48. Nordische Filmtage Lübeck

Märchenhafte Bilderfluten

„Nimmermeer“ (Toke Constantin Hebbeln, Deutschland 2006)

Massenszenen im historischen Outfit, Seebilder wie aus den symbolisch überladenen Fantasien eines Hieronymus Bosch, Zirkus- und Gauklerwelten, ein Erzähler, der halb Orakel, halb mephistophelischer Einflüsterer ist – Toke Constantin Hebbeln hat mit „Nimmermeer“ tief in die Kiste des Illusionskinos gegriffen und bekennt das auch ganz freimütig: „Es hat mich gereizt, als Filmemacher ein bisschen Gott zu spielen und eine eigene Welt zu erschaffen“, sagt der Regisseur aus Itzehoe, der seit 2002 an der Filmakademie in Ludwigsburg studiert, an der auch dieses Werk entstand.

Und wo jemand Gott spielt – auch wenn das gerade im Kino erlaubt ist -, ist auch immer ein bisschen Hybris im Spiel. So wirkt Hebbelns Inszenierung in märchenhaften Bildern (Kamera: Felix Novo de Oliveira) ein wenig überdimensioniert angesichts einer doch eher dürren Story wie aus Grimms Märchen. Der alte Fischer Helge Block (mit gegerbtem Ernst: Rolf Becker) fängt nur noch gelegentlich einen Fisch aus dem Meer, über dem wie über den Landschaften ein milder Schleier des Todes zu hängen scheint. Aber er ist ein guter Geschichtenerzähler, von denen hat er immer noch eine im Netz für seinen Sohn Jonas. Dem will er dann auch eines Nachts „das Silber vom Himmel holen“ und bleibt dabei verschollen. Für Jonas beginnt ein Martyrium im Haushalt eines gestrengen Pfarrers, dem er immer wieder in Traumbilder entflieht. Vor allem die, die ein fahrender Zirkus in dem Waisenkind entfacht. Wo so viel Nimmermehr überall barockig vanitasiert, ist der Zirkus dann auch die rettende Flucht für Jonas. Dorthin, wo sich – Symbol, Symbol! – „Himmel und Meer berühren, mit einem Lächeln auf den Lippen und Träumen im Herzen“, wie ihm der Zauberer (und Erzähler) neue Horizonte verheißt.

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Fischer Block (Rolf Becker) mit seinem Sohn Jonas (Foto: NFL)

Ein Plädoyer also für den Erhalt der Fähigkeit zu träumen, ein wenig dialektisch gebrochen durch die Figur des Erzählers (mit darstellerischer, aber auch stimmlicher Bravour: Manni Laudenbach), dem der Mephisto-Verführer mit Stummfilm-Schminke allzu offensichtlich ins Gesicht gezeichnet ist. Ob solchen Märchengedöhns ist man als Zuschauer skeptisch, wenn man seinen Verstand befragt. Bekanntlich ist der aber kein guter Ratgeber für Gefühle, denn gibt man sich denen und den märchenhaft schönen Bildern hin, ist man gefangen wie beglückt von „Nimmermeer“. Hebbelns Experiment scheint gelungen, auch wenn der Patient, die Geschichte, dabei am Ende tot ist. Will sagen: Erzählt wird nicht wirklich etwas, der Film wirkt vielmehr wie eine groß angelegte elegische Ballade.

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… ein bisschen Gott spielen: Toke C. Hebbeln (mit Mikro) und sein Team bei der Präsentation ihres Films im Filmforum S.-H. (Foto: jm)

Why not? Warum soll man im prosaischen Medium Spielfilm nicht mal so ganz poetisch, lyrisch werden? Aussage hin oder her, mag sein, dass die bloß raunendes Orakel ist und kräftig an etwas wie Mythos bastelt, großes Kino ist „Nimmermeer“ trotzdem – und zwar in dem Sinne, dass das Große auch als solches gewollt und gewagt werden will. Kunst kommt eben doch von Wollen – wer will, der kann auch. (jm)

„Nimmermeer“, Deutschland 2006, 60 Min., DigiBeta, Regie: Toke Constantin Hebbeln, Buch: Nina Vukovi, Toke Constantin Hebbeln, Kamera: Felix Novo de Oliveira, gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.

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