Interview: Das Schielen auf Leuchttürme ersetzt nicht die filmkulturelle Basisarbeit
(Nachdruck aus: black box – Filmpolitischer Informationsdienst von Ellen Wietstock, Hamburg)
Ellen Wietstock: Die Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein gehört zu den letzten verbliebenen kulturell ausgerichteten Filmfördereinrichtungen. Welche Förderkriterien, welche Förderpolitik stehen im Vordergrund?
Bernd-Günther Nahm: Es war uns, und damit meine ich die Filmschaffenden und Vereinsmitglieder, den Vorstand sowie die Geschäftsführung, immer ein persönliches Anliegen, die filmkulturelle Arbeit in dem Flächenstaat und primär „nicht Filmstandort” weiter zu entwickeln und abzusichern. Dazu wurde bereits zu Beginn und, abweichend von den anderen Förderungen, auf das duale System mit Fördertopf und Filmwerkstatt gesetzt. Wir konnten die unterschiedlichen und zum Teil schon erfolgreichen Ansätze, wie z.B. die LAG Jugend und Film, im Lande zu bündeln und – wenn auch nicht in dem gewünschten finanziellen Maße – die Filmförderung Schritt für Schritt aufbauen. Dabei standen und stehen weiterhin der langfristige Erfolg, die Entwicklung von nachhaltigen Strukturen, die Vernetzung über die Landesgrenzen hinaus und die Durchgängigkeit des Systems von der Schülerinnen und Schülerförderung über die Hochschulen und andere Einrichtungen bis zur Kino- und Fernsehauswertung im Fokus der Förderung. Auch die Verwerfungen Ende der neunziger Jahre, als der Standort Lübeck aus finanziellen Gründen aufgegeben werden musste, haben der Weiterentwicklung nicht geschadet, sondern wie erhofft eher Kräfte frei gesetzt.
Unterstützung wurde uns dann in den frühen neunziger Jahren von der Landesmedienanstalt ULR zuteil. Die Landesmittel wurden gekürzt, das kleine Pflänzchen Kulturelle Filmförderung drohte einzugehen. Diese „freiwilligen Leistungen”, ein Begriff der ja auch ein Synonym für Kultur ist, haben bis zur Fusion der Landesmedienanstalten Schleswig-Holstein und Hamburg angehalten. Sicher mitentscheidend war, dass die agierenden Personen im Vorstand, in der Filmförderung und auch in der Politik diese Vision mitgetragen haben; was die Politik angeht, war ein solcher Erfolg in dem Bereich allerdings auch nirgends billiger zu haben. Die Kulturelle Filmförderung hat zwar nicht die filmwirtschaftlichen Strukturen in Schleswig-Holstein wesentlich weiter entwickeln können, vielmehr hatte sie als erklärtes Ziel die vor Ort ansässigen Kreativen, Filmemacher und Autoren im Auge. Ganz nebenbei sind auch kleine feine Strukturen aufgebaut, Netzwerke entwickelt und auch bittere Einschränkungen akzeptiert worden. Beispielsweise wurde Mitte der neunziger Jahre die Drehbuchförderung eingestellt, da die geförderten Bücher leider nicht zur Realisierung gelangten.
Ellen Wietstock: Kannst Du Beispiele nennen für bemerkenswerte Filmprojekte, bei denen die KFF-SH den Anstoß gegeben hat?
Bernd-Günther Nahm: Es freut jeden Förderer, wenn drei Jahre hintereinander der hoch angesehene Max-Ophüls-Preis an Produktionen geht, die von der KFF-SH wesentlich mitgetragen und gefördert worden sind. Der Max Ophüls Preis 2005 ging an Am Tag als Bobby Ewing starb, bei dem die Kulturelle Filmförderung den Regisseur Lars Jessen intensiv auf dem Weg begleitet und über die verschiedenen Etappen in Schleswig-Holstein gefördert hat. Neben vielen weiteren Preisen hat der Film, produziert von Elke Peters, Neue Mira, über 120.000 Kinozuschauer erreicht – ein beachtlicher Erfolg.
