chiffren: Neue Musik – alte Sprache
Ensemble Modern und ensemble reflexion K musizierten zwischen Kulturen und Tönen.
Ist Musik eine Sprache? Was sind ihre Worte, Silben, wie lautet ihre Grammatik? Das renomierte Ensemble Modern gab darauf im Eröffnungskonzert der „chiffren – kieler tage für neue musik“ eine Antwort im Dialog zwischen Ost und West, während das Eckernförder ensemble reflexion K sie am Sonnabend in den Zwischenräumen der Töne, in der Stille suchte.
„Echt cool“ finden die jugendlichen Zuhörer in der nicht nur zum Eröffnungskonzert fast ausverkauften Halle400 Tan Duns „Concerto for Six“. Das mag daran liegen, dass Tan Dun, der als einer der wenigen Komponisten Neuer Musik bis in die Filmmusik vordrang (z.B. „Tiger and Dragon“), die „alten Sprachen“ des Rock und der Programmmusik zitiert – mit der Ironie eines Chinesen, der auf die westlichen Idiome der Musik schaut. Und vielleicht findet die Post-Pop-Generation in einer mittlerweile bis zur Beliebigkeit globalisierten Welt genau das „cool“.
Auf noch „Altsprachlicheres“ bezieht sich Manfred Stahnke in den „Klagen der Eurydike“. Seine mikrotonale Melodik ist an Sprachgesten angelehnt. Die Sopranstimme gestaltet weniger die Worte als deren Stimmungen, ja, in den Seufzermotiven meint man einen Bezug zur barocken Affektenlehre zu entdecken. Auch hier fußt die Sprache der Neuen Musik also auf manchem alten „Dialekt“. In Isang Yuns „Oktett“ bezieht sich derlei sogar auf das gute alte konzertante Prinzip eines Frage-Antwort-Spiels der Instrumente.
So weit zu den Worten der (neuen) Sprache. Mit deren Grammatik beschäftigt sich Dieter Mack in seiner „Kammermusik IV“, nämlich mit der Haltung der Sprecher/Musikanten. Die Instrumente sprechen in einem „kollektiven Chor“, bei dem das Ensemble Modern besonders auf das Timing des Dialogs achtet. Das ist in der indonesischen Kultur ein anderes als im Abendland, spontaner, improvisierter und dennoch präziser.
Den Silben der neuen Sprache der Neuen Musik kommt das ensemble reflexion K im Konzert unter dem Motto „zwischen den Tönen“ näher. Sergej Newskis „Blindenalphabet“ versteht sich als „blindes Tasten“ auf den Instrumenten. Hier wird „on stage“ experimentiert mit den sprachähnlichen Rhythmen des Atems. Sprache, die der Worte wie die der Musik, beruht auf körperlichen Bewegungen. Oft sind das nur stummfilmartige Lippenbewegungen in Niels Rønsholdts „Lust, Melancholy“. Die Texte von Paul Auster und Georg Büchner sind nur partiell als solche zu verstehen, wohl aber versteht man ihren schmerzlichen Ausdruck auch ohne Worte, nämlich in den Gesten der Musik.
Ähnlich nähert sich Gerald Eckert zwei Gedichten in seiner „Studie über Nelly Sachs“. Die Stimme als Plosivlaut kurz vor dem Verstummen dessen, was sie nicht sagen, nur singen kann. Heftige instrumentale Ausbrüche zwischen Momenten der geformten Stille. Letzterer spürt auch James Saunders in „#090208“ nach. Hier musiziert reflexion K immer so am leisesten Anschlag des Ansprechens der Luftsäulen und Saiten, dass nur das Kontinuum der Lüftung in der Halle400 stört.
Die Brücke zurück zur Sprache vor ihrem womöglich notwendigen Verstummen schlägt Gordon Kampe mit seiner Auftragskomposition, die bei chiffren uraufgeführt wird. Den Faktor „X – mit großem Solo“ hat er gleichwohl schon im Titel. Sprache als die große Unbekannte – bei Kampe ist sie das manchmal pubertäre Spiel mit Hektik, Kinderflöten im Mund der Musiker und „Gimmicks“ wie Luftballon und Ravioli-Dosen als Klangereignissen. Dennoch wirkt das Werk ausgereift in seinem spielerischen Umgang mit Zitaten von Josquin bis Jazz. Einmal mehr ist Sprache für die aktuellste Neue Musik der Fundus, dem man nicht mehr traut, eben weil man ihm mal so vertraut war. Und gerade dafür gibt’s auch manches altsprachliche „Bravo!“ (jm)