57. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2007

Das Küstenvolk will mehr

Manchmal sind die kleinen Erfolge vor Ort unversehens die gar nicht mal so kleinen, sagen wir ruhig: die großen. Dass Sung-Hyung Chos Dokumentarfilm „Full Metal Village“ (gefördert u.a. vom Konzert der Kulturellen Filmförderung S.-H. und der MSH) nach dem Hessischen Filmpreis und dem von der MSH im letzten Jahr neu ins Leben gerufenen Schleswig-Holstein Filmpreis nun auch noch als erster Dokumentarfilm überhaupt ganz oben auf dem Treppchen des renommierten Max-Ophüls-Nachwuchsfilmpreises steht, nimmt man im kleinen Filmland Schleswig-Holstein fast schon als Selbstverständlichkeit wahr.

Der jahrelang mal selbstironisch, öfter aber peinlich zur Schau getragene Minderwertigkeitskomplex, nur ein winziger David unter den bundesdeutschen Film-Goliaths zu sein, ist auf dem Film-Brunch des „Küstenvolks auf der Berlinale“ am Dienstag, dem 13. Februar in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung, zu dem die Landesregierung, die Kulturelle Filmförderung S.-H. und die MSH mehr denn je Gäste begrüßen durften, so schnell geschwunden, wie man plötzlich und erstaunlich wer ist im Haifischteich der bundesdeutschen Filmemacher. Irgendwie ist das wie in Wacken, dessen international renommiertes Heavy-Metal-Festival Chos mehrfach preisgekrönter Film einfühlsam porträtiert: Der Norddeutsche macht nicht viel (eher zu wenig) Aufhebens davon, wenn er mal nicht nur geografisch „ganz oben“ ist.

So provinziell das Minderwertigkeitsgefühl war, so professionell mutet jetzt das neue Selbstbewusstsein an. Sowohl Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der das Kulturressort zur unerwarteterweise gar nicht immer provinziell „plattdeutschen“ Chefsache gemacht hat, wie auch der Hamburger (mit traditionell sehr gutem Draht zum nördlichen Nachbarn) Wüste Film-Produzent Ralph Schwingel und die landeseigene und -typische Schauspieler-Ikone Peter Heinrich Brix sind sich einig: Wir können mehr als bloß pittoreske Locations zwischen Deich-Romantik und Windmühlen-Don-Quichotterie bieten. Nicht erst, sondern einmal mehr habe Chos Preisabräumer dies gezeigt.

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Peter Harry Carstensen …

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Ralph Schwingel …

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und Peter Heinrich Brix sind sich einig … (Fotos: jm)

Allein, über dem gallischen Filmdorf, dessen Zaubertrank zur Zeit gewisse Ausstrahlungseffekte zeitigt, die selbst römische Filmreiche erzittern lassen, hängt ein Damoklesschwert: die filmfördernde Fusion mit dem medial weitaus gewaltigeren Nachbarn Hamburg. Ein Damoklesschwert deshalb, weil viele befürchten, dass trotz der Synergieeffekte eines filmisch unisono auftretenden Nordens das Land zwischen den Meeren mit seiner wohl einzigartigen Filmkultur auf der Strecke bliebe. Der gemeinsame Medienstaatsvertrag steckt in der Krise und ob aus der filmfördernden Fusion trotz aller Querelen noch etwas wird, dazu mag sich Peter Harry Carstensen „erst morgen“ äußern, denn erst dann trifft er den Kollegen Ole von Beust, um unter anderem darüber mit ihm zu reden. Geschickt, man muss es so nennen, umschiffen die Nordlichter ihre alte wie neuerliche Identitätskrise, die eine gemeinsame ist und darin wiedermal sehr „old school“. Zwischen der Scylla der Fusion und der Charybdis der landestypischen Kleinkrämerei scheint das Fahrwasser noch immer aufgewühlt. Allein, man predigt Hoffnung und weiß selbst nicht so recht, wo der Haken anstelle des Hammers hängt.

Noch ist man kein Odysseus, der dem Klang der Sirenen trotzt, allein, das Wachs ist nicht mehr in den Ohren. Schon gar nicht weichzeichnend auf den Objektiven der landes-geförderten Filmkameras. Mit der ihm eigenen Chuzpe plädiert Peter Heinrich Brix gar für einen filmischen Nordverbund, der neben Hamburg gleich noch Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern eingemeindet. Chapeau! – gemeinsam wären wir stärker als nur stark, Zusammenlegung jetzt! Nur wofür genau? Entsprechend bedeckt, so erlauscht man am Rande der Interviews, hält sich Peter Harry Carstensen gegenüber solchen Vorschlägen. Noch mehr zu wollen, das wäre vielleicht Hybris. Noch weniger zu wollen indes Aufgabe.

Dennoch trumpft der Norden mehr denn je auf, die Veranstaltung am Rande der Berlinale wirkt erstmals nicht nur als Treffen der Entouragen, sondern geradezu aufbrüchig. Wobei darin das Wort „brüchig“ steckt. Noch sind die sieben Brücken, über die Schleswig-Holstein als Filmland gehen muss, siebenjährig, vielleicht auch nur siebentägig. Derweil aber sitzt Sung-Hyung Cho Arm in Arm mit einem ihrer nicht nur finanziellen, sondern auch ideellen Förderer, Bernd-Günther Nahm von der Kulturellen Filmförderung S.-H., im pittoresk nordischen Strandkorb zum kleinen Foto-Shooting.

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Foto-Shooting für ein kleines, großes Filmland: Sung-Hyung Cho und Bernd-Günther Nahm

Wie sagte Peter Heinrich Brix so schön – und so utopisch?: „Filmemacher wollen Filme machen, keine Anträge ausfüllen.“ Ob es dahin kommt, werden wir sehen, in „Full Metal Village“ sehen wir es schon. (jm)

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