58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Den Wald vor lauter Bäumen besichtigt
„Reise zum Wald“ (Jörn Staeger, D 2008)
Ein Mythos: der deutsche Wald. Romantiker wie Eichendorff besangen ihn, saure Regen zerstörten ihn. Beides zeigt Jörn Staeger in seinem experimentellen Kurzfilmessay „Reise zum Wald“. Sprichwörtlich sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht, Staeger zoomt und zeitrafft sich durch das Dickicht und entdeckt dabei seltsam offensichtliche Valenzen in jedem Stamm.
Jeder Stamm ein Film (Foto: Berlinale)
Etwa den Wald als Wachstumszone, die zeitgerafft die Jahreszeiten auf wenige Sekunden komprimiert. Den Wald als Einbaumrest inmitten der urbanisierten Betonzonen. Den Wald als gelichtetes Opfer der ihm human beigebrachten Katastrophen. Kein Öko-Film dennoch, eher ein horrorrelevantes Splattermovie, wenn sich maschinelle Sägen im schnellen Takt der Schnitte durch das Holz fressen – der Mörder war immer der Förster.
Domestizierter und Urwald, Staeger setzt bewusst den Kontrast zwischen natürlich und künstlich. Einen Atem aus schnellen Zooms, Fahrten durch die Stämme der „kultivierten“ – oder besser: genormten – Baumschulen und einen Soundtrack, der das Schwirren der Insekten um die großen Pflanzen zu einer elektroverwirrten Soundscape konvertiert. Staeger zeigt den Wald als Natur und Horror, als Stillleben und Projektion unserer kulturalisierten Fantasien.
Der Horror des Stilllebens (Foto: Berlinale)
Dass wir eben diese Sphäre aus Wildnis und Leben roden, ist einerseits unsere Angst, die der Film „hänsel und gretelnd“ evoziert, andererseits unser Gestaltungswillen, die Natur in unsere Grenzen zu zwingen.
Ja, klar, ist das ein Öko-Film, wenn am Ende der Zoom die gerodete Lichtung zeigt. Allein, es ist die Rodung im Kunstprodukt der Anpflanzung. Was die stört, ist wahrlich die Natur, das Wilde, das all unsere Unternehmungen als Naturgestalter überwuchert.
Ein Wald, der auch auf der Fototapete, von der die Kamera täuschend „echt“ wegzoomt ins deutsch gewaldete Wohnzimmer, immer noch Wald ist. Urdeutsch, urromantisch – aber vielleicht ungestümer, als wir vermuten. Die rasch gerhythmischten Schnitte, die irrwitzigen Zeitraffer, die hochgeschwinden Zooms und Kamerafahrten – all das macht den Wald erfahrbar als unser letztes, weil noch unerforschtes Residuum. Selbst in der Domestikation der Parklandschaft. (jm)
Reise zum Wald, D 2008, 7 Min., 35mm 16:9, Buch, Regie, Kamera, Schnitt: Jörn Staeger. Gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.