Im folgenden Jahr erhielt die Schleswig-Holsteinische Filmemacherin Ines Thomsen den neu geschaffenen Max Ophüls-Dokumentarfilmpreis und ganz aktuell noch den Hauptpreis des Internationalen Dokumentarfilmfestivals in Sao Paulo für Mañana al Mar. Der Film wurde nur von der KFF-SH gefördert (Entwicklung, Produktion und Vertrieb) und war eine Koproduktion von gop03 GmbH mit Spanien. Als letzter Streich ging dann in diesem Jahr der Max Ophüls Preis als Hauptpreis an den Dokumentarfilm Full Metal Village von Sung-Hyung Cho, der vorher bereits den Hessischen Filmpreis und den Schleswig-Holstein Filmpreis in der Sektion Dokumentarfilm gewonnen hatte. Auch hier waren wir die Erstförderer und haben der Regisseurin und dem Film, der von Flying Moon produziert wurde, mit Projektentwicklung, Produktionsförderung und Verleihförderung zur Seite gestanden.
Allen drei Projekten haben wir uns als Förderer sehr persönlich angenommen, ein Verfahren, das wir aber auch den vielen anderen besonderen, schönen und vielversprechenden Produktionen angedeihen lassen. Zwei weitere Beispiele seien hier noch erwähnt, wo wir aus dem Nichts heraus fördernd tätig geworden sind und die mich immer noch sehr beeindrucken: Zum Beispiel Axel Brandts Film Zug um Zug, ein Projekt, das schon Jahre auf dem Weg war. Unter den neuen Filmen ist Schweigen ist Silber von Florian Aigner, ein abendfüllender Dokumentarfilm über ein deutsch-französisches Familiendrama, der in Saarbrücken Premiere hatte. Natürlich freuen wir uns auch sehr darüber, dass wir Fatih Akin bei seinem neuen Film Auf der anderen Seite, nach Unterstützung bei den frühen Kurzfilmen und seinem ersten Langfilm, auch wieder fördern konnten und er nun in Cannes erfolgreich im Wettbewerb war. Als letztes Beispiel sei Motodrom von Jörg Wagner genannt, der für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert und der Festivalrenner par excellence war. Auch Staplerfahrer Klaus brachte es mit Förderung aus SH bis nach Cannes. Das Schielen auf Leuchttürme hilft der Arbeit und sicher auch dem Standort, ist aber kein Ersatz für kontinuierliche Basisarbeit nach dem Motto „Wir befördern Inhalte”.
Ellen Wietstock: Nach welchen Kriterien wurde bislang das Gremium besetzt?
Bernd-Günther Nahm: Das ursprünglich vierköpfige Gremium wurde vor sechs Jahren auf drei Personen reduziert, die Bereiche aus denen die Personen beiderlei Geschlechts kommen sollen, sind festgelegt: Eine Personen aus dem Bereich Filmemacher/Autorin, gern überregional besetzt. Eine Person aus dem Bereich Vertrieb/Verleih, Präsentation/Festival oder filmkultureller Einrichtung. Eine Person aus einem künstlerischen Bereich, der nicht Film ist.
Besonders die Person aus dem Bereich Bildende Kunst, die filminteressiert und trainiert in der Beurteilung künstlerischer Arbeiten sein muss, hat sich als eine große Bereicherung für die Arbeit im Gremium erwiesen. Der unvoreingenommene Blick ohne Branchenscheuklappen hat den Diskussionen im Gremium eine zusätzliche Dimension gegeben. Das Gremium arbeitet jeweils für ein Jahr (zwei Sitzungen) und wird dann abgelöst.
Ellen Wietstock: Jetzt hat die Fusion der Filmförderungen Hamburg und der MSH Schleswig-Holstein stattgefunden. Was bedeutet dieser Zusammenschluss für die KFF-SH und die dazugehörige Filmwerkstatt in Kiel? Wo findet sich die KFF-SH in der neuen Struktur wieder?
