10. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide
Das Licht der Aufklärung kommt aus den Schatten
Werkschau des „Shadow Festivals“ bei Augenweide
„Die Mainstream-Dokus findet man im Fernsehen“, weiß Stefan Majakowski, Organisator des niederländischen Shadow Festivals, dem diesjährigen Festival-Partner der Augenweide, durchaus mit Abscheu. Allein, solcher „politisch korrekter Weg der Filmerzählung ist langweilig, was wir bei Shadow suchen, ist die Form, nicht der Inhalt.“ „Nicht – moralistisch – die Welt beklagen, sondern sie neu bauen“ sollen Dokumentarfilme, plädiert der engagierte Festivalmacher, legt nach mit dem Credo „gutes Filmemachen ist Imitationen schaffen – Film ist ein Zeit-Medium, aber es ist auch mehr und mehr ein Medium, das einen Raum schafft, aufgespannt in deinem Kopf“, und zeigt an fünf Beispielen aus dem Amsterdamer Programm von 2005, wie solcher Licht ins Dunkel des Mainstream bringender Off-Dokumentarfilm aussehen kann.
Schon am Eröffnungsabend der Augenweide (vor dem eigentlichen Shadow-Programmblock am Augenweide-Samstag) läuft Leon Grodskis Monolog zu „Nine-Eleven“ namens „Great Balls of Fire“. Eine wahrlich verstörende und nicht zuletzt provokante Doku-Fiction über den Tag, als US-Amerika schmerzhaft lernte, was babylonische Turmbauten zum Einsturz bringen kann. Ein Prediger steht da auf den Straßen Manhattans unweit von „Ground Zero“ und weiß genau, wie der Angriff auf das World Trade Center zu deuten ist, als ultimativer Kampf der Kulturen, und auch als Aufstand der Minderbemittelten, die dafür so infernalisch mörderische Mittel gefunden haben. Fast könnte man meinen, der Prediger kommentiere den terroristischen Angriff auf die Twin-Towers live, denn Grodski schneidet in die Sermone des Salomonischen amateurhaft wackelnde Live-Aufnahmen, die am 11. September geschossen wurden, als die Türme des Kapitals nach den Angriffen seiner Ausgebeuteten fielen. Eine bestürzende Studie über ein Menetekel, das gleich am Anfang des 21. Jahrhunderts dieses definierte.
Im lichten Schatten des Off-Doku-Kinos wächst auch noch andere Belichtung der Parallelisierung des nur scheinbar Unzusammenhängenden. Dass das Botulin-Toxin, eines der potentesten Gifte überhaupt, sowohl als Mittel der biologischen Kriegsführung wie als Plusterung für schönheitsoperierte Körper-Problemzonen dienen kann, hat Transgender-Filmemacher Tara Mateik zu seinem/ihrem Film „Operation Invert“ angeregt. Dass das „Gift für die Schönheit“ im selben Jahr wie der von US-Präsident George W. Bush angezettelte Weltkrieg gegen den Terror die fröhlichsten medialen Urständ feierte, ist nur eine der vielen Beziehungsspuren, die Mateik legt. In einem komplizierten Geflecht von überraschenden Bedeutungen fühlt man sich als Zuschauer ebenso gefangen wie zur aufgeklärten Erkenntnis befreit. Ein kleines Meisterwerk des Heftigen.
Botox, das Gift aus verwesendem Fleisch, schafft auch schönes Fleisch – „Operation Invert“ schließt symbolische Kurzschlüsse
In „Such is my Karma“ erweitert der polnische Doku-Filmer Gregorz Pacek das Medium, indem er die Kamera aus der Hand gibt. Am besten aufgehoben scheint der Underground des Doku-Filmemachens, wenn er die Außenperspektive aufgibt und den Underground sich selbst ergründen lässt. Den Slum-Kids einer polnischen Vorstadt gibt Pacek die Kamera in die Hand und die porträtieren sich selber besser, authentischer, als es jeder geschulte Kameramann hätte tun können. Ein Experiment, dem man wünschen würde, es würde Dokumentarfilmschule machen.
Das Unmittelbare sucht auch Marc Issacs in seinem mit 25 Minuten vielleicht etwas zu lang für die schöne Idee gewordenen „Lift“. Einfach mit der Kamera bewaffnet – genauer: entblößt – im Aufzug mitfahren und hören und sehen, was die Fahrgäste zu erzählen haben. So alltäglich das anmutet, so erstaunlich zeigt sich dabei immer wieder, wie ungewöhnlich das ganz Normale sein kann.
Noch „roots-mäßiger“ geht Juan Manuel Echavaria vor, wenn er die Schrecken von Krieg und Vertreibung, Folter und Mord von seinen Protagonisten ins Singen darüber entrückt. Fünf Opfer von Krieg und Gewalt im kolumbianischen Bürgerkrieg schaut er statisch ins Gesicht, auf ihre „Bocas de Ceniza“, die versehrten Münder, wenn die ihre Lieder darüber singen, was ihnen widerfuhr. Letztlich ist das auch eine Erklärung des Dokumentarischen, dass manches menschliche Leid eben nicht dokumentierbar ist, es sei denn als kleines Licht, das aus den schmerzenden Schatten des vergangenen Leides immer noch und immer wieder gegenwärtig herüberscheint.
Sowas sieht man nicht bei den Doku-Soaps, mit denen das Fernsehen Flachbildschirme „HDTV-ready“ mainstremend zutextet, sowas sieht man nur unmittelbar, als Schatten – beim Shadow Festival. (jm)
Infos über das Shadow Festival Amsterdam unter www.shadowfestival.nl.