58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Berlinale-Retrospektive 2008: Luis Buñuel und Specials
Auftakt und abschließender Höhepunkt der Retrospektive „Luis Buñuel“ bilden zwei Specials in der Volksbühne, die Buñuels berühmtes Debüt ins Zentrum stellen: Der Stummfilm Un chien andalou (Ein andalusischer Hund, Frankreich 1929) wird insgesamt viermal mit verschiedenen zeitgenössischen Musikwerken live begleitet. Am 9.2.2008 wird Un chien andalou zusammen mit einem weiteren Meisterwerk des surrealistischen Films, Jean Epsteins La chute de la maison Usher (Der Untergang des Hauses Usher, Frankreich 1928) gezeigt, bei dem Buñuel als Regieassistent mitarbeitete. Beide Filme werden in restaurierten Fassungen präsentiert und von den niederländischen Musikern Maud Nelissen, Merima Kljuco und Frido ter Beek begleitet. Mit ihrer Improvisation geben sie dem Poetischen und der Intensität der filmischen Welten Buñuels und Epsteins einen adäquaten klanglichen Raum. Die Komponistin und Pianistin Maud Nelissen gehört zu den renommiertesten europäischen Stummfilmmusikern. Diese Aufführung in Kooperation mit der Volksbühne wird von der französischen Botschaft unterstützt.
Am Berlinale-Kinotag, dem 17.2.2008, nähern sich die 21 Musiker der spanischen Grup Instrumental BCN216 in der Volksbühne unter dem programmatischen Titel 3 chiens Buñuels Debütfilm mit drei aufeinanderfolgenden Projektionen von Un chien andalou, die musikalisch unterschiedlich gestaltet sind: Clonic Mutations des katalanischen Musikers Sergio López, eine klangliche „Entmystifizierung“ von Buñuels Klassiker voll schwarzem Humor, Szénario von Mauricio Kagel, eine Filmkomposition von 1981/82, Las siete vidas de un gato von Martín Matalón, eine freie Assoziation von Bild und Klang. Die Grup Instrumental BCN216 zählt zu Spaniens erfolgreichsten Ensembles für zeitgenössische Musik und gastiert mit 3 chiens zum ersten Mal in Deutschland. Diese Matinée wird in Kooperation mit dem Instituto Cervantes, dem INAEM – Ministerio de Cultura, dem Institut Ramon Llull und der spanischen Botschaft präsentiert.
Die Retrospektive zeigt ergänzend zu den 32 Regiearbeiten Buñuels ein Programm mit acht Filmen, die sein Schaffen als Regieassistent, Produzent und Drehbuchautor vorstellen. Bei Epsteins Film Mauprat (Frankreich1926) arbeitete Buñuel zum ersten Mal als Regieassistent und ist auch in zwei kleinen Rollen als Mönch und als Wachsoldat zu sehen. Im Spanien der 1930er Jahre produzierte Buñuel als teilhabender Produzent der Produktionsgesellschaft Filmófono vier populäre Filme, bei denen er ungenannt auch als Ko-Regisseur verantwortlich zeichnete: Don Quintín el amargao (Don Quintín, der Verbitterte), La hija de Juan Simón (Die Tochter des Juan Simón), ¿Quien me quiere a mi? (Wer liebt mich?) und ¡Centinela alerta! (Der aufmerksame Wachtposten). Don Quintín el amargao war kommerziell außerordentlich erfolgreich, und Buñuel verfilmte die Vorlage 1951 in Mexiko ein weiteres Mal unter dem Titel La hija del engaño (Die Tochter der Täuschung). Für Robert Floreys The Beast With Five Fingers (USA 1946) schrieb er während seines USA-Aufenthalts eine Episode. Diese Szene ist im fertigen Film nicht enthalten, einzelne Bildfolgen in Floreys Film sind jedoch von Buñuels „körperloser“ Hand inspiriert. Jahre später greift Buñuel diese Idee in El ángel exterminador (Der Würgeengel, Mexiko 1962) wieder auf. Für die amüsante Screwball-Comedy Si Usted no puede, yo sí des mexikanischen Regisseurs Julian Solér, verfasste Buñuel 1950 das Drehbuch.
Specials im CinemaxX
Die Retrospektive stellt außerhalb des Buñuel-Programms vier neu restaurierte Stummfilme als Specials vor: Carl Theodor Dreyers Die Gezeichneten (Deutschland 1921) zeigt eindringlich antisemitische Pogrome und revolutionäre Bewegungen im Russland des frühen 20. Jahrhunderts (Restaurierung Danish Film Institute). Für Robert Reinerts Nerven (Deutschland 1919) findet der Kameramann Helmar Lerski beklemmende Bilder für die vom Ersten Weltkrieg traumatisierten Protagonisten (Restaurierung Filmmuseum München). Die Restaurierung von Schatten der Weltstadt (Willi Wolff, Deutschland 1925) durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung macht einen der wenigen erhaltenen Filme mit Ellen Richter, Star des deutschen Sensations- und Abenteuerkinos und Produzentin, wieder zugänglich. Ein weiterer fast vergessener Stummfilmstar, Betty Compson, hat einen großen Auftritt als Belle of Broadway (Harry O. Hoyt, USA 1926) in einem von Sony/Columbia aufwändig restaurierten Film. Maud Nelissen und Joachim Bärenz begleiten die Filme am Klavier.
Nach der Berlinale geht das Programm auf Reisen: Kooperationspartner sind das Österreichische Filmmuseum Wien, das sie im Anschluss präsentiert, und das Filmmuseum München, das die Filme ab März 2008 zeigt. Im Fernsehen begleitet 3sat die Retrospektive ab dem 7. Februar mit der Filmreihe „Der Zauber des Surrealen. Luis Buñuel und die Folgen“.
(nach einer Pressemitteilung der Berlinale)