Sieben Versuche über eine Filmpremiere
„Handycap“ und „Sieben Versuche zu fliegen“ im Kieler Klostergarten
Erster Versuch
Ein Werbehandy läuft durch die Stadt und erlebt kleine Abenteuer. Es trifft auf freundliche und weniger freundliche Menschen. Der Traum vom Fliegen lässt Sebastian nicht mehr los – mit Beharrlichkeit und Optimismus versucht er, sich von der Schwerkraft freizumachen. Eine besondere Filmpremiere erlebten die Kieler Kurzfilme „Handycap“ und „Sieben Versuche zu fliegen“ von Jan-Gerrit Seyler und Sarah Roloff am 25. August im Kieler Klostergarten Café und dem Kommunalen Kino in der Pumpe.
Zweiter Versuch
Worin liegt der Zweck einer Nachbesprechung, die ein Ereignis anpreist, das in der Vergangenheit liegt? Diejenigen, die dabei waren, wissen, dass es schön war. Diejenigen, die nicht dabei waren, werden nicht mehr dabei sein können. Wozu noch darüber schreiben?
Dritter Versuch
Deswegen: Notwendig ist ein Anpreisen dieser beiden ausgezeichneten Filme, die mit Sicherheit noch einige Male in Kiel zu sehen sein werden. Jan-Gerrit Seyler und Sarah Roloff sind zwei wunderbare kleine Filmkunstwerke gelungen, sehr unterschiedlich gehalten in Form und Inhalt, die sich am Premierenabend trotzdem auf eindrucksvolle Weise ergänzten und verbanden.
Notwendig ist auch ein Anpreisen des Ortes: Das Klostergarten Café von Jen & Eike Schröder bietet eine kleine Oase in der Stadt, zentral gelegen in der Falckstraße, zwischen kleinem Kiel und Altem Markt. In den Räumen des Klosters finden Ausstellungen und Lesungen ihren Platz. Bei sonnigem Wetter versorgt der kleine Gartenpavillon Besucher mit kleinen Speisen und Getränken. Bei schlechtem Wetter bleibt er geschlossen. Für die Doppelpremiere der beiden Filme sollte der Garten ursprünglich als Open-Air-Kulisse dienen, doch Wind und die Kieler Jazz-Nacht am Alten Markt brachten die Filmemacher dazu, die Vorführung ins benachbarte Pumpenkino zu verlegen. Den Wechsel vom Garten ins Kino begleitete Klostervogt Gerd Heinrich auf dem Carillon, dem Glockenspiel des Kieler Klosters, mit dem Lied „Wild Vögelein“ aus dem Film von Gerrit Seyler.
Vierter Versuch
Sarah Roloff hat einen Dokumentarfilm gedreht, der keiner ist, und dann doch wieder einer wird. Klare, scheinbar authentische Schwarz-Weiß-Bilder beobachten den jungen Sebastian, der den Traum verfolgt, fliegen zu lernen. Zielsicher führt die Regisseurin den Zuschauer in einen Schwebezustand: Auf der einen Seite wächst Sympathie für die krausen Gedankengänge der Figur, auf der anderen Seite wächst Belustigung über ihre Hilflosigkeit, das Verstricken in die eigenen Ideen. Rohloffs Sebastian wird zum Klischee, das nicht weiß, das es eines ist. Der Träumer mag naiv sein: Roloffs Film ist es nicht. Sachlich und präzise stellt die Regisseurin die empfindlichen Seiten ihrer Figur aus. Der Film endet mit einem entspannten Lachen, doch wir haben gespürt, wie genau die Filmemacherin beobachten kann.
Fünfter Versuch
Jan-Gerrit Seyler hat einen Spielfilm gedreht, der dokumentarischer ist, als er aussieht. Er erzählt vom Leben und Leiden eines Werbehandys in der Fußgängerzone, das lebensverändernde Erfahrungen erfährt. Die ausgezeichnete Kameraarbeit von Claus Oppermann und der schnelle Schnitt von Thomas Henke erzeugen professionelles Spielfilmgefühl, doch schnell wird klar: Hier wird nicht gelenkt. Die Dramaturgie verfolgt keine eindeutige Botschaft, die Figur bleibt unter dem Handykostüm verborgen (bis zum Ende weiß der Zuschauer nicht einmal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt): Der Zuschauer ist aufgefordert, sich eigene Gedanken zu machen. Seylers Film endet melancholisch. Aber er ist zu optimistisch, um den Zuschauer zu deprimieren: Wir haben gespürt, dass der Filmemacher gerne lebt. Also können wir nicht wirklich traurig sein.
Ein formaler Dokumentarfilm, der sich als präziser Spielfilm entpuppt, und ein formaler Spielfilm, der viel Raum für dokumentarisches lässt. Wer die beiden Filme bisher nicht gesehen hat, sollte auf weitere Termine achten. Oder die Filmemacher um eine DVD anflehen.
Sechster Versuch
Es ist immer wichtig, Cast und Crew zu nennen, Förderer und Sponsoren herauszuheben: Nicht nur, weil man in ihrer Schuld steht und ihnen viel zu verdanken hat, sondern auch um sie (und andere) zu ermutigen, weitere Filmprojekte zu unterstützen. Deswegen hier die Filmdaten:
„Sieben Versuche zu fliegen“, D 2007, 14 Min., miniDV; Buch, Kamera, Regie, Schnitt: Sarah Roloff; Ton: Aron Krause und Jan-Gerrit Seyler; Musik: Carsten Böddeker und Hendrik Timm. Mit Sebastian Kohn, Gunnar Kütenbrink, Emma Hermansson u.a.
„Handycap“, D 2007, 15 Min., HD; Buch & Regie: Jan-Gerrit Seyler; Kamera: Claus Oppermann; Schnitt: Thomas Henke; Produktion: EinfallsReich Filmproduktion, Maren Stähr, Gerald Grote; Musik: Aron Krause; Lennart Quiring & Philipp Kasburg („Spieltrieb“); Sounddesign: Boris Vogeler; Regieassistenz: Nadine Lindenau; Aufnahmeleitung: Alexandra Eck; Skript/Continuity: Mira Hoffmann. Unterstützt von der MSH, der Kulturellen Filmförderung Schleswig Holstein e.V., THE PHONE HOUSE, Subway u.v.w. Mit Steffen Lorenz, Christine Wetzig, Roland Hoffmann, Kai Behrenbruch u.v.w.
Siebter Versuch
Die Doppelpremiere wurde zu einem gelungenen Abend: Stimmungsvoll und entspannt beim Vorglühen im Klostergarten Café, rappelvoll und enthusiastisch bei der anschließenden Filmsichtung im Kommunalen Kino in der Pumpe. Zu bedauern sind jene, die nicht dabei waren. Aber das ist ja immer so. (Michael Hergt)