57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007
Jugendliches Verstehen, das einem die Hoffnung lässt
„Jagdhunde“ (Ann-Kristin Reyels, D 2006/2007)
„Jagdhunde“, der Debütfilm der jungen Regisseurin Ann-Kristin Reyels, gibt sich bisweilen wortkarg. Man erfährt am Anfang wenig über seine Figuren. Und im Laufe der Handlung bleiben manche Fragen offen. Wie man dann auch feststellt, dass es so viel Handlung eigentlich gar nicht gibt, eher Situationen und Stimmungen, Ruhe und Drastik.
Vater und Sohn in einem ostdeutschen Nest in der Uckermark. Offenbar sind sie gerade erst hergezogen, abgeschieden auf einem Bauernhof, auf dem der Vater Henrik (Josef Hader) eine Scheune zu einer „Hochzeitsscheune“ umbaut, die er dann für entsprechende Festivitäten inklusive Service anbieten will. Merkwürdige Idee, denn wer soll denn hier heiraten, was in Laufe des Films dann folgerichtig auch einmal gefragt wird. Die Kamera beobachtet den 16-jährigen Sohn Lars (Constantin von Jascheroff), wie er mit dem Fahrrad durchs Dorf fährt und schriftliche Einladungen verteilt, offenbar zu einem vorweihnachtlichen Fest in der Scheune. Doch schon bald merkt man, dass wohl niemand zu diesem Fest kommen wird. Denn es ist kalt, wenn auch vorerst noch kein Schnee zu sehen ist. Aber Kälte bzw. Nichtbeachtung schlägt Vater und Sohn entgegen. Kein Gruß wird erwidert, keine freundliche Geste der Landbevölkerung erreicht die beiden Zugezogenen. Schöne Isolation, denkt der Zuschauer. Doch Lars soll schon bald eine Gefährtin kennenlernen: die gehörlose gleichaltrige Marie (Luise Berndt). Und trotz scheinbar vorprogrammierter Verständigungsschwierigkeiten werden sich die beiden besser als alle Erwachsenen verstehen.
Dem Umzug von Vater und Sohn aufs Land ist offensichtlich gerade vorher die Trennung von Henrik und seiner Frau vorausgegangen. Und da tatsächlich keiner zum Scheunenfest erscheint, schickt Henrik seinen Sohn frühzeitig zum Weihnachtsfest zur Mutter nach Berlin. Später wird einem klar, warum der Vater den Sohn so dringlich aus dem Haus haben wollte. Er hat ein heimliches Verhältnis mit seiner Schwägerin (Judith Engel) und wollte sich über die Feiertage ungestört mit ihr in seinem neuen Zuhause vergnügen. Dem macht Lars aber unfreiwillig ein Ende, als er überraschend unabgereist wieder aufs Gehöft kommt und seine Tante halbnackt bei seinem Vater antrifft. Er hatte Marie an der ländlichen Zughaltestelle beobachtet, als diese von zwei Dorfrowdys blöde angemault wurde, war tapfer dazwischengegangen, hatte „eins aufs Maul bekommen“ und mit blutender Nase seinen Zug verpasst.
Ein Paar, das sich auch ohne viele Worte versteht: Lars (Constantin von Jascheroff) und Marie (Luise Berndt) (Foto: Berlinale)
Am zugefrorenen, zugeschneiten See blüht die Freundschaft, das Verliebtsein zwischen Lars und Marie auf. Vater Henrik hingegen bekommt Probleme mit seiner Geliebten und Schwägerin, muss es ungewollt, protestierend aber letztlich ohnmächtig hinnehmen, dass diese ungefragt bei ihm einzieht. Denn so eine Gelegenheit lässt sich die bisher im Leben zu kurz Gekommene nicht entgehen. Auch Maries Vater (Sven Lehman) bereitet ihm Ärger, da er die junge Liebe zwischen Lars und seiner Tochter nicht akzeptieren will, weil er Angst hat, sie zu verlieren. Zum Höhepunkt dieser Tragikomödie kommt es schließlich, als überraschend Henriks Ehefrau (Ulrike Krumbiegel) mit ihrem neuen Freund (Marek Harloff) auf dem Hof eintrifft und alle gezwungen sind, das Weihnachtsfest miteinander zu verbringen, zu dem sich dann auch noch Maries Vater gesellt. Das Festessen ist an trockener Komik und eiskalter Bösartigkeit ein Schmuckstück dieses Films.
Ländliche Idylle, Isolation und Familiendramatik, alles liegt so nah bei einander in diesem östlichen Kaff. Jan rennt immer mit seinen beiden über alle Maßen geliebten Hunden durch die Landschaft, einer geht eines Tages dabei drauf. Ein Getriebener ist Jan trotzdem nicht. Er hat ja Marie, die ihn versteht. Warum dieser wunderbar fotografierte Film (Kamera: Florian Foest) nun „Jagdhunde“ heißen musste, mag ein Geheimnis seiner Regisseurin bleiben. Auch der befremdliche Schluss, der hier nicht verraten werden soll, bleibt erklärungsbedürftig.
„Jagdhunde“ ist ein kleiner Film (Abschlussfilm an der HFF „Konrad Wolf“ in Koproduktion mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF), der sich zärtlich, manchmal eher schweigsam, seiner Protagonisten annimmt. Doch versammelt er ein gutes Schauspielerensemble und erzählt viel. Stille Glückmomente kontrastiert durch peinliche Begebenheiten, Situationskomik und tragische Unfälle; eine unverbesserliche Erwachsenwelt, in der konfliktarme Kommunikation kaum noch möglich scheint, und ein jugendliches Verstehen, das einem die Hoffnung lässt. (Helmut Schulzeck)
Jagdhunde, Deutschland 2006/2007, 85 Min., Super16mm – Blow-Up 35mm. Regie: Ann-Kristin Reyels, Buch: Marek Helsner, Ann-Kristin Reyels, Kamera: Florian Foest, Schnitt: Halina Daugird