58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008
Architektur als Autobiographie
„Loos Ornamental“ (Heinz Emigholz, Ö/D 2007)
Heute als Pionier der Moderne anerkannt, erregte der österreichische Architekt und Architekturtheoretiker Adolf Loos im Wien Anfang des letzten Jahrhunderts die Gemüter mit schmucklosen Fassaden und Polemiken gegen das Ornamentale. Dass die Architektur des Adolf Loos sich aber nicht einfach anhand dieser biografischen Notizen verorten lässt und von einer überraschenden Komplexität ist, zeigt der Künstler, Autor und Filmemacher Heinz Emigholz in „Loos Ornamental“ auf eine kompromisslose, filmische Weise, mit der er architektonische Räume für die Leinwand einfängt.
„Loos Ornamental“ ist bereits der 13. Film, den Heinz Emigholz im Rahmen seines Langzeitprojektes „Photographie und Jenseits“ realisiert. Architektur bildet einen Schwerpunkt in der Reihe, Emigholz beschäftigte sich zuvor mit „Sullivans Banken“ (D 1993), „Maillarts Brücken“ (D 2001) und „Goff in der Wüste“ (D 2003). Nach „Schindlers Häuser“ (D 2007) über den ebenfalls österreichischen Architekten Rudolf Schindler geht Emigholz chronologisch eine Generation zurück und zeigt in „Loos Ornamental“ 27 Bauten von Adolf Loos in Wien, Tschechien und Paris. Emigholz hat den nüchternen, fotografischen Ansatz seiner Filme beibehalten. Mit starrer Kamera „nähert“ er sich den Gebäuden von außen, stellt sie zunächst in den Zusammenhang ihrer Umgebung, denn „sie funktionieren nur in Relation zu einem ganz bestimmten Ort“, so Emigholz. Wichtige Details stellt die Kamera heraus, die Einstellungen gewähren jeweils genug Zeit, das Gezeigte gründlich zu erfassen. Um die von Loos entworfenen Innenräume für den Zuschauer noch besser erfahrbar zu machen, hat Emigholz seine filmischen Mittel weiter verfeinert. Während die sorgfältig gestaltete Tonebene ganz wesentlich zum Raumgefühl beiträgt, macht der Einsatz von Zeitraffer-Aufnahmen die Atmosphäre der Räume durch die wechselnden Lichtverhältnisse spürbarer und den dreidimensionalen Entwurf sichtbarer. Zusammen mit den von Emigholz gewählten Perspektiven und Kadrierungen gelingt eine Übersetzung der räumlich komplexen Entwürfe in zweidimensionale Bilder für die Leinwand.
Emigholz präsentiert die Gebäude in der chronologischen Abfolge ihrer Entstehung. Nach einer gesprochenen Einleitung, in der wir erfahren, dass Adolf Loos 1870 in Brünn, dem heutigen tschechischen Brno, als Sohn eines Steinmetzes geboren wurde, konzentriert Emigholz den Zuschauer ganz auf das Lebenswerk. „Architektur als Autobiographie“ lautet folgerichtig der Untertitel der monografischen Filmreihe.
Schmucklose Fassade erregte die Gemüter –
Haus am Michaelerplatz, Wien (1909-11)
Nach bautechnischer Ausbildung an deutschen Schulen und Militärdienst verbringt Adolf Loos drei Jahre in den USA, schlägt sich als Heizer, Tellerwäscher und technischer Zeichner durch. Als er 1896 nach Europa und Wien zurückkehrt, bringt Loos aus Amerika nicht nur Eindrücke völlig gegensätzlicher Architekturstile mit, sondern eine neue Lebenseinstellung, geprägt vom Ideal der Unabhängigkeit und Individualität. Ende des 19. Jahrhunderts gründete sich die Wiener Secession als Gegenbewegung zum tradierten Kulturempfinden in der K&K-Monarchie. Loos proklamiert eine radikal gegensätzliche Haltung zu der von geschwungenen Linien und Ornamenten geprägten Formensprache des Jugendstils und der Wiener Werkstätten, die in seiner berüchtigten Streitschrift „Ornament und Verbrechen” von 1908 kulminiert. Die „evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande”, heißt es darin. Loos erklärt jegliches Ornament für zeitraubende, überflüssige Arbeit. Die Entwicklungsstufe einer Kultur lässt sich nach seiner Auffassung aus ihrem Verzicht auf Ornamente ablesen.
