58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Hingehen, wo es weh tut: Perspektive Deutsches Kino
Heraus zum 1. Mai mitten im Februar – der Berliner Spielfilm 1. Mai – Das Ende vom Lied wird am 8. Februar 2008 die nunmehr siebente Ausgabe der Reihe Perspektive Deutsches Kino eröffnen. Der episodisch konzipierte Film unter der Regie von Jakob Ziemnicki, Sven Taddicken (Emmas Glück) und dem Duo Carsten Ludwig und Jan-Christoph Glaser erzählt Geschichten vom Mythos und der Wahrheit des Tages der Arbeit im heutigen Kreuzberg. 24 Stunden zwischen dem Lausitzer Platz und dem Urban Krankenhaus, zwischen Polit-Parade und Karneval der Blessuren. Drei Storys, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort spielen, verschmelzen zu einem Film.
Die Themen von heute sind auch die Themen der Filmemachergeneration der Zukunft. Das ist der inhaltliche Kern des diesjährigen Programms der Perspektive Deutsches Kino, das wieder auf drei Säulen steht: abendfüllende Spielfilme mit aufregenden Geschichten und Personen vor und hinter der Kamera, thematisch und formal auffällige Dokumentarfilme und starke Talentproben aus den deutschen Filmhochschulen.
So schafft es die Filmemacherin Steffi Niederzoll von der Kunsthochschule für Medien in Köln (KHM) ihrer Protagonistin Lea nahe zu kommen, ohne der Figur ihr Geheimnis zu nehmen. Das Geheimnis von Jakob, der nur von seiner Umgebung für einen Mann gehalten wird, ist der Katalysator für die Geschichte einer späten, aber nicht zu späten Selbstfindung in dem Film Lostage von Bettina Eberhard (ebenfalls KHM).
Auf der Suche nach sich selbst sind auch die Helden in Teenage Angst von Thomas Stuber (Filmakademie Baden-Württemberg). Dabei sind die Schüler eines elitären Internats in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich. Dort, wo der achtjährige Robin um die Liebe seiner Eltern kämpft, kennt man das Wort Internat nicht einmal. Der Film von Hanno Olderdissen (Student der Internationalen Filmschule Köln) erzählt von Familienverhältnissen jenseits der Schmerzgrenze.
„Schon länger beobachten und präsentieren wir Filme aus der jüngsten Filmemachergeneration, die inhaltlich spannend sind und formal reif. In diesem Jahr fällt aber vor allem auf, wie nah die Arbeiten thematisch an den Themen unserer Zeit sind“, kommentiert Sektionsleiter Alfred Holighaus die bisherige Auswahl. „Es geht um Gewalt unter Jugendlichen und in Familien. Es geht um Spiritualität, Intersexualität und den Clash der Kulturen. Die Filmemacher gehen und sehen dahin, wo es weh tut und wichtig ist.“
Beispielsweise auf dem Fußballplatz. In dem Dokumentarfilm Football Under Cover von David Assmann und Ayat Najafi liegt dieser Platz in Teheran und steht bereit für ein Heimspiel der iranischen Damennationalmannschaft gegen ein multikulturelles Frauenteam aus Berlin-Kreuzberg. Die Protagonisten des Dokumentarfilms Jesus liebt dich von Lilian Frank, Michaela Kirst, Robert Cibis und Matthias Luthardt interessieren sich nicht für den Sport. Sie kommen aus der ganzen Welt zur Weltmeisterschaft nach Deutschland, um die Fans auf den rechten Weg des Glaubens zu führen.
Mit den Einladungen von drei abendfüllenden Spiel- und zwei Dokumentarfilmen sowie einem mittellangen Hochschulfilm ist das Programm der Perspektive Deutsches Kino bei den 58. Internationalen Filmfestspielen Berlin nun komplett.
Der sich bereits bei den ersten Entscheidungen abzeichnende Trend zu aktuellen, brisanten und mutigen Themen in den Arbeiten der jüngsten Filmemachergeneration setzt sich fort und wird gleichzeitig um ein paar reizvolle Elemente erweitert.
Die Geschichten der Spielfilme Die Dinge zwischen uns von Iris Janssen und Die Besucherin von Lola Randl handeln beispielsweise davon, dass Frauen nicht nur beherzter um ihr Glück kämpfen als Männer, sondern auch noch bereit sind, dabei äußerst ungewöhnliche Wege zu gehen.
Programmatisch ist der Titel des Films Helden aus der Nachbarschaft von Jovan Arsenic zu verstehen. In seiner Tragikomödie überlässt er das Schicksal von sechs Nachbarn im Prenzlauer Berg dem Zufall, den es natürlich nicht gibt.
Der Film In Deiner Haut von Pola Schirin Beck (HFF „Konrad Wolf“ Potsdam) erzählt von einem speziellen, aber nicht seltenen Problem beim Alltagsphänomen Patchworkfamilie: Die neue Beziehung taucht mitten in der Pubertät der allein Erzogenen auf.
Die Protagonisten in Sebastian Heidingers Dokumentarfilm Drifter haben ihre Erziehung selbst übernommen. Sie sind die neuen Kinder vom Bahnhof Zoo. Die Koproduktion mit der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin erzählt sensibel und ohne den Hauch von Voyeurismus von Menschen und Orten jenseits der bürgerlichen Wahrnehmung.
Als Cross-Section-Veranstaltung zwischen der Perspektive und Generation 14 plus wird schließlich am Publikumstag der Berlinale noch der Dokumentarfilm love, peace & beatbox von Volker Meyer-Dabisch zu sehen sein. Ein liebevoller und unterhaltsamer Blick auf ein ganz neues Stück Pop- und Gesellschaftsgeschichte.
Zehn der dreizehn Beiträge in der Perspektive Deutsches Kino sind Weltpremieren, elf der Filme gehen in den Wettbewerb um den vom Sender TV 5 Monde und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk gestifteten Preis „Dialogue en Perspective“, der in diesem Jahr zum fünften Mal verliehen wird. Und wie mittlerweile schon üblich sind bei mehr als der Hälfte der Filme Frauen für die Regie verantwortlich oder an der Regie beteiligt.
Alle Filme der Perspektive Deutsches Kino im Überblick:
- Berlin – 1. Mai von Sven Taddicken, Jakob Ziemnicki, Ludwig & Glaser
- Robin von Hanno Olderdissen
- Teenage Angst von Thomas Stuber
- Jesus liebt Dich von Liliane Frank, Michaela Kirst, Robert Cibis, Matthias Luthardt
- Football Undercover von David Assmann, Nayad Ajafi
- In Deiner Haut von Pola Schirin Beck
- Lea von Steffi Niederzoll
- Lostage von Bettina Eberhard
- Die Besucherin von Lola Randl
- Die Dinge zwischen uns von Iris Janssen
- Helden aus der Nachbarschaft von Jovan Arsenic
- Drifter von Sebastian Heidinger
- love, peace & beatbox (Cross-Section) von Volker Meyer-Dabisch