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Filmgruppe Chaos servierte deutsches Filmgeschnetzeltes in China.

Wir hatten schon einiges Muffensausen vor der Reise in ein unbekanntes Land in dem wir unsere Gastgeber nur aus dem Internet kannten. Der Entschluss war sehr kurzfristig, als wir die Zusage von GERMAN FILMS und der AG Kurzfilm über einen Reisekostenzuschuss bekamen. Die restlichen 50% der Flugkosten haben wir uns zusammengepumpt. Wir wollten schließlich nicht kleckern, sondern Klotzen und reisten zu dritt und mit vier Filmprogrammen in den Tigerstaat.

Es war doch ein mittlerer Kulturschock, dann nicht irgendwo in der 3. Welt gelandet zu sein, sondern in einer boomenden Megacity. Chongqing ist nach Mexico City die größte Stadt der Welt, mit Hochhaustürmen bunter beleuchtet als die von Tokio und einer modebewussten Jugend, die uns recht abgerissen aussehen ließ.

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Boomende Megacity Chongqing (Fotos: Filmgruppe Chaos)

Wir wurden auch gleich durch verschiedene Ateliers der Kunsthochschule geführt um Bekanntschaft mit einer Kunstszene zu machen, die weitaus lebendiger, als die deutsche ist. Man ging spielerisch und manchmal auch zynisch mit den Traditionen um und benutzte Götter, Kaiser und revolutionäre Propaganda, um sie mit klassischer Malerei und japanischer Comic-Kunst zu konfrontieren. Unsere Gastgeber organisierten sich in der HAUS-M-COMMUNE, einem staatsunabhängigen Künstlerkollektiv mit großem Einfluss in der jungen Kunstszene Chinas und über die Grenzen hinaus. Das deutsche Wort „Haus“ wählte man, weil es so cool europäisch wirke und das „M“ steht für „music“ und „movie“. Da waren wir richtig, denn wir waren gemeinsam mit dem Australischen Musiker Phil Conyngham angereist. Phil kennen wir zwar auch als Filmemacher und als Mitstreiter beim technischen Aufbau, aber hier hatten wir ihn auch für einen musikalischen Programmpunkt mitgebracht.

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Zu Gast bei (chinesischen) Freunden: Karsten Weber (3. v.l.), Phil Conyngham (4. v.l.) und Martina Stache (5. v.l.)

Unser erstes Filmprogramm gab es an der bedeutendsten Kunsthochschule Chinas. Schon am Eingang der Hochschule prangte ein mannshohes Plakat für die Veranstaltung. Und es wurde auch erschreckend offiziell als dann noch der Dekan der Uni vor dem vollen Hörsaal eine Ansprache zu unserem Willkommen hielt. Unser Rückblick auf drei Jahrzehnte der alternativen Super-8 Szene enthielt dabei eine gehörige Portion an Trash und Dilletantismus. Doch selbst die Teenager-Krimiparodie „Die Rache des Fußgängers“ (der erste Film der Filmgruppe Chaos von 1975) unterhielt das Publikum prächtig. Als Phil aber mit seinem Didgeridoo mit elektronisch anmutenden Tönen „London im Regen“ vertonte, war es längst keine Lehrveranstaltung mehr und die Studenten erklärten ihr Erstaunen darüber, dass viele Filme auf eine klassisch erzählte Geschichte verzichteten und doch nicht langweilig wurden.

In eher kleinem Kreis fand am nächsten Tag eine Diskussionsveranstaltung mit jungen Filmemachern statt. Sie erzählten uns, dass es vor dem Aufkommen des digitalen Films keine unabhängige Filmszene im Land gegeben habe, denn die Technik und das Material waren für den Normalsterblichen unerschwinglich und das Super-8-Format war in China unbekannt. Doch der Wirtschaftsboom hatte erheblichen Einfluss auf die junge Kunstszene. Da die Neureichen nun ihre Heime mit zeitgenössischer Kunst schmücken wollten, stiegen die Preise für junge Malerei ins Astronomische. So wechselten nicht nur Performancekünstler und Bildhauer in den Bereich des schnellen Geldes, die Zahl und die Qualität von Filmproduktionen sank in den letzten vier Jahren spürbar.

Die nächste Veranstaltung fand vor 400 angehenden Lehrern and der Chongqing Normal University statt. Die Uni ließ es sich nicht entgehen, der Veranstaltung den notwendigen Glamour zu verpassen, indem zwei langbeinigen Schönheiten in hochgeschlitzten roten Seidenkleidern das Publikum am Hörsaaleingang empfingen.

