58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Genrefilm mit Drive

„Chiko“ (Özgür Yildrim, D 2008)

Chiko (Dennis Moschitto) will nach oben, raus aus dem Hamburger Vorort-Ghetto Dulsberg. Der Deutschtürke und sein Freund Tibet (Volkan Oezcan) vermöbeln ein paar kleine Dealer und machen damit Brownie (Moritz Bleibtreu), den lokalen Drogenboss, auf sich aufmerksam. Chiko arbeitet sich in Brownies Hierarchie schnell nach oben. Doch als Tibet Brownie hintergeht, muss sich Chiko zwischen kometenhafter Dealerkarriere und seiner Loyalität gegenüber Tibet entscheiden.

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Ganz unten auf dem Weg nach oben: Dennis Moschitto als Chiko (Foto: Berlinale)

Özgür Yildrim versucht mit seinem von Fatih Akins corazon international und dem NDR produzierten Debutfilm keine moralinsaure Sozialstudie im Migrantenmilieu, sondern einen Genrefilm nach amerikanischem Vorbild. Man fühlt sich bei der Geschichte eines kleinen Drogendealers mit Ambitionen unweigerlich an „Scarface“ (DePalma, 1983), „Carlitos Way“ (DePalma, 1993) oder „Mean Streets“ (Scorsese, 1973) erinnert, und tatsächlich benennt Yildrim DePalmas Filme als starke Einflüsse auf seine Geschichte. Auch „La Haine“ (Kassowitz, 1997) stand für „Chiko“ Pate. Nicht die schlechtesten Vorbilder, die sich Yildrim wählte. Yildrim überträgt das Genre des Drogen-Thrillers mit dem Augenmaß für hiesige Verhältnisse in den deutschen Norden. Die dokumentarische Schulterkamera von Kameramann Matthias Bolliger verleiht dem Film einen erdigen Look. Von Hiphop-Beats getragene Montagesszenen, die den Aufstieg Chikos erzählerisch raffen und ein typisches Stilmitel amerikanischer Produktionen sind, geben dem Film zusätzlichen Drive.

Yildrim ließ sich für seine Geschichte von eigenen Erfahrungen und Beobachtungen aus seiner Heimat Hamburg-Dulsberg, einem der ärmsten Stadtteile Hamburgs, inspirieren und kann einen bis ins Detail authentisch wirkenden Tonfall anschlagen. Sein erklärtes Ziel ist es dann auch, einen realistischen, harten und durchaus schockierenden Film zu präsentieren, in dem sich die Ghetto-Kids wiedererkennen. Schockierend ist der Härtegrad der Geschichte, der vermutlich aber auch dem Genre geschuldet ist. Doch „Chiko“ ist in seinem Portrait der Ghetto-Kids schmerzhaft realistisch und zwingt zum Aufmerken. Jenseits ihres Ehrenkodex scheint kein Gesetz in Dulsberg Geltung zu haben. Die Drogenfahndung zumindest spielt in der hermetischen Welt der kriminellen Ghetto-Kids keine Rolle. Von der Gesellschaft an den Rand gedrängt, greifen die Kids zu drastischen Mitteln, um sich Respekt und einen Mercedes zu verschaffen. In der aktuellen Diskussion um Jugendgewalt dürfte der Film einen Nerv treffen.

Die gut entwickelte Geschichte um den Aufstieg von Chiko vom Kleindealer zur rechten Hand des Platzhirschen Brownie nimmt im letzten Drittel enorm an Fahrt auf, opfert aber die Stimmigkeit seiner Hauptfiguren zugunsten überzogener Gewalteskalationen. Schreckt Chiko zunächst noch vor dem Mord an Brownie zurück, weil er ihn nicht vor Frau und Sohn richten will, vollstreckt er ein paar Szenen weiter den Rachemord für Tibets Mutter doch skrupellos vor Brownies Familie. Die Geliebte und ehemalige Hure verprügelt er, weil sie sich zwischen ihn und seinen Freund Tibet stellt. Leider kann „Chiko“ auch nicht auf stereotype Frauenbilder verzichten, auch darin ist er den amerikanischen Vorbilder nah: It’s am mans world.

Özgür Yildrim gelingt mit „Chiko“ ein straff inszenierter Drogen-Thriler, der durch lebendige, authentische Charaktere und eine flüssige Erzählung fesselt. Der mutige, vitale Genrefilm bereichert die deutsche Filmlandschaft. Dennis Moschitto, bekannt durch Komödien wie „Kebab Connection“ und „Süperseks“, trägt den Film und überzeugt in einer dramatischen Hauptrolle. „Chiko“ läuft im April in den deutschen Kinos an. (dakro)

Chiko, D 2008, 92 Min., 35mm blow-up. Buch und Regie: Özgür Yildrim, Kamera: Matthias Bolliger, Schnitt: Sebastian Thümler, Darsteller: Dennis Moschitto, Moritz Bleibtreu, Volkan Özcan, Volkan Oezcan u.a. Gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.

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