56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006

Ungebrochener Überlebenswille

„Conversations on a Sunday Afternoon“ (Khalo Matabane, Südafrika 2005)

Geht man durch die Straßen von Kapstadt oder Johannesburg, trifft man Menschen aus aller Herren Länder. Hoffnungshafen am Kap. Südafrika als Einwanderungsland, als Fluchtpunkt für all die verwundeten Existenzen, die einen Ort für ihre Zukunft suchen, an dem man weiterleben kann in einer Freiheit, wie es sie in Afrika wohl selten gibt.

Khalo Matabane, ein junger Dokumentarfilmer aus Südafrika, der schon zahlreiche Filme realisierte, lässt diese Menschen erzählen von ihren Schicksalen in von Krieg, Hunger und geistiger Not verwüsteten Ländern. Sie kommen aus Sierra Leone, Uganda, Bosnien, Nordkorea, Kongo, Palästina und aus vielen anderen Ländern der Welt. Mit einer beweglichen Digital-Handkamera hat er sich auf die Suche nach ihnen gemacht und sie an jeder Straßenecke in Johannesburg gefunden.

Als Rahmen für „Conversations on a Sunday Afternoon“ suchte er sich eine erfundene Geschichte über Keniloe (Tony Kgoroge) und Fatima (Fatima Hersi). Keniloe, ein junger Dichter in Johannesburg, versucht die Welt zu verstehen. Eines Sonntags lernt er in einem Park in Hillbrow Fatima kennen, die aus Somalia geflüchtet ist und ihm den tragischen Grund für ihre Flucht nach Südafrika erzählt. Fast ihre gesamte Familie wurde im Bürgerkrieg in ihrem Heimatland getötet. Keniloe beschließt, Fatimas Erfahrungen als Ausgangspunkt für ein Buch nutzen, das er über Flüchtlingsschicksale schreiben möchte. Als er darüber mit Fatima sprechen möchte, ist sie plötzlich verschwunden. Keniloe sucht nach ihr und lernt so eine Vielzahl anderer Flüchtlinge bzw. Emigranten in Johannesburgs Innenstadt kennen. Alle haben sie eine berührende Geschichte, die meist von Vertreibung oder Flucht im Krieg geprägt ist.

Matabane mischt inszenierte Teile (sie stehen vor allem am Beginn und am Ende seines Films), die in ihrer theatralischen Künstlichkeit etwas strapaziert wirken, mit in ihrer Bildtechnik z.T. fast amateurhaft anmutenden Interviews (wie kleine Homevideos), die er quasi „freihändig“ auf der Straße improvisiert hat. Dabei lebt der Film von der zwanglosen, frischen Ummittelbarkeit, mit der seine Interviewpartner Keniloe vertrauen, und erreicht dadurch eine Authentizität, die den Zuschauer gefangen hält. Ohne große Umstände pickt Keniloe seine „Erzähler“ im Straßenleben auf, und im Nu sind wir bei deren Erinnerungen, die die Menschen immer noch traumatisieren.

Da ist die palästinensische Familie, die vor 35 Jahren aus Nahost floh und inzwischen Johannesburg als ihre zweite Heimat angenommen hat, die Frau aus Uganda, die nach 20 Jahren in Südafrika sich immer noch als Exilantin fühlt, die Frau aus Korea, die durchzuatmen scheint in ihrer neuen Heimat. Wir hören vom Kriegsschicksal einer jungen Bosnierin, beobachten aber auch gespannt einen ehemaligen Gardisten des kongolesischen Präsidenten, bei dessen „blutigen“ Erzählungen man hin und her schwankt, ob man ihn als Opfer oder Täter sehen soll.

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Männer in einem südafrikanischen Abschiebungslager, die in all ihrer Not den Humor nicht verloren haben und ihre Bewacher verspotten (Foto: Berlinale)

Höhepunkt des Films ist ein Besuch von Keniloe in einem Abschiebelager für so genannte illegale Emigranten, die, wenn man etwas über die Ausländerpolitik Südafrikas weiß, oft nur dann unbarmherzig außer Landes gebracht werden, wenn sie es versäumen, ihre Aufenthaltsvisa termingerecht zu verlängern. Bitter beklagen die afrikanischen Männer auch ihr ökonomisches Schicksal und können nicht verstehen, warum sie abgeschoben werden sollen. Doch ihre Widerstandskraft scheint ungebrochen, wenn sie lachend und spottend hinter Gittern singen: „Wir kommen wieder, was ihr hier macht, ist reine Zeitverschwendung, bis bald.“ Ein hinreißender Überlebenswille, der tief berührt. (Helmut Schulzeck)

Conversations on a Sunday Afternoon, Südafrika 2005, 80 Min., HDCAM (gedreht auf Digital Video). Buch, Regie: Khalo Matabane, Kamera: Matthys Mocke, Mitwirkende: Tony Kgoroge, Fatima Hersi.

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