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„erschreckend offizieller“ Empfang: Karsten Weber (links) und Phil Conyngham am Eingang des Hörsaals

Das Land, das nun die Welt mit DVD-Playern ausrüstet, schien selbst technisch nicht so gut ausgestattet. In dem Medienraum fand man die Fernbedienung zu dem einzigen DVD Spieler nicht und dann fehlte auch noch der Adapter zu dem Tonausgang des Laptops, das von dem Podium aus bedient werden sollte. Welch ein Sound dann die Filme untermalte, mag ich nicht näher beschreiben, denn man drehte zwei Podiumsmikrofone an die winzigen Lautsprecher des Notebooks. Wir wurden jedoch nicht mit Schimpf und Schande verjagt, sondern die Unileitung lud uns in ein Nobelrestaurant. Ein Professor für Animationsfilm drückte uns die Hände mit den Worten, wir hätten seinen Unterricht und die Filme der Studierenden für alle Zeiten verändert. Die Studenten hätten ihre Furcht vor dem unerreichbaren Perfektionismus des Westens verloren, da sie nun gesehen hätten, dass der Westen auch eine andere Seite der Medaille besitzt, die von Perfektion nichts wissen will.

In diversen Gängen kämpften wir mit unseren Stäbchen mit Jangtse-Wels, Hühnerfüßen und rohem Tintenfisch während die Repräsentanten der Uni und ein Sekretär der Kommunistischen Partei uns mit Trinksprüchen auf Mao, Marx, den deutschen Fußball und die Freundschaft vom Jangtse bis an den Rhein eindeckten. Da sahen wir uns gezwungen nicht weniger schwülstig das Glas zu heben auf unsere Einladung, auf die chinesische Gastfreundschaft und den internationalen Kulturaustausch. Und dann wurde es auch schon ernst. Es wurden Pläne geschmiedet ein chinesisches Kurzfilmprogramm nach Deutschland zu schicken und im nächsten Jahr mit uns ein deutsches Filmfestival in Chongqing zu organisieren.

Die folgenden Veranstaltungen wurden von Haus-M-Commune wegen des großen Interesses aus ihren Galerieräumen in eine Produktionshalle einer ehemaligen russischen Fabrik gelegt. Es wurde auch noch schnell eine Leinwand mit entsprechenden Ausmaßen geschneidert. „Faites vos jeux“ hatte als Film, der auschließlich aus raubkopierten Bildern besteht, für China wohl eine besondere Bedeutung. Das Publikum war sich aber alles andere als einig über den Film. Man kritisierte die fehlende gradlinige Geschichte oder fühlte sich provoziert durch die ruppige Bildbearbeitung und den aggressiven Soundtrack, was einige Jugendliche genau entgegegesetzt sahen. Sie erkannten ihr eigenes Lebensgefühl auf der Leinwand und den Zusammenprall der eigenen Innenwelt mit dem so genannten Lauf der Welt. Man stellte politische Fragen, ob wir die Situation Chinas als etwas grundsätzlich anderes betrachten würden und ob wir einen Rat hätte, wie man sich denn sich als oppositionell fühlender Mensch in übermächtigen Verhältnissen verhalten soll. Vielleicht gelang es uns zu vermitteln, dass wir uns in der Hilflosigkeit sehr verwandt waren, egal wie sehr sich unsere Kulturen unterscheiden mögen.

Und so sehr jeder Chinareiseführer davor warnt mit Chinesen über Politik zu diskutieren, so sehr schnitten die Zuschauer selbst bei dem folgenden Konzert mit Multiprojektion politische Fragen an. Mit der URBAN CHAOS Performance thematisierten wir das Eigenleben der Großstädte und mischten vorbereitete Zusammenschnitte von Fritz Langs Aufnahmen von Berlin, vom Bauboom im alten Detroit, von der Großbaustelle am Potsdamer Platz und vom erleuchteten Shanghai und mischten diese mit Aufnahmen, die wir gerade von Chongqing gemacht hatten.

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„Urban Chaos“ multimedial (im Vordergrund: Phil Conyngham mit Didgeridoo)

Wir hatten auch Dias vorbereitet auf denen  Schlagworte wie „Moloch“, „Profit“ oder „Obdachlosigkeit“ ins Chinesische übersetzt waren. Die mit Hilfe des Videomischers verfremdeten Bilder waren selbst in unseren Augen beeindruckend und es schien, als gäbe es ein lange minutiös vorbereitetes Zusammenspiel der chinesischen Elektronikmusiker, des australischen Didgeridoo-Virtuosen und unseren Projektionen. Es waren nicht nur diverse Fotohandys und Digitalkameras auf das Geschehen auf der Bühne gerichtet, man erkannte in diversen zufälligen Bildkombinationen tiefe Aussagen. „Wolltet ihr mit dem Wort ’Babylon’ über dem Financial Place von Chongqing sagen, dass der Versuch zu hoch hinaus zu wollen bitter bestraft wird?“ Die Fragen setzten sich auch in verschiedenen Journalistengesprächen fort. Als einer der Journalisten nach dem Interview noch persönliche Fragen nach Falun Gong stellte, verließ unsere Übersetzerin den Raum und beendete das Gespräch abrupt. (Karsten Weber, Filmgruppe Chaos)

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