58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Der Poet als Präsident

„Obcan Havel / Bürger Havel“ (Pavel Koutecky, Miroslav Janek, Tschechische Republik 2008)

„Nova TV würde für diese Aufnahmen wohl 40.000 bezahlen“, mutmaßt Václav Havel, während er an seinem ihm ganz und gar nicht gemäßen Outfit aus Frack, Schärpe, Orden und Fliege herumfummelt. Nova TV, ein Privatsender im neuen Tschechien, war nicht dabei, wohl aber Pavel Koutecky, der den ersten Präsidenten der ehemaligen Tschechoslowakischen Republik und ab 1993 wiederum ersten Präsidenten der um Slowakien abgetrennten Tschechischen Republik zu einem dokumentarischen tête à tête gewinnen konnte. Was den Paparazzi entging, Koutecky – und nach dessen Unfalltod 2006 Miroslav Janek – sowie der mikroskopisch auf Gesten zoomende Kameramann Stano Slusny waren dabei – und das episodisch für mehr als zehn Jahre.

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Der Präsident denkt – poetisch (Foto: Berlinale)

Ganz offensichtlich gefällt es dem Poeten und ehemaligen Dissidenten (er initiierte sowohl die Charta 77 wie 1989 die „samtene Revolution“ in der ehemaligen CSSR), dass ihn ein Filmemacher bei seiner – imgrunde subversiven – Ausübung seiner Präsidentenämter begleitet. Havel trägt lieber T-Shirt und Cord-Jacke als den Anzug – schon damit fängt es an. Und der, den sie ihn wählten, als eine Symbolfigur der Revolution mehr denn als einen, der auf dem internationalen Parkett den „elder statesman“ abgeben könnte, sieht sich immer mehr als präsidentaler Dissident im System der neuen Demokratie, die alles den Gesetzen des unkontrollierten Marktes überlassen will. An der erst Solidarität dann Opposition zu Premier Václav Klaus verzweifelt „Bürger Havel“ ein um das andere Mal. Er will eine andere Politik, einen anderen Stil, er will den russischen Präsidenten lieber im Büro als im Palais empfangen und zur Not auch gerne mit ihm um die Wette trinken. Clinton hat er fast auf dem künstlerischen statt dem diplomatischen Parkett, wenn er ihm ein Saxofon schenkt, auf dem der mächtigste Mann der Welt unter Havels Regie den Saxofon-Clown gibt.

Allein, es bleibt schwierig, wenn die Poeten an die präsidiale Macht kommen, die sie eigentlich so nie wollten. Als Agenten des Widerstands waren sie erfolgreicher, jetzt presst man sie in Protokolle. Wohl wissend, dass eine solidarisch kritische Kamera dabei ist, läuft Bürger Havel zu ganz unbürgerlichen Tugenden auf. Er verweigert sich den stromlinientreuen Diplomaten, die ihm Ratschläge geben, wagt, die eigene Politik radikal zu kritisieren. Nur ist das auch der Keim seines Scheiterns, welchem Koutecky minutiös beim Wachsen zusieht. Mit Havel verbindet ihn dabei fast so etwas wie die Bande eines soziologischen Experiments à la Brecht: Was zu beweisen ist: Poetisches Dissidententum lässt sich auch postrevolutionär nicht in Politik übersetzen.

Ein Film voller Lacher, die Havel vor der dokumentierenden Kamera – nicht von den privaten Paparazzi, sondern von einem ihm verbundenen Beobachter – immer wieder zielsicher inszeniert. Er ist genug Dramatiker, um zu wissen, wie man das Theater spielt, das nicht Theater, sondern die traurige Wirklichkeit ist: Die Poesie bleibt nur Poesie, wenn sie nicht politisch ist. Oder umgekehrt? Bleibt nur Poesie, wenn sie Politik ist?

Die Langzeitstudie der beiden Regisseure dokumentiert einen Desillusionierungsprozess. Nicht von ungefähr, dass der Poet am Anfang des Politikmarathons noch fröhlich in einer Sitzung mit den PR-Beratern Poeme rezitiert, dagegen am Ende seiner Präsidentschaften bleich und gezeichnet erscheint. Was wir uns darob wünschen würden: Dass er darüber noch ein Drama schriebe, ein politisches, wie er es immer tat, ein dissidentisches, eine Poesie gegen die Politik. Letzteres haben Koutecky und Janek wohl schon vor seinem Entstehen verfilmt. (jm)

Obcan Havel / Bürger Havel, Tschechische Republik 2008, 120 Min., 35mm, R: Pavel Koutecky, Miroslav Janek, Kamera: Stano Slusny, Schnitt: Tonicka Janková

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