Bernd-Günther Nahm: Unsere Position zu Beginn der Diskussion um die neuen Förderstrukturen im Norden sah so aus, dass wir einerseits die engere Vernetzung begrüßt haben, aber aufgrund der Andersartigkeit von Klientel, Richtlinien und filmstrukturellem Hintergrund in Schleswig-Holstein die Eigenständigkeit als selbstverwaltete Filmförderung erhalten wollten. Damit konnten wir uns jedoch bei der Politik nicht durchsetzen. Anderseits war es in Kiel von Anfang an politischer Wille, die besondere Arbeit und Verantwortung der Kulturellen Filmförderung/Filmwerkstatt für das Flächenland Schleswig-Holstein zu würdigen und diese Arbeit auch weiterhin vom Standort Kiel aus leisten zu lassen. Der Kompromiss bedeutet: Wir führen diese Arbeit mit den bisherigen Förderzielen, dem Aufgabenspektrum und leicht gestiegenen Finanzmitteln in Eigenverantwortung unter dem gemeinsamen Dach der FilmFörderung Hamburg/Schleswig-Holstein GmbH in Kiel weiter durch. Sinnvollerweise kommt die Film Commission, die bisher bei der MSH in Lübeck angesiedelt war, auch zu uns nach Kiel.
Ellen Wietstock: Welche speziellen Förderschwerpunkte könnten sich durch die Fusion ergeben?
Bernd-Günther Nahm: Das Schleswig-Holstein-Modell mit Filmförderung und Filmwerkstatt ist in dieser Form als produktionsorientierte Einrichtung einmalig in Deutschland. Im Zusammenspiel aus Fördermitteln, aktiver Produktionsbetreuung, Vernetzung, Fortbildungsangeboten, überregionaler Projekte wie FilmTrain und der Verbundsförderung der kleineren kulturellen Förderungen (Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein als die Aktivsten), sind viele und sehr erfolgreiche Projekte auf den Weg gebracht worden. In diesem Förderbereich von Dokumentarfilm, Kurzspielfilm und experimentelleren Projekten war auch immer schon die Zusammenarbeit mit Hamburg sehr eng; es wurden letztendlich mehr Projekte zusammen gefördert als auf der Schiene MSH – FFHH, auf der die großen Projekte angeschoben wurden.
Die Filmschaffenden und die Förderung in Schleswig-Holstein haben sich nie nach außen abgeschottet, sondern hatten immer ein großes Interesse an Kooperationen. Vorstellbar wäre deshalb, dass wir unsere Form von aktiver Produktionsbetreuung in dem speziellen Segment für den gesamten Förderraum anbieten. Sicher werden wir unsere Aufgaben auch weiterhin im Low-Budget- Bereich finden und den speziellen Anforderungen eines Flächenlandes gerecht werden. Nach den guten Vorgesprächen werden aus den bisherigen unterschiedlichen Erfahrungen der Förderungen in Hamburg und Kiel Erkenntnisse in beide Richtungen fließen.
Ellen Wietstock: Künftig wird auch ein NDR-Vertreter im Low-Budget-Gremium vertreten sein. Eine solche Entwicklung geht meiner Meinung nach eindeutig zu Lasten der unabhängigen Produzenten.
Bernd-Günther Nahm: Ein herausragendes Merkmal der Filmförderung Hamburg und auch der kleinen Kulturellen Filmförderung SH war die Unabhängigkeit der Förderungen. Ich hoffe sehr, dass es so bleibt. Dies ist signifikant anders als bei vielen anderen Länderförderungen und macht einiges wett an fehlenden Finanzmitteln im Norden. Das spezielle Fernsehinteresse wird bei der Fusion auf anderem Wege bedient. Das spricht nicht gegen Fernsehkoproduktionen, die ja zum Beispiel im Dokumentarfilmbereich fast unabdingbar sind. Allerdings besteht durch die EU auch die Vorgabe an die Fernsehanstalten, Produktionsvolumen an unabhängige Produzenten zu vergeben. Eine größtmögliche Unabhängigkeit der gemeinsamen Förderung, die ja nach EU-Kriterien kulturell definiert ist, liegt daher nahe. Ich vermute, dass die erneute Notifizierung der Förderrichtlinien in der EU bis zum Jahr 2009 die Vorgaben in Richtung Fernsehen eher enger gestalten wird. Wie wir wissen, wird das deutsche Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das ich gern erhalten und abgesichert sehen würde, nicht unbedingt in Brüssel favorisiert.
