The Malta Experience
Die Kieler Filmgruppe Chaos in Europas südlichstem Inselstaat
Ein weiteres Mal wurden wir von wildfremden Leuten kontaktet, die über unsere Internetseite gestolpert waren und uns in Gegenden einluden, die wir nie zuvor betreten haben. Und nach Bombay und China war es auch kulturell wieder Neuland für uns.
Örtliches Plakat zur Ankündigung der Filmgruppe Chaos auf Malta (Fotos: Karsten Weber)
Man weigerte sich den wertlosen Euro anzunehmen, denn man zahlt dort mit der Maltesischen Lira, die man einfach „Pound“ nennt und hat den Linksverkehr der ehemaligen Kolonialherren beibehalten. Gesprochen wird ein babylonisches Arabisch, das mit Italienisch, Englisch und Brocken anderer Sprachen durchsetzt ist und mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird. Um der freundlichen und entspannten Lebensart ein Gegengewicht zu geben, organisieren sich die Malteser gern in dem mächtigen Jägerverband um auf alles zu ballern, was auf der Insel herumflattert, egal ob Spatz, Nachtigal oder Flamingo. Unter der Enge des Insellebens und der Hitze der südlichen Sonne gediehen unglaubliche Blüten des katholischen Glaubens, man will dort in Punkto religiösen Fanatismus den Indern keinesfalls nachstehen. Jedes Haus trägt einen katholischen Namen, die Wohnung unseres Gastgebers lag in der „Straße der Unbefleckten Empfängnis“, Krankenhaus, Uni und auch die Produktionshallen der Industrie werden von Glühbirnenkreuzen geziert und Schutzheilige überwachen jede Kreuzung und fehlen in kaum einer Wohnung, PKW oder Reisebus. Selbst heutzutage errichtet man in diesem Land noch Kathedralen. Man betrachtete uns wohl als Vertreter von Gegenkultur als man bei unserem ersten Kurzfilmprogramm „Tick Eats the Olive” einen antikatholischen Film verlangte.
Filmgruppe Chaos (Mitte) und die maltesischen Kollegen von KINEMASTIK
Für unsere nächste Kurzfilmveranstaltung mussten wir zur Schwesterinsel Gozo übersetzen. Man erklärte uns, dass da die Häuser nicht nur wesentlich verzierter seien, sondern man den katholischen Glauben dort noch ernster nehme. Die Wirklichkeit auf den Straßen hatte während der Ostertage etwas wahrlich Surreales. In Prozessionen trugen Jesus Lookalikes riesige Holzkreuze und erwachsene Männer unter Ku-Klux-Klan-Hauben zogen zentnerschwere Eisenketten mit ihren nackten Füßen über das Pflaster. Die dort angekündigte Kurzfilmveranstaltung „Flickering Underground“ sollte früh beginnen, damit das Publikum nicht auf die Fußballübertragung auf Großbildleinwand verzichten musste. Die Veranstaltung fand in einer riesigen Sportsbar statt, in der eine mit Glühbirnen umrandete überlebensgroße Marienstatue auf Daddelautomaten, Internetanschlüsse, die Billardtische und unsere Projektionen herabblickte. Ein paar alte Fischer im Publikum klatschten bei alten albernen Super-8 Filmen begeistert Applaus und pfiffen die Melodien mit, die sie wiedererkannten. Bei einem Ausflug zu den Festungsanlagen von Gozo erfuhren wir noch weiteres über die Insel. Noch in den 70er Jahren verwahrte sich die Katholische Kirche gegen jegliche Infragestellung ihrer Macht und bei einem angekündigten Besuch der Labourparty von der Insel Malta läutete man die Glocken um alle öffentlichen Ansprachen auf Gozo zu verhindern. Um auch sicherzugehen erteilte man allen Parteimitgliedern in den Kirchen Hausverbot und drohte mit Exkommunizierung und den Wählern mit ewigem Schmoren in der Hölle. Als es dann sogar gelang, eine Abordnung der Sozialisten mit einem Steinhagel zu vertreiben, errichte man ein Denkmal um an das Zurückschlagen der roten Flut zu erinnern. Zurückgekehrt zur Hauptinsel Malta warfen wir einen Blick auf das Verwaltungsgebäude der Labourparty und sahen, dass man ein lilafarbenes Samttuch vom Balkon hängen ließ und die Fassade mit einem großen Glühbirnenkreuz schmückte.
An zwei Tagen gaben wir dann einen Workshop für Experimentalfilm in einem mittelalterlichen Gemäuer, das postmodern, aber geschmackvoll als Kulturzentrum ausgebaut worden war. Die Aufführung von „Faites vos jeux“ wurde zu einem echten Ereignis. Die Collage globaler Medienbilder funktionierte als globalisierte Filmgattung. Auch ohne Untertitel fühlte das Publikum sich in den Sog der Bilder gezogen. Wir mussten leider all die Zuschauer abwimmeln, die den Film für den Privatgebrauch wollten, unsere VHS-Kopien waren bereits ausverkauft und die DVD noch nicht fertig. Nach den häufigen Anfragen bedauerten wir, eine CD mit dem Soundtrack nicht einmal geplant zu haben.
Beim Workshop für Experimentalfilm
Bei der Vorführung der Deutsch-Britischen Produktion „Maldoror“ erfuhren wir, daß unsere Londoner Kumpels vom EXPLODING CINEMA als nächstes Malta besuchen werden. Die Gastgeber der Filminitative KINEMASTIK sind ein lustiger Haufen, der sich selbst für ähnliche Musik, Bücher und Filme interessiert. Man organisiert auf der Mittelmeerinsel ein jährliches Kurzfilmfestival. Ein besonderes Highlight ihrer Aktivitäten war eine Reihe des surrealistischen Films in einem angemieteten Pornokino. So erlebte der Besitzer seine Sternstunde nach 30 Jahren Kinobetrieb, als er den Minister für Kultur in seinem Kino begrüßen durfte. Die Gruppe ist wirklich bunt, nur einer ist gebürtiger Malteser, die anderen kamen aus Mazedonien, Serbien und Bulgarien und so erfuhren wir filmreife Migrationsabenteuer, bekamen serbische Punkbands zu hören und diskutierten bei maltesischem Bier bis spät in die Nacht über die Schlechtigkeit der Welt. Die Kinemastiker drückten uns eine Kompilation maltesischer Kurzfilme in die Hand und haben Interesse unser Kurzfilmprogramm „American Nightmares“ und unsere chinesische Kurzfilmsammlung zu zeigen, wir fühlten uns zu seelenverwandt, die Kontakte abreißen zu lassen.
Zum Abschluss unserer Tour wurden wir vom Filmclub der Uni zu einem Vortrag über Experimentalfilm, Filmrecycling und Copyright eingeladen. Das maltesische Fernsehen war zur Stelle, interviewte uns und dokumentierte die Diskussion mit den maltesischen Studenten. (Karsten Weber, Filmgruppe Chaos)