Ein langer Film über die Liebe
„Still-Leben“ (Bernd Fiedler, D 2008)
Eine junge Frau, ein älterer Mann, seine Chance für ein nochmal verjüngtes Leben, ihre Angst vor dem Altern der Liebe. Ein fast klassisches Bergman-Setting hat sich Bernd Fiedler für seine zweite Drehbank-Produktion „Still-Leben“ ausgesucht. Eine gute Wahl im Vergleich zum ersten Film nach dem Drehbank-Konzept, „Kein Kinderspiel“.
War in „Kein Kinderspiel“ die Handlung teilweise verworren, schien der Regisseur, Kameramann und Drehbuchautor Fiedler sich und mit ihm seine Geschichte in den Vernetzungslinien neuer Produktionsstrategien à la Drehbank zu verfangen, herrscht im „Still-Leben“ – nicht nur wegen des Titels – jene Ruhe der Besinnung und Konzentration, die die Drehbank langsamer und somit präziser die Skulptur der Geschichte aus dem Holz des Filmischen schnitzen lässt. Erst jetzt ist die Drehbank auf Touren – weil sie sich mit der gebotenen Stille dreht.
Eine Stille, die sich Zeit nimmt zum Erzählen, ein langer Film über ein Thema, das ob der Vielzahl seiner Abhandlungen fast schon vermessen scheint: die Liebe. So lang der Film, so kurz skizziert ist sein Plot – und das ist ein gutes Zeichen. Sonja (Margrit Sartorius), Fotografin mit nur selten eingelöstem künstlerischen Anspruch, liebt Erwin (Siemen Rühaak). In einem Sommerhaus an der Ostsee wartet sie mehr auf den viel beschäftigten und für seine nicht nur beruflich, sondern auch amourös umtriebigen Tätigkeiten kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Sozialarbeiter mit Aufstiegsambitionen, als dass er bei ihr ist. Längst schon hat er sich von ihr verabschiedet. Wohin soll sie also? In die Arme des von seiner Frau verlassenen Bauern Grewien (Thomas Reisinger), den sie seit Kindheitstagen kennt – „Ich als Mutter und Hausfrau – Kannst du dir das vorstellen?“
Eine kleine, wahrscheinlich gar zu alltägliche Geschichte, die Fiedler als zuweilen bedrängend dichtes Kammerspiel verfilmt. Eng ist das Sommerhaus, in dem die Kamera doch die Nähen und Distanzen entdeckt, die sich zwischen Sonja und Erwin auftun und zwischen Sonja und dem Bauern nicht überbrückt werden können. Die fast ständig bewegte Kamera wirkt bewegend, sie motorisiert die Gefühle. Manches Dialogdetail ist dabei vielleicht noch übersteuert deutlich, manches aber auch so weit und vieldeutig wie die in raschen Schnitten gereihten Naturgroßaufnahmen, die als zarter Kommentar der Gefühlsverwirrungen dienen. Und sowas wie dies ist auch im Dialog ein poetisches Sternstündchen: Sonja: „Ich suche einen Weg zu mir selbst.“ Erwin: „Verlauf dich nicht!“ Sonja: „Du bist mein Hirte …“
Dazwischen die wirklichen Stillleben, die Sonja beständig aufs Foto zu bannen versucht. Ein griechischer Torso, ein Hammer im Sand und – ein weißes Ei auf weißem Grund. Die Königsdisziplin der Fotografie, die Fiedler nicht nur als Symbol für das Unabbildbare der Wunschbilder menschlichen Liebens einführt, sondern auch als Selbstreflektion des Films auf den Film. „Kunst ist die absolute Kontrolle durch den Menschen selbst“, sagt Sonja. Ein Schlüsselsatz, der auch für das Medium Film und seine Probleme genau damit gilt.
Nur ein wenig zu viel Tiefsinn, Symbolik und philosophische Reflektion in einem langen Film über die Kürze der Liebe und des Lebens, der ansonsten auch gerne drastisch wird. Dass Margrit Sartorius sich des öfteren nackt zeigen muss – weil Sonja es nicht anders wollen kann, dass die Kamera gerade hier vom Gefühlsbeobachter auch zum Voyeur wird, ist ein kleines Manko, weil nicht immer durchgängig motiviert. Dennoch ein verzeihlicher Fehler einer Kamera, deren Bekenntnis eben die Unmittelbarkeit, auch die körperliche, ist.
Das „Still-Leben“ ist ein solches, lebendig bis zur verhaltenen Gefühlsexplosion, still in seiner minutiös, geradezu mikroskopisch beobachteten, jedoch nicht wertenden Haltung gegenüber den Figuren. Ein inniger Film, der es im Fernsehen, für das er laut Drehbank-Konzept produziert wurde, nicht leicht haben wird. Und vielleicht ist das gerade gut so. (jm)
„Still-Leben“, D 2008, 88 Min., HDV 16:9. Buch, Regie, Kamera: Bernd Fiedler, Schnitt: Kai Zimmer, Darsteller: Margrit Sartorius, Siemen Rühaak, Thomas Reisinger u.a.
Premiere am 12.3., 18.30 Uhr im Rahmen der FilmKinoWerkstatt der Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein zum Thema „Kleine Kamera, großes Kino“. Weitere Aufführung im KoKi Kiel am 18.3., 18.30 Uhr.