10. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Kleine Kamera ab! … und alle Fragen offen

Das Symposion „Kleine Kamera – großes Kino“ diskutierte im Vorfeld des 10. Filmfests Schleswig-Holstein Augenweide Chancen der digitalen Filmproduktion.

„Die neuen Produktionsmittel schreien nach neuen Inhalten und Formaten“, sagt Bernd Fiedler, Kameramann, Regisseur und Drehbuchautor mit 40-jähriger Erfahrung im Film- und TV-Geschäft und Autor des manifestartigen Filmproduktionskonzepts „Drehbank“, das er beim Symposion „Kleine Kamera – großes Kino“ am 17. und 18. Mai in der Kieler Pumpe (veranstaltet von der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein und dem Kommunalen Kino Kiel, unterstützt vom Kulturamt der Landeshauptstadt Kiel und der Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien – ULR) in Auszügen vorstellte (Download des Vortrags-Manuskripts). Moderne DV-Kameras machten es möglich, abendfüllende Spielfilme (zunächst für das Fernsehen) mit einem Budget von wenigen hundert Tausend Euro zu produzieren, so Fiedlers zentrale These – und auch Forderung.

Aktuelle Produktionen wie Robert Thalheims „Netto“, Jan Georg Schüttes „Swingerclub“ und Vanessa Jopps „Komm näher“ (die das KoKi im Rahmen des Symposions zeigte), allesamt auf DV mit sehr geringen Budgets und neuartigen Schauspielerführungen gedreht, scheinen das nicht nur zu bestätigen, sie zeigen auch, dass die neuen Produktionsmittel neue ästhetische Konzepte der Filmerzählung wenn nicht evozieren, so doch erst ermöglichen. Dennoch wurde Fiedlers Konzept in der Podiumsdiskussion durchaus kontrovers diskutiert. Auf dem Podium: Bernd Fiedler, Barbara Beauvais (Redaktion Fernsehspiel des NDR), Peter Ott (Regisseur), Stefan Schneider (Co-Autor „Komm näher“), Jan Georg Schütte, Ralph Schwingel (Produzent, Wüste Film Hamburg), Christian Mertens (Filmstudent an der Hochschule für Film und Fernsehen, Potsdam Babelsberg) und als Moderator Bernd-Günther Nahm (Geschäftsführer Kulturelle Filmförderung S.-H.).

Was die „Drehbank“ sich wünscht, weg von der komplizierten und teuren Studiotechnik, die sich „verselbstständigt“ habe und zu einer „Fessel der Filmemacher“ geworden sei, hin zu einer „kleinen Kamera, die hinausgeht, fast versteckt“, ist in allen drei Beispielfilmen verwirklicht. Am extremsten in „Swingerclub“, gedreht an einem Tag mit zwei bis fünf DV-Kameras, ohne Drehbuch, nur mit Vorgaben für die Figuren, und „hinterher am Aldi-Computer geschnitten“, wie Jan Georg Schütte erzählt. Dennoch die Frage: Hängen solche neuen, „authentischen“ Ästhetiken, wie sie Stefan Schneider als iteratives Wechselwirkungs-Prinzip zwischen Figurenvorgabe und „on set“-Reflex der Schauspieler darauf für „Komm näher“ als „alle schreiben am Film mit“ berichtet, ursächlich mit dem digitalen Medium und seinen Möglichkeiten der vereinfachten Produktion zusammen oder hätte man sie auch auf herkömmlichem 35- oder 16 mm-Equipment verwirklichen können, wenn auch mit enormem (Kosten-) Aufwand? Peter Ott bezweifelt die Euphorie, obwohl er fasziniert ist von der Möglichkeit, dass „ein Computer für 3.000 Euro heute ein ganzes Kopierwerk ersetzt“: „Das ist nicht neu.“ In der Filmgeschichte habe es immer wieder solche Impulse gegeben, etwa als die 16 mm-Kriegsberichterkameras aus dem 2. Weltkrieg zurückkamen und das US-Autorenkino beflügelten, als Video in den 70ern neue Drehs ermöglichte. Es gebe „keine Befreiung bloß durch ein neues Medium“. Der Zugang dazu werde einem „nicht geschenkt, das muss man sich hart erarbeiten“. Letztlich komme es immer auf das Talent des Filmemachers an und das setze sich auch im bestehenden Produktionssystem durch.

Auch Ralph Schwingel pocht auf „das feste Drehbuch, das immer noch Grundlage“ sei, und auf „die Geschichte, das Erzählen“, auch wenn es immer wieder Glücksfälle gebe, wo das improvisierte Filmen riesige, aber unwiederholbare Kinoerfolge feiere wie etwa in „Blair Witch Project“ oder „Mann beißt Hund“: „Das Filmmaterial ist unwichtig, wenn die Geschichte stimmt.“ Filme wie Vinterbergs „Festen“ lebten nicht von einem Prinzip wie Dogma, sondern immer noch und nur vom guten Buch und Schauspiel. Ebenso sind für Barbara Beauvais vor allem Figur und Geschichte, weniger das Medium wichtig. Wobei sie und der Sender ganz an die Erfordernisse der Quote gebunden seien. „20 Uhr 15 sollte es schon ein Film sein, da sind wir gnadenlos auf die Mitte angewiesen“. Die Beispielfilme des Symposions ordnet sie sämtlich in „die Schiene 23 Uhr oder Filmclub ab 0 Uhr“ ein, also nicht massentauglich. Derlei im TV zur Primetime präsentieren zu können, das werde „noch etwas dauern“.

Wo die neuen, wenig kostenintensiven Produktionsmöglichkeiten das Filmemachen demokratisieren (am deutlichsten im Video-Podcast, wo im Internet jeder zum Sender und Filmemacher werden kann), bleiben die Vertriebswege traditionell, im Fernsehen wie im Kino. Zwar biete die digitale Distribution ganz neue Möglichkeiten, weil sie die Kosten von Kopien und Versendung einspare, so Ralph Schwingel, aber hier hinkt die Realität der schon realisierten Zukunft immer noch nach. Für „Swingerclub“ wurde zum Beispiel eine rein digitale Kinoauswertung überlegt, aber der Verleih sah darin ein zu großes Risiko des wohl doch noch zu Neuen. Demokratisierung, okay … aber im Publikum werden Fragen laut: Wenn jeder drehen kann, was und wie er will, werden wir dann auch von allerlei „Schrott“ überschwemmt? Kino von allen sei nicht automatisch Kino für alle. Und mancher Filmemacher und -gucker fürchtet von der Konkurrenz der Amateure eine schleichende De-Professionalisierung.

Und wie beurteilen das die jungen Filmemacher mit professionellem Anspruch? Christian Mertens, Kommilitone von Robert Thalheim („Netto“) an der Babelsberger Filmhochschule, sieht „eine neue Möglichkeit für Filme, die nicht mehr von Filmemachern gemacht sind“. Wo selbst erfolgreiche Filmhochschulabsolventen ihr täglich Brot mit Taxi Fahren verdienen müssten, biete ihnen das neue Medium wenigstens die Möglichkeit, weiter Filme „ohne Geld“ zu produzieren. Immerhin sei das ein Einstieg in eine Professionalität, die dann aber wieder auch nur mit einem sich durchsetzen könne: „Unabhängig vom Medium gute Geschichten zu erzählen.“ (jm)

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