Kinomuseum – Kino als neues Museum: Thema auf den Int. Kurzfilmtagen Oberhausen
„Cinema is not a government monopoly. It is a medium … The new film can, at need, assist Radio in turning the world into a vast council-chamber.“ – Dorothy Richardson, ‘Continuous Performance’, Close Up, Vol. IX, no. 1, 1932
Die Reaktionen von Kino und Museum auf Filme und Videos von Künstlern zeugen von einer Krise. Und dennoch arbeiten immer mehr Künstler mit bewegten Bildern. Kann das Museum tatsächlich Kunstwerke sammeln oder zeigen, deren Bedeutung auf den Prinzipien und Betriebssystemen des Kinos beruht, aktiver Vertrieb anstatt passiver Aneignung? Scheitert das Museum zwangsläufig an der Herausforderung durch die historische und zeitgenössische Praxis von Künstlerfilmen und -videos? Und wenn dem so wäre, welche Tragweite hätte dieses Scheitern?
Und das Kino? Im Gegensatz zu den vom Markt diktierten limitierten Film- und Video-Editionen in der musealen Sammlung wird das Mainstream-Kino von der spektakulären Massendistribution von Spielfilmen an Multiplex-Kinoketten beherrscht. Seine derzeitige Infrastruktur ist im Hinblick auf künstlerische Arbeiten oder deren Unterstützung ebenso unzulänglich wie die des Museums.
Gleichzeitig besetzen Künstlerfilme und -videos oft ganz bewusst die Lücke zwischen einem homogenisierten Kino und dem fossilisierenden Museum. Als Form könnte man sie vielleicht sogar anhand dieser Fähigkeit definieren, beiden Institutionen gegenüber eine symbolische und wahrhaft kritische Position einzunehmen. Sie machen sich die Seherwartungen und die fixe Architektur des Kinosaals zunutze, so verlangen sie von Museumsbesuchern z.B., sich eine Arbeit in einem abgedunkelten Raum für eine festgelegte Zeit anzusehen – beides könnten auch politische Strategien sein. Die Bedrohung, die für beide Institutionen vom Künstlerfilm und -video ausgeht – auf praktischer Ebene ebenso wie für die Konstruktion ihrer Machtdiskurse – beruht sowohl auf seinem Verhältnis zum Vertrieb als auch auf seiner Abhängigkeit von der spezifischen Vorführung.
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen (3. bis 8. Mai 2007) widmen diesem Thema ein zehnteiliges Programm, das die Beziehung zwischen Kino und Museum in den Vordergrund stellt: „Kinomuseum“. Anstelle von Einschränkungen, die eine konservative Trennung von Museum und Kinosaal erzwingen, schlägt „Kinomuseum“ eine radikale Alternative vor. Es erhebt letztlich die inhärente Kritikalität der Form zum Inhalt und stellt sich eine neue Art von Museum vor, das sich aus den Grundfesten eines Künstlerkinos ergibt. Dieses neue Museum ist vergänglich, in ihm wird der Zuschauerraum zu einem lebendigen Ort des Austauschs und der Erfahrung. Statt passive Rezeption zu propagieren, wird das Kino zu einer aktiven Arena kritischer Stimmen und neuer Möglichkeiten.
Die Programme
Hauptkurator des diesjährigen Themas ist Ian White; fünf Programme werden von bekannten und neuen internationalen Künstlern und Künstlerinnen kuratiert; Archivmaterial und Dokumentarisches wird sich mit künstlerischen Darstellungen des Museums und den damit verbundenen Strukturen und Ideen auseinandersetzen. Die Gegenüberstellung von und Interaktion zwischen einzelnen Arbeiten, feministischer und postkolonialer Kritik, Experimentalfilm und Expanded Cinema bilden die Grundlage für einen Versuch, im Kontext des Kinos eine bestimmte Art des Sehens und Verstehens von Künstlerfilmen und -videos zu beschreiben.
Darüber hinaus wurden fünf Gastkuratoren eingeladen, anstelle einer Sammlung von Objekten Filme/Videos auszuwählen, die im Kino selbst ein einzigartiges imaginäres Museum errichten: Achim Borchardt-Hume (Kurator, Tate Gallery London, schlägt ein Actionpainting-Museum vor), AA Bronson (Künstler, New York, schwebt ein Pornografie-Saal vor), Mary Kelly (Künstlerin, Los Angeles, stellt sich ein Katastrophen-Museum vor), Mark Leckey (Künstler, London, bringt eine besondere Schau mit) und Emily Pethick (Leiterin, Casco Projects, Utrecht, schlägt einen Spiegel-Saal vor).
Im Programm sind Arbeiten von Marina Abramovic, The American Museum of Natural History, Pierre Bismuth, Gregg Bordowitz, Morgan Fisher, Megan Fraser, Hermine Freed, Dan Graham, Emma Hart, Judith Hopf, Joan Jonas, Amar Kanwar, David Lamelas, Sherry Milner mit Ernie Larsen, Office for Cinema Works (Metropolitan Museum of Modern Art, New York), Seth Price, Alain Resnais, Elizabeth Subrin, David Thorne und Julia Meltzer, Ina Wudtke und anderen.
Der Kurator
Ian White ist außerordentlicher Filmkurator für die Whitechapel Art Gallery in London und entwickelt außerdem unabhängige Projekte. Er ist Autor und Künstler.
„Kinomuseum“ wird von zwei Diskussionen im Rahmen des Podiums der Kurzfilmtage begleitet:
Privatisierung von Filmerfahrung – 6. Mai
Die kollektive Erfahrung von Kino dürfte bald der Vergangenheit angehören. Wie verändert sich Öffentlichkeit durch die neuen Auswertungsformen von Film im privaten Raum? Wie stehen diese Entwicklungen mit dem Zustand politischer Öffentlichkeit in Zusammenhang? Wie verändert sich die Wahrnehmung von Film und die Gestalt der Filme selber? Teilnehmer: Matt Hanson, Autor („The End of Celluloid“), GB; Oskar Negt, Soziologe, D; Jonathan Rosenbaum, Filmkritiker, USA; Gertjan Zuilhof, International Film Festival Rotterdam, NL.
Versagt das Museum? – 7. Mai
Filme und Videos von Künstlern sind heute zwar regelmäßig in Ausstellungen zu sehen, aber reagiert das Museum adäquat auf Film und Video? Kann es das Kino integrieren? Wenn künstlerische Filme und Videos sich auch durch Widerstand gegen Kino und Kunstgalerie in ihrer klassischen Form definieren, muss dann das Museum zwangsläufig versagen?
Neben „Kinomuseum“ präsentieren die Kurzfilmtage mit „Kindheit“ ein weiteres, kleineres Themenprogramm, Profile der Künstler Guy Ben-Ner, Marjoleine Boonstra, Kanai Katsu und Ken Kobland, Screenings führender internationaler Avantgarde-Filmverleihe, eine Video Library mit etwa 6.000 aktuellen Kurzfilmproduktionen und vier Wettbewerben der neuesten Kurzfilme und -videos aus der ganzen Welt.
(nach einer Pressmitteilung der Int. Kurzfilmtage Oberhausen)