58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Eine verhängnisvolle Affäre
„Musta jää – Black Ice“ (Petri Kotwica, Finnland/Deutschland 2007)
Finnische Filme haben bei Berlinalen schon lange ihren Platz: Kein Geringerer als Weltstar Aki Kaurismäki wurde in Deutschland u.a. beim Internationalen Forum des jungen Films „groß“. Im Wettbewerb lief jedoch, wenn man von Aki Kaurismäkis 1992 außer Konkurrenz gezeigtem Kurzfilm „Those Were the Days“ absieht, zuletzt 1990 ein finnischer Film: das historische Drama über den Angriff der Sowjetunion auf Finnland 1939/40 „Talvisota – The Winter War“ unter der Regie von Pekka Parikka. Und nun, 2007, kommt das mit sechs finnischen Filmpreisen („Jussi“) ausgezeichnete Charakterdrama von Petri Kotwica zu Wettbewerbsehren. Mit Outi Mäenpää, Joachim Króls weiblichem Widerpart aus „Zugvögel – Einmal nach Inari“, in der Hauptrolle.
Auf Finnisch wie auf Englisch sagt der Titel schon alles: „Schwarzes Eis“ ist in beiden Sprachen nichts anderes als Glatteis. So mag man ahnen: In diesem Film wird es nicht um kleine Ausrutscher, sondern um übelste Unglücke gehen. Am Anfang der Geschichte mit dem eisigen Titel steht eine durchaus heiße Sexszene. Zwischen Saara, Anfang 40, Krankenhausgynäkologin (Outi Mäenpää), und Leo, Architekturprofessor (Martti Suosalo), ist offenbar auch nach wer weiß wievielen Jahren Ehe die Leidenschaft nicht verraucht. Man kennt sich in- und auswendig: Saaras Vermutung, dass Leo – trotz der lustvollen gemeinsamen Stunden – eine Geliebte hat, entsteht tatsächlich beim Durchzählen der restlichen vorhandenen Kondome. Sie stellt Leo zur Rede, dieser leugnet, und mit detektivischem Spürsinn findet Saara heraus, dass ihre Vermutung zutrifft und wer die Geliebte ist: Tuuli (Ria Kataja), eine von Leos Studentinnen und nebenbei Karatelehrerin. Saara geht in Tuulis Kurs und freundet sich – unter Vorgabe falschen Namens und falscher Identität – mit der Widersacherin an. Sie verlässt sogar das schicke eheliche Architektenhaus, um Abstand von Leo zu gewinnen, und nimmt sich eine eigene – nicht weniger gestylte – Wohnung. „Crista“, wie Saara sich nennt, wird zu Tuulis engster Vertrauter – und erfährt so, dass Tuuli von Leo schwanger ist …
Anfangs noch nicht verrauchte Leidenschaft im Ehebett: Outi Mäenpää und Martti Suosala in „Black Ice“ (Foto: Making Movies Oy)
„Black Ice“ erhielt 2007 den Finnischen Filmpreis „Jussi“ als bester Film. Der Regisseur Petri Kotwica, geboren 1964, hat in seinem zweiten Spielfilm nach „Homesick“ (2005) nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch verfasst – und ebenfalls für beides den „Jussi“ erhalten. Schon in „Homesick“ hatte sich Kotwica mit der tiefen psychischen Prägung durch menschliche Beziehungen beschäftigt, in jenem Fall ging es um eine abgründige Mutter-Sohn-Beziehung. Bei der Idee zu „Black Ice“ hätten persönliche Erfahrungen durchaus mitgespielt, so Kotwica, wenn auch der Plot an sich erfunden sei. Das sich persönlich Wiederfinden in einer Story stellt für Kotwica als erklärtem Anhänger des Method Acting und dessen Urvaters Konstantin Stanislawski einen wichtigen Zugang dar. Er betrachte „Black Ice“ als Charakterdrama, in dem Thrillerelemente nur zur Stärkung der Dramaturgie dienen.
Desto verwunderlicher, dass die zweite Hälfte von „Black Ice“ sich zunächst melodramatisch aufplustert, dann krampfhaft Thrillergrusel verbreiten will und ganz zuletzt, wiederum nach gekünstelt wirkenden und/oder teilweise vorraussehbaren Drehbuchwendungen in übelstem Kitsch mündet. Dabei gerät die Story viel zu lang und verbreitet aufgrund ihres abschließenden Groschenheftcharakters eigentlich nur peinliche Gefühle. Dass besonders Outi Mäenpää, die für die Rolle der Saara/Crista – bereits zum vierten Mal! – den Finnischen Filmpreis als beste Schauspielerin erhielt, der Hauptperson eine grandiose Verstörtheit und Zwielichtigkeit verleiht, ist dabei nur ein schwacher Trost. Der sonst großartige Martti Suosalo wirkt in „Black Ice“ unterfordert und in der Rolle des Möchtegern-Don-Juans Leo schlichtweg fehlbesetzt.
Kotwica attestiert seinem Film bis auf die Helsinki-Szenerie als Hintergrundkolorit keine spezifisch finnischen Züge; wohl deshalb muss Saara stets in Stöckelschuhen durch den Schnee schreiten, was wohl keine vernünftige Finnin tun würde. A propos Finninnen: Da Outi Mäenpääs Vorname Ähnlichkeiten mit dem Nachnamen der Kaurismäki-Actrice Kati Outinen aufweist, verwecheln deutsche Rezensenten die beiden auch gelegentlich mal. Und Tuulis Tattoo, das chinesische Schriftzeichen für „Wind“, wird als allzu metaphorisch psychologisierend gedeutet – dabei hat sie diese Tätowierung in erster Linie, weil der weibliche Vorname „Tuuli“ auf Finnisch „Wind“ bedeutet. Man muss also nicht hinter buchstäblich jedem Detail. dieses Film heillose Übertreibung vermuten.
Etwas großartig Gelungenes gibt es allerdings in „Black Ice“: Die ebenfalls Jussi-gekrönte Musik zum Film stammt aus der Feder von Eicca Toppinen, Cellist und Gründungsmitglied des Heavy-Metal-Cello-Quartetts Apocalyptica. (gls)
Musta jää – Black Ice, FIN/D 2007, 100 Min., 35mm Cinemascope, Buch, Regie: Petri Kotwica, Kamera: Harri Räty, Schnitt: Jukka Nykänen, Musik: Eicca Toppinen, Darsteller: Outi Mäenpää, Ria Kataja, Martti Suosalo u.a.