Die Preisträger des 22. Internationalen Dokumentarfilmfestivals München
Der Dokumentarfilmpreis des Bayerischen Rundfunks und der Telepool (dotiert mit 10.000 EUR) geht an „Malon 9 Kohavim“ („9 Star Hotel“) von Ido Haar, Israel. Der Film vermittelt uns einen intimen Eindruck über die Auswirkungen des israelisch-palästinensischen Konflikts auf Menschen, die unmittelbar von ihm betroffen sind. Ido Haar porträtiert illegale palästinensische Arbeiter, die buchstäblich eine neue israelische Gesellschaft aufbauen, absurderweise ohne jede Chance je deren Teil zu werden. Durch das enge Zusammenleben mit ihnen gelang es dem Filmemacher, die Unsicherheit ihres Lebens widerzuspiegeln und dies in ein Kammerspiel in den Hügeln am Stadtrand Jerusalems zu verwandeln. Dank seiner Form übertrifft „9 Star Hotel“ bei weitem eine Reportage und erreicht echtes Kinoformat.
Der Festivalpreis „Der besondere Dokumentarfilm“ (2.500 EUR, gestiftet von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien, BLM) geht an „Ich bin doch keine Mörderin – Der Fall Dennis“ von Caterina Woj, Deutschland, einen sehr kontroversen Dokumentarfilm, der viele Fragen aufwirft. Die Filmregisseurin erzählt eine äußerst dramatische und tragische Geschichte und wählt dafür eine visuelle Form, die Verurteilung und Voyeurismus vermeidet und dem Zuschauer genügend Raum lässt, seine eigene Beziehung zu den Protagonisten zu entwickeln. Mit „Ich bin doch keine Mörderin – Der Fall Dennis“ wagt Caterina Woj einen verstörenden Film, der den Zuschauer mit der Komplexität der Tragödie konfrontiert, die sich häufig hinter den Schlagzeilen der Boulevardzeitungen verbirgt.
Der Horizonte Preis des Festivals (dotiert mit 3.000 EUR) geht an „Pïrinop, meu primeiro contato“ („Pïrinop, My First Contact“) von Mari Corréa und Karané Ikpeng. In einem auch ansonsten starken Wettbewerb hat „Pïrinop, meu primeiro contato“ („Pïrinop, My First Contact“) die Jury so überzeugt, dass sie einstimmig zu ihrem Urteil gelangt ist. Was den Film neben seinen großartigen Bildern und seiner ruhigen Erzählweise besonders auszeichnet, ist die Umkehrung der Perspektive des traditionellen ethnografischen Films: die Protagonisten des Films, die Ikpeng Indianer, sind hier nicht die Objekte, sondern die Subjekte des Films. Nur in kurzen, aber sehr entlarvenden Sequenzen kommt unsere „weiße“ Lebenswelt in den Blick. Wenn die Touristen sensationshungrig in das Reservat strömen oder wenn die Indianer über ihren Urwald fliegen, von dem fast nur noch Rodungsflächen übrig sind, dann werden wir unweigerlich zu Eindringlingen. Die Ikpeng erzählen aber in erster Linie ihre Version der Geschichte ihres ersten Kontaktes mit den Weißen, ihrer Zwangsumsiedlung und des Verlustes ihrer Heimat. Der Film macht deutlich, dass auch eine durch einen Anthropologen begleitete und scheinbar gut gemeinte Umsiedlung nichtsdestotrotz eine Zwangsumsiedlung bleibt, die einen Verlust von Heimat und kultureller Identität nach sich zieht. Der Film bedient sich in seiner Argumentation zwar der ersten ethnologischen Filmaufnahmen und Medienberichte, er reiht sie aber ein in den Kontext der eigenen Erzählung und deutet sie so um. Der Dokumentarfilm wird für die Indigenista-Bewegung ein Medium der Selbstversicherung und Reflexion der eigenen Geschichte. Den beiden Regisseuren ist hier ein sehr bewegendes Stück filmischer Geschichtsschreibung von unten gelungen.
Im Rahmen des diesjährigen Internationalen Dokumentarfilmfestivals München vergibt der FFF Bayern seinen mit 5.000 Euro dotierten FFF-Förderpreis Dokumentarfilm an die Filme „Liebe Mama, ich kannte dich kaum…“ von Alice Agneskirchner (3.000 Euro) und „Der rote Teppich“ von Andrea und Eric Asch (2.000 Euro). Mitglieder der Jury waren die Produzentin Dagmar Biller (Tangram Film), Werner Fuchs (Zorro Film) und der Kameramann Christof Oefelein.
„Liebe Mama, ich kannte dich kaum…“ (Produktion: BR) ist die filmische Annäherung der Münchner Autorin und Regisseurin Alice Agneskirchner an ihre verstorbene Mutter Rosi, die weit über das Familiäre hinausgeht. Die Jury begründete: „Liebe Mama, ich kannte dich kaum…“ ist eine mutige Reise in die eigene Vergangenheit. Doch der Film ist viel mehr als nur die emotionale Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen. Ausgehend vom privaten Lebensraum wird der Film durch seine Struktur zu einem nachhaltigen Zeitbild, das Identifikationspotential schafft und niemanden unberührt lässt.“
Im Zentrum von „Der rote Teppich“, Andrea und Eric Aschs Abschlussfilm an der HFF München (Produktion: Instinktfilm, BR), steht der erfolgreiche Hamburger Schriftsteller Axel Brauns, der ebenfalls seinen ersten Film dreht. Dies wäre nicht weiter bemerkenswert, wäre Brauns nicht Autist. Der Film begleitet ihn bei der Entstehung des Films und beschreibt Brauns’ Weg vom Autisten zum durchaus „kommunikativen“ Künstler. „Der rote Teppich“ eröffnet dem Zuschauer einzigartige Einblicke in eine Welt, zu der es sonst keinerlei Zutritt gibt. Autisten leben in ihrem eigenen Kosmos, haben keinen Bezugspunkt zu anderen Menschen und werden allzu oft als „Deppen“ ignoriert und abgetan. Andrea und Eric Asch zeichnen das ungewöhnliche Porträt des Axel Brauns gestalterisch zwingend und mit emotionalen Höhepunkten“, urteilt die Jury und erwähnt insbesondere auch die „sensible, akzentuiert eingesetzte Musik“ von Sebastian Pille.
Die Jury entschied ebenfalls über die Vergabe des AVID-Förderpreises. Ein komplettes Schnittsystem geht an die HFF München-Studentin Svenja Klüh für „Das Leben ist ein langer Tag“.
(nach einer Pressemitteilung des 22. Internationalen Dokumentarfilmfests München)