Ellen Wietstock: Du wirst ebenfalls dem „kleinen“ Gremium für Filmprojekte mit Herstellungskosten mit 800.000 Euro angehören. Gibt es von Deiner Seite Vorschläge, wie die Vergabemodalitäten und auch die Förderpraxis zukünftig aussehen könnten?
Bernd-Günther Nahm: In Schleswig-Holstein wurden die Fördermittel von KFF und MSH als Zuschüsse vergeben, nicht weil wir Geld zu verschenken hätten, sondern weil wir einerseits darin eine Möglichkeit gesehen haben, über mögliche Refinanzierungen Produktionsmittel bei den Filmschaffenden/Produzenten anzusammeln und anderseits den Verwaltungsaufwand über acht Jahre für die eher geringen Rückflüsse einsparen wollten. Ich sehe darin, wie in der Tatsache, dass die Mittel nicht an Fernsehlizenzen und Rechteübertragung gebunden sind, eine Aufwertung der leider immer noch insgesamt bescheidenen Fördersumme. Diese Überlegungen werden unter anderem, so habe ich Eva Hubert verstanden, in die Diskussion um die Neugestaltung und Notifizierung der Richtlinien bis 2009 einfließen.
Aus Sicht der Schleswig-Holsteiner muss das Fördervolumen im „kleinen” Gremium deutlich angehoben werden; ich gehe von einer Verdoppelung aus. Im kleinen Gremium wird ja ein immens wichtiger Bereich des Filmschaffens für den gesamten Kommunikationsraum Hamburg/Schleswig-Holstein gefördert und angeregt. Auch sollten nach meiner Vorstellung die Effekte für Schleswig-Holstein mit dem Faktor 1,5 gerechnet werden, um der kleinen aber feinen Infrastruktur, den lokalen Dienstleistern, durch die Fusion nicht das Wasser abzugraben.
Ein weiterer Bereich, der bisher schon in Hamburg eher im Stillen mit immerhin 750.000 Euro zusätzlich gefördert wurde, ist der Animationsfilm mit Games und anderen benachbarten Sparten, der sowohl in der freien, erzählerischen Form als auch angewandt in Wissenschaft, Bildung und Information ein Wachstumsbereich ist. Davon erhoffe ich mir auch Impulse für Schleswig-Holstein.
Aus meiner Sicht und Erfahrung ist die Basisförderung, das Sicheinlassen auf neue Formate und Inhalte, das nicht standardisierte Filmschaffen, die Wurzel alles Produktiven. Filmförderung soll sich trauen, soll Risiken eingehen und auch neue Projekte anschieben, die nicht den Fernsehformaten oder dem aktuellen Kinotrend entsprechen müssen. Das heißt, dass Anschubfinanzierungen wichtig sind, um ein Zeichen zu setzen, um Filmschaffende zu ermutigen. Sie tragen sowieso das größte Risiko, engagieren sich und ihre nähere Umgebung extrem für den Film und schaffen ganz real gesehen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert. Aus solch einer Einstellung heraus sind die großen Filmerzähler auch in früheren Zeiten gewachsen. Sung-Hyung Cho hat aus einer Starthilfe für ihren Dokumentarfilm Full Metal Village sehr viel gemacht, hat ihr Thema entwickelt und ihren kreativen Produzenten gefunden und die weiteren Förderer und ist, als die Verleiher die Zielgruppe für ihren Film nicht finden konnten, mit Flying Moon im Selbstverleih wiederum ins Risiko gegangen. Sie wurden bisher von über 148.000 Zuschauern (Stand August 07) im Kino bestätigt, es hat sich gelohnt.