56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006

Mehr Knall als hart

„Knallhart“ (Detlev Buck, D 2006)

Dumm gelaufen: Miriams (Jenny Elvers-Elbertzhagen) reicher Lover ist ihrer überdrüssig und setzt sie vor die Tür seiner Zehlendorfer Villa, mit ihr ihren Sohn Michael (David Kross). Die allein erziehende Mutter muss nach Neukölln umziehen, ein hartes Pflaster weniger für sie, die sich bald mit neuen (allerdings finanziell weniger potenten) Lovern umgibt, als für Michael, der von der Gang seines Mitschülers Erol (Oktay Özdemir) nach den üblichen Regeln des Ghettos „abgezogen“ wird. Da hilft Michael nur eines, sich einen Beschützer zu suchen. Den findet er im Drogenbaron Hamal (wunderbar diabolisch: Erhan Emre), der Michaels „unschuldiges Gesicht“ für Drogen-Kurierdienste einsetzt. Wobei Michael nicht nur ganz gutes Geld, sondern sich auch die gehörige „Street Credibility“ verdient. Bis sein mit 80.000 Euro Drogengeld gefüllter Kurierrucksack nach einem Handgemenge mit Erol auf dem Dach eines S-Bahn-Wagens landet und für immer verschwindet. Hamal fordert Rache und die soll, zum Zeichen seiner unbedingten Loyalität zu seinem „Arbeitgeber“, Michael üben, indem er den von Hamals Schergen „zugeführten“ hilflosen Erol quasi hinrichtet. Doch der Mord ist zu viel für Michael, er wacht auf und wendet sich an die Polizei …

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Vor die Tür der Reichen gesetzt: Jenny Elvers-Elbertzhagen und David Kross in „Knallhart“ (Foto: Berlinale)

Ende nicht gut, aber doch alles gut. Auch ein Film mit so vielen (kinematografischen wie witzigen) Knalleffekten braucht ein Ende nach dem Motto „und die Moral von der Geschicht’ …“ Und genau das ist seine größte Schwäche – wie schon die der Romanvorlage von Georg Tessnow. Allzu schematisch werden die Klischees moderner Großstadtghettos mit einer ob Perspektivlosigkeit verrohten Jugend durchdekliniert. Von einem der knallharten Ghettofilme aus Hollywood unterscheidet sich „Knallhart“ dabei lediglich durch den immer wieder durchbrechenden (Galgen-) Humor Buckscher Inszenierungskunst. Fast comichaft urkomische Nebenfiguren wie etwa der Hehler namens Captain Nemo (eine kabarettistische Glanzleistung in nur zwei Minuten liefert Roland Florstedt) geben dem Film jene Leichtigkeit, für die Detlev Buck berühmt ist. Doch es bleiben komödiantische Momente, die wie Sperrfeuer gegen den sozialaufklärerischen Anspruch des Plots wirken, querständig, den Fluss der Handlung knallig beschleunigend, aber ihre Härte gleichzeitig hemmend.

So kommt Romantik auf, die Härte der Straße hat auch ihren versöhnlichen Witz, klar, nur: Ist das in Wirklichkeit auch so? Nun ist Buck womöglich nicht angetreten, um Wirklichkeiten der härteren Gangart „dokumentierend“ abzubilden, gleichwohl kommt der Film mit dem Gestus daher – und wird in dem ganzen Talkshowrummel rund um die Berlinale auch stets so zitiert, ein ernstes Thema auch durchaus sozialkritisch zu behandeln. Und da passt der Straßenklang des Knalls eben nicht zur humoresken Härte.

Misslungen ist Bucks Film dennoch nicht. Buck weiß den Spannungsbogen über 98 Minuten zu halten, gerade indem er ihn durch witzige Episoden unterbricht. Liebevoll und detailgetreu zeichnet er die groteske Schrägheit der Figuren, unterstützt von fast immer hervorragenden Schauspielern. Sogar Jenny Elvers-Elbertzhagen, schauspielerisch sonst wirklich keine Leuchte, gewinnt ihrer Rolle hier eine Differenziertheit ab, die zwischen dem – selbst noch kindlichen – Girlie-Püppchen und der zur kaum bewältigbaren Verantwortung gezwungenen allein erziehenden Mutter überzeugt. Wo der Plot in seinen knalligen Überzeichnungen sich selbst die Härte der Realität nimmt, vermögen die Schauspieler geglückt gegenzusteuern.

Und schließlich – das ist ja auch nicht schlecht im Kino – 98 atemberaubende Minuten, wovon nicht eine langweilig ist. (jm)

Knallhart, D 2006, 98 Min., 35 mm. Buch: Zoran Drvenkar, Georg Tessnow (nach dessen Roman), Regie: Detlev Buck
, 
Darsteller: Jenny Elvers-Elbertzhagen, David Kross, Erhan Emre, Oktay Özdemir u.a. Preise auf der Berlinale: Preis der FIPRESCI für einen Film aus dem Panorama, Preis des Label European Cinemas.

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