57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007

Die Gewaltfrage

„300“ (Zack Snyder, USA 2007)

Mit „300“ wird nach „Sin City“ (2004) eine weitere Graphic Novel von Comic-Star Frank Miller verfilmt. „Sin City“-Regisseur Robert Rodriguez war der Erste, der den von Hollywood enttäuschten Miller mit einem „Sin City“-Kurzfilm überzeugte, sich auf eine Verfilmung einzulassen. „Sin City“ setzte die eigenwillige Ästhetik und Erzählweise der Vorlage adäquat in das Medium Film um und darf daher als Meilenstein gelten. Miller behielt zudem als Co-Regisseur die künstlerische Kontrolle. „Sin City“ wurde auch ein finanzieller Erfolg, das Sequel wird bereits gedreht. Der Damm scheint gebrochen. Warner Brothers kaufte die Filmrechte an Millers Comic „300“ (1998) und investierte 60 Millionen, um den Film durch den Regisseur Zack Snyder realisieren zu lassen. Und die Investitionen wurden bereits am Eröffnungswochenende in den USA wider eingespielt.

„300“ schildert die Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr., in der sich 7.000 Griechen unter der Führung von 300 Spartanern einem Heer von 12.0000 Persern entgegenstellten. Miller zeichnet den spartanischen König Leonidas als Anführer einer kampfwilligen kleinen Eliteeinheit, der sich opferbereit und der Wirkung um Legenden bewusst in den aussichtslosen Kampf gegen den persischen Tyrannen Xerxes wirft.

Zack Snyder konnte sich mit einem Remake des Horror-Klassikers „Dawn of the Dead“ (2004) bewähren und setzte bei der Umsetzung der grafischen Vorlage wie Rodriguez auf Green Screen und Blue-Box-Technik, erschuf Millers Comic-Version des antiken Griechenlands als computergenerierte Kulisse, vor der reale Schauspieler agierten. Die ästhetische Umsetzung des Comics in das Medium Film ist gelungen, doch mussten Snyder und seine Co-Autoren das Drehbuch strecken um den Stoff auf Spielfilmlänge zu dehnen. Die zusätzlichen Szenen drehen sich im wesentlichen um die Intrigen im demokratischen Rat Spartas während der Abwesenheit König Leonidas und seiner 300 Elite-Kämpfer. Dieser Seitenstrang der Erzählung nimmt nicht nur das Tempo aus der Vorlage, sondern soll wahrscheinlich die archaische Heldensaga Millers in ihrer Kompromisslosigkeit entschärfen. Trotzdem muss sich der Film mehr noch als der Comic den Vorwurf gefallen lassen, in der Erzählung der opferbereiten und unbedingt gehorsamen Elite-Kämpfer faschistoide Züge zu tragen. Die gestreckten, martialischen Gewaltdarstellungen und die Hyper-Ästhetisierung der spartanischen Muskelmänner gegenüber den gesichtlosen Horden aus dem Osten trägt ihren Teil dazu bei. Man darf nicht nur erstaunt sein, dass der Film, wenn auch außer Konkurrenz, im Berlinale-Wettbewerb seinen Platz findet, sondern auch, dass diese Frage in den Besprechungen des Films praktisch unter den Tisch fällt. Wichtiger scheint manchen Filmkritikern die Frage zu sein, ob die Körper-Ästhetik des Films zu schwul für ein Mainstream-Publikum sei. Zack Snyder selbst beteuert, dass es ihm „in erster Linie um gute Unterhaltung, nicht um subversiven politischen oder schwulen Subtext“ ging. Dem ist leider nichts hinzu zu fügen. Der Film ist ohnehin für die 15-24-jährigen Video-Game-Fans konzipiert. Diese Zielgruppe wird sicher nicht unter fehlendem Subtext oder klaren Standpunkten leiden.

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Heldenepos oder Gewaltverherrlichung? – „300“ (Foto: Berlinale)

Das Comic-Oeuvre Frank Millers gibt da mehr Aufschluss über die Intentionen seines Autoren: Als Miller mit der Comic-Mini-Serie „The Dark Knight Returns“ (1986) Mitte der 80er nicht nur im Alleingang die Batman-Figur und mit ihr das gesamte Superhelden-Genre wieder belebte, brachte er auch neue, intellektuelle Inhalte in das Medium. Nie war der „dunkle Ritter“ düsterer und brutaler. Miller warf die alte Frage auf, ob Gewalt nur mit Gewalt zu bekämpfen sei und diskutierte sie gleichzeitig auf mehreren Ebenen seiner Geschichte und mit unterschiedlichen moralischen Prämissen seiner Figuren. Der Comic-Zyklus „Sin City“ (das erste Heft erschien 1991) bedient nicht nur Gewaltfantasien, sondern räsonniert über die Rechtfertigung von Selbstjustiz gegenüber Serienmördern und Triebtätern. Millers Geschichten ironisch zu nennen und damit die Gewaltdarstellung zu relativieren, trifft nicht den Punkt. Miller spitzt zu, malt schwarz-weiß, macht es vermeintlich eindeutig, doch man erschrickt vor der eigenen Zustimmung zur Gewaltanwendung und zur uneingeschränkten Sympathie mit Millers Helden. Doch das gelingt dem Film offenbar nicht. Zum einen lenkt der zusätzliche Handlungsstrang vom Fokus auf der behaupteten Unabdingbarkeit von Gewalt ab. Zum anderen liegt das Problem im Medium selbst. Als Action-Film und Comic-Adaption ist „300“ ein überaus gelungener Genre-Film. Aber der Film lässt im Gegensatz zum Comic keinen Freiraum zur Kontemplation der immer wieder dringlichen Frage: Wie gewaltbereit und gewalttätig, wie opferwillig muss eine freie Gesellschaft sein, um frei zu bleiben? (dakro)

300, USA 2007, 117 Min., 35 mm. Regie: Zack Snyder, Buch: Zack Snyder, Kurt Johnstad, Michael Gordon nach der Graphic Novel von Frank Miller und Lynn Varley, Kamera: Larry Fong, Schnitt: William Hoy; Darsteller: Gerald Butler, Lena Headey, David Wenham, Dominic West, Rodrigo Santoro u.a.

 

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