Natürliche Ornamentik durch Wahl der Materialien –
Haus am Michaelerplatz, Wien (1909-11)
Diese Aussage muss oft als Quintessenz seiner Architekturtheorie herhalten. Tatsächlich war Loos kein Feind jeglicher Verzierung, als Teil der privaten und persönlichen Einrichtung akzeptierte er sie jederzeit. Auch benutzte er für die von ihm entworfenen Inneneinrichtungen gerne Mobiliar vergangener Stilepochen, weil sie ihm immer noch unverbessert erschienen. Doch selbst schuf er keine Ornamente im klassischen Sinne. Loos war ein Mann der Widersprüche, der in seinen Schriften modernistisch auf Groß- und Kleinschreibung verzichtete, weil er sie für unnütz befand, aber veraltete Schrifttypen benutzte, da es seiner Meinung nach keine lesbareren gab.
Spiel mit Asymmetrien und Materialmix – Buchhandlung Manz, Wien (1912)
Adolf Loos verzichtete zwar völlig auf vordergründige Ornamentik, doch „Loos Ornamental“ macht deutlich, dass seine Architektur deshalb nicht von einer gewollten Schlichtheit ist. Loos wählte Materialien – Holz für Vertäfelungen, dunklen und grünen Marmor für Fassaden und Böden – die bereits eine natürliche, dekorative Maserung aufweisen. Für die Auswahl des Marmors reiste er sogar in dessen Ursprungsländer. Seine Architektur spielt mit Asymmetrien und Formen. Hinter meist abschließenden Fassaden sind die Inneneinrichtungen geprägt von aufregendem Materialmix, kleinen Nischen, Deckenbalken, aber vor allem von einer mit den Jahren zunehmenden, räumlichen Komplexität, die sich nicht in einfachen Grundrissen ausdrücken lässt.
Abgeschlossene Fassaden, komplexe Innenräume – Villa Müller, Prag (1928-30)
Das filmische Konzept von „Loos Ornamental“ geht auf. So reizvoll der Besuch der Bauten ist, die filmische Kompilation ist in ihrer Möglichkeit der Bildmontage und vergleichenden Darstellung überlegen. Heinz Emigholz besteht nicht nur auf reduzierte filmische Mittel, er besteht auch auf Film im Gegensatz zum Video. Eine optimale Präsentation von Architektur auf der Bild- und Tonebene geben ihm Recht. Ihm gelingt zum wiederholten Male der Versuch, das Kino als meditativen Raum für die Erfahrung von Architektur zu nutzen. Mit der Auswahl von Architekten der Moderne und ihren direkten Vorläufern für seine monografischen Filme schärft Emigholz zudem den Blick für die architektonische Gegenwart. (dakro)
Eine sorgfältige DVD-Edition der im Artikel genannten Architektur-Filme von Heinz Emigholz erscheint bei der Filmgalerie 451.
Am 27. Oktober zeigt das Kommunale Kino Kiel „Schindlers Häuser“ von Heinz Emigholz. Ein Termin für „Loos Ornamental“ ist in Planung.
Loos Ornamental, Ö/D 2007, 99 Min., 35 mm, Konzept, Regie, Kamera, Schnitt: Heinz Emigholz, Originalton: Christine Gloggengiesser, Tongestaltung: Christian Obermaier, Tonmischung: Eckart Goebel, Produktion: Amour Fou, Wien, KGP Kranzelbinder Gabriele Production, Wien, in Zusammenarbeit mit der Heinz Emigholz Filmproduktion Berlin