welt“ fallen sie wieder in Heerscharen über den Kontinent her.

Joshua und Adam diskutieren schon im Flieger nach Thailand über die „Top Three“ Nationen ihrer Traumfrauen. Asiatinnen und Afrikanerinnen schließen sie schon mal kategorisch aus, nicht ihre Tasse Tee. Wohl wissend, dass sie bei den Drum&Bass-Raves an den Stränden Thailands ohnehin wieder auf Europäerinnen treffen werden, machen sie sich keine Sorgen um ihre Libido. Weil sich aber so schnell keine Partnerinnen finden, verbringen die beiden viel Zeit miteinander und lernen sich richtig kennen. Das Ende einer Freundschaft von zwei „Lads“ bahnt sich unaufhaltsam an.

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Gareth Llewelyn, Ricky Champ als Joshua und Adam (Foto: Sonja Heiss, Nikolai von Graevenitz, Copyright: Komplizen Film)

Marion will sich aus einer unbefriedigenden Beziehung lösen und muss erstmal „zu sich kommen“. Das geht natürlich wunderbar in einem Meditationszentrum, einem entseeltem Relikt aus den Hochzeiten der „Go-East“-Bewegung der 60er und 70er. Doch mit dem Finden der eigenen Mitte ist es schlagartig vorbei, als Marion am Telefon von ihrem Freund abserviert wird. Eben noch begeistert auf der Suche nach der eigenen Spiritualität, irrt sie mit Heimweh durch die Nacht.

Einzig Liam, ein sympathischer irischer Slacker, versucht zumindest, Indien kennen zu lernen. Auch er scheitert schon an der Sprachbarriere, doch mit seinem englisch radebrechenden Guide tauscht er sich über Familien-Nachwuchs aus. Urkomisch wird es, wenn Liam dem indischen Familienvater zu erklären versucht, was ein One Night Stand ist, und warum er sich vor seiner unfreiwilligen Vaterschaft zunächst einmal in die Wüste flüchtet. Die Szene gemahnt optisch ein wenig an „Lawrence of Arabia“ (David Lean, 1962) und führt deshalb sehr schön den Widerspruch zwischen Vorstellung und Realität des modernen Tourismus vor Augen.

Sonja Heiss beschreibt in ihrem vom ZDF Kleinen Fernsehspiel co-produzierten Langfilmdebut „Hotel Very Welcome“ mit einem sezierenden Blick, woran der erneute Versuch einer Vereinnahmung scheitert: an den Besuchern selbst. Als Regisseurin war sie mit fünf Protagonisten mehrere Monate in verschiedenen Ländern Asiens unterwegs und drehte vier Episoden auf digitalem Material. Die Handkamera, authentische und nicht vordergründig spektakuläre Drehorte und ein natürlich aufspielendes Ensemble unter Einbeziehung von einheimischen Laien verstärken einen dokumentarischen Charakter, der eine Identifizierung mit den Figuren fast unvermeidlich macht.

Das Thema des Scheiterns in der Fremde, ob zu Zeiten des Kolonialismus oder in denen des Massentourismus wurde schon häufig in Filmen von „A Passage To India“ (David Lean, 1984) bis „The Beach“ (Danny Boyle, 2000) thematisiert. Sonja Heiss präsentiert jedoch einen frischen Ansatz, denn sie konzentriert sich auf die kleinen Katastrophen und Absurditäten. Unerbittlich bleibt sie mit der Kamera stets bei ihren Protagonisten, die sich allen Bemühungen zum Trotz nie von sich selbst entfernen können oder gar um wertvolle Erfahrungen reicher werden, sondern nur mit aller Wucht auf sich zurückgeworfen werden. Dass „Hotel Very Welcome“ trotz aller bitterer Selbsterkenntnis die im Saal versammelte Presse immer wieder zu lauthalsem Lachen animierte ist eine weitere Stärke und empfiehlt ihn umso mehr zu einer Auswertung im Kino. (dakro)

Hotel Very Welcome, D 2007, 90 Min., 35 mm. Regie: Sonja Heiss, Buch: Sonja Heiss, Nikolai von Graevenitz, Kamera: Nikolai von Graevenitz, Schnitt: Natalie Barrey, Vincent Pluss, Patrick Lambertz, Darsteller: Ricky Champ, Gareth Llewelyn, Eva Löbau, Chris O’Dowd, Svenja Steinfelder

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