Strahlende Helden in einer traurigen Welt

„Holunderblüte“ (D 2008, Volker Koepp)

Volker Koepp, der Chronist des Ostens, kehrt mit seinem Dokumentarfilm „Holunderblüte“ wieder nach Ostpreußen zurück und beschließt so nach seinen Filmen „Kalte Heimat“ (1995), „Fremde Ufer“ (1996), „Die Gilge“ (1998) und „Kurische Nehrung“ (2001) seinen Zyklus über diese berauschende Landschaft und ihre Menschen. „Holunderblüte“ ist ein sehr schöner und zugleich auch recht trauriger Film. Schauplatz des Geschehens ist die ländliche Gegend zwischen Kaliningrad (dem ehemaligen Königsberg) und dem Kurischen Haff in der russischen Enklave Oblast Kaliningrad, die vom schleichenden Verfall besiegt zu sein scheint. Ob dieser lethargisch hingenommen oder bewusst herbeigeführt wird, mag auf den ersten Blick dahingestellt sein, jedenfalls versinkt die Zivilisation in trister Apathie der Erwachsenenwelt, die gekennzeichnet ist von Armut und Alkoholismus. Strahlende Helden in Koepps neuen Geschichten sind die Kinder, die eine solch optimistische, ungebrochene Lebensfreude an den Tag legen, wie sie so wohl bloß Kindern zueigen sein mag. So hoffnungslos ihre Zukunft wegen der trüben Verhältnisse auch erscheint. Um so mehr man diese Kinder kennen lernt, um so weniger wird einem um sie bang. Alle sind von den Verhältnissen geschult, lebensklug und erfrischend aufrecht. Doch alle wollen sie weg aus ihrer Heimat, in der sie auf Dauer keine Perspektive für sich sehen.

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Kleine Helden des Alltags – „Holunderblüte“

Der Regisseur hat die Kinder durch die Jahreszeiten begleitet, lässt sie erzählen von ihrem täglichen Leben, von ihren Spielen, von ihren Träumen und Sehnsüchten. Die Erwachsenen kommen in diesem Film recht spärlich vor und scheinen sich relativ wenig um ihre Sprösslinge zu kümmern. Letztere sind eher auf sich allein gestellt und meistern ihren Alltag mit Bravour. Neben Schule und Spielen scheinen sie sich auch mehr oder weniger selbst versorgen zu müssen. Und so sieht man dann abends Zehnjährige die eher wenigen Kühe aus der Landschaft nach Hause zum Melken treiben und sich gleichzeitig noch um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Kaum ein Erwachsener ist auf den dörflichen Straßen zu sehen. Nur bisweilen ein paar betrunkene, vom Schnaps „dahinsiechende“ Mütterchen. Der Zuschauer bekommt von den Kindern erzählt, dass einige Erwachsene irgendwo in Kaliningrad oder Sowetsk (ehemals Tilsit) arbeiten oder sich ansonsten arbeitslos dem Alkohol hingeben. So klagt ein kleines Mädchen: „Schlecht ist nur, dass hier alle Alkoholiker sind. Wenn es die nicht gäbe, wäre es hier viel schöner.“ – „Egal wo man hinschaut, überall nur Trinker“, beschreibt die Schwester ergänzend die Nachbarschaft, „da, da und da, in allen Häusern. Nur in dem nicht.“

Die Kinder haben sich eine Alternativwelt zum Elend der Erwachsenen geschaffen. Gegenseitige Fürsorge, freundschaftliches Miteinander und eine schier unbegreifliche Fröhlichkeit halten ihre Welt intakt. Die überbordende Natur liefert ihnen einen unerschöpflichen Abenteuerspielplatz und eine vitale Freiheit, die für vieles zu entschädigen scheint. Und auch das halten der Erzähler Koepp und sein Kameramann Thomas Plenert für uns bereit. Ostpreußische Natur zum Träumen, die durch den Kontext eine wehmütige Traurigkeit hervorruft. Weite Himmel, zugewachsene Alleen, blühende Wildnis, dazu melancholische Akkordeonmusik (Rainer Böhm, Katharina Thomas/Gesang). Märchenhafte Filmsequenzen aus einer verwunschenen Welt, in der die geduldige Natur alles zurückerobert und nur noch die Unschuld der Kinder hoffen lässt, das aber um so heftiger. (Helmut Schulzeck)

„Holunderblüte“, D 2008, 89 Min., Video auf 35mm gefazt, Regie: Volker Koepp, Buch: Barbara Frankenstein und Volker Koepp, Kamera Thomas Plenert, Schnitt: Beatrice Babin. Gefördert durch Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH, Mitteldeutsche Medienförderung GmbH, Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein e.V.

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