58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Gescheitert am Echtheitsanspruch

„Feuerherz“ (Luigi Falorni, D/Ö 2008)

Luigi Falornis Film „Feuerherz“ basiert auf den Kindheitserinnerungen der eritreischen Sängerin Senait Mehari, in denen Mehari über ihr Schicksal als Kindersoldatin erzählt. Vom Buch wurden bisher über 450.000 Exemplare verkauft. Über die Authentizität der Erinnerungen wird bis heute vor Gericht gestritten. Autorin und Verlag wurden einen Tag vor der Erstaufführung des Films im Wettbewerb der Berlinale von einem Berliner Gericht zur Zahlung von 50.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, was allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Weitere Schadensersatzklagen von ehemaligen Gefährtinnen Meharis stehen ins Haus. Vor diesem Hintergrund lavieren die deutsch-österreichische Produktion des Films und sein Regisseur. Zum einen verweist der Film eindeutig auf das Buch, zum anderen versucht man sich damit aus der Schusslinie zu bringen, dass die Handlung nun doch relativ frei vom Inhalt der literarischen Vorlage gestaltet ist.

Die Geschichte spielt Anfang der 80er Jahre in Eritrea. Gedreht wurde der Film im nordkenianischen Wüstengebiet, in der eritreischen Landessprache Tigrinya. Die zehnjährige Awet wächst inmitten der Wirren des eritreischen Unabhängigkeitskrieges behütet und geborgen in einer christlichen Klosterschule auf. Nach einigen Jahren lässt ihr verschollen geglaubter Vater sie zu sich und ihren ihr bisher unbekannten Geschwistern bringen. Der Vater, ein Trunkenbold und Aufschneider, liefert Awet und ihre ältere Schwester binnen kurzem an eine der beiden rivalisierenden eritreischen Rebellenarmeen aus, die erbittert mehr gegeneinander als um die Unabhängigkeit von Äthiopien kämpfen. Awets Truppe befindet sich auf dem Rückzug. Es ist ein eher kleiner, zusammengewürfelter Haufen aus Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern. Letztere werden zunächst nur für Hilfsdienste eingesetzt und bekommen sogar eine Art Schulunterricht. Das Kriegscampleben wirkt anfangs auf die Kinder noch abenteuerlich, bis sie die ersten Leichen im Fluss entdecken. Später erleidet die Truppe immer mehr Verluste, auch der Anführer stirbt. An seine Stelle tritt eine fanatisierte Rebellin, die ohne Skrupel auch die jüngsten Kinder für ihre eher blindwütigen Zwecke einsetzt. Geschickt und naiv zugleich, doch letztlich vergeblich rebelliert die junge Awet, mit deren glaubhaft leidenschaftlicher Verkörperung Letekidan Micael zum Glücksfall für den Regisseur wird. Gegen Schluss fliehen die beiden Schwestern in die Wüste und werden märchenhaft von einer kleinen Karawane gerettet.

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Glücksfall für den Film: Letekidan Micael als Awet (Foto: Berlinale)

Obwohl es selbst auf der Berlinale-Pressekonferenz Proteste gab, bestreitet heute kaum jemand noch, dass im Eritrea-Krieg tatsächlich Kindersoldaten eingesetzt wurden, allerdings wohl nicht mit so brutalen Methoden wie z.B. in Uganda oder im Kongo. Der Film „Feuerherz“ versucht nun, Krieg mit den naiven Augen eines kämpfenden Kindes zu betrachten, was ihm von vielen Kritikern verübelt wird. Was weiß ein Kind schon über die wirklichen Gründe für einen Krieg (aber selbst viele erwachsene Soldaten schauen da oft kaum durch): Warum wird gekämpft, gegen wen, wer gibt die Befehle, worin bestehen die Differenzen der beiden sich bekämpfenden Befreiungsarmeen? Alle diese Fragen bleiben praktisch unbehandelt. Auch hält sich Drehbuchautor und Regisseur Falorni mit der Darstellung von Gewalt so weit wie möglich zurück. Klar werden die Kinder allein schon durch die tödlichen Umstände traumatisiert. Aber Misshandlungen der Kindersoldaten, Vergewaltigungen und anderes, was heute als allgemeinübliches, ultrarealistisches Reservoir von der Kritik erwartet wird, spart der Film aus. Auch das wird ihm von vielen Kritikern als verharmlosend angelastet, ebenso die fehlende Thematisierung von psychischer Zerrüttung und Verwahrlosung der Kinder. Dabei könnte man diese Zurückgenommenheit des Filmes auch verstehen und die Adressaten eher in einem Jugend- und Kinderpublikum suchen. Und allen Ernstes, das Sujet eines realistischen Rebellenkrieges mit Kindersoldaten ist in einem Spielfilm nur sehr schwer vorstellbar.

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Verharmlosend? – Kindersoldaten beim Training an der Waffe (Foto: Berlinale)

Letztendlich will der Film authentisch wirken, bezieht sich deshalb auf eine scheinbar „wahre“ Geschichte, distanziert sich dann doch wieder von dieser wegen der oben geschilderten juristischen Unwägbarkeiten und scheitert schließlich an seinem Echtheitsanspruch, weil er bei dieser Thematik mit „authentischen“ Kinderdarstellern nur schwerlich umzusetzen wäre. (Helmut Schulzeck)

Feuerherz, Deutschland/Österreich 2008, 92 Min., 35 mm, Regie: Luigi Falorni, Buch: Luigi Falorni und Gabriele Kister frei nach „Feuerherz“ von Senait G. Mehari, Kamera: Judith Kaufmann, Schnitt: Anja Pohl, Darsteller: Letekidan Micael, Solomie Micael, Seble Tilahun, Daniel Seyo

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