56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006

Der Stasi ins Glas gepinkelt

„Der Rote Kakadu“ (Dominik Graf, D 2006)

Warum sehen in deutschen Ausstattungsfilmen, die ein historisches Thema bedienen, die „Massenszenen“ bloß immer so nach Museum aus? Auch in Dominik Grafs neuem Film „Der Rote Kakadu“, der im Dresdner Sommer 1961 vor dem Mauerbau spielt, ist das nicht anders. In den Verkehrs- bzw. Straßenszenen meint man förmlich die Aufnahmeleiter hinter den Original-Kulissen wirken zu sehen. Einfach prima, wie da die historischen Fahrzeuge aus den Automuseen über das Set brummen, sogar ein gelber Doppeldeckerbus anno 1961 ist dabei, und die Passanten bewegen sich so schön gleichförmig, einstudiert „ungezwungen“ über die Bürgersteige. Realität wie aus der Puppenstube oder einer Modelleisenbahnlandschaft, nostalgisch, detail-verliebt und künstlich.

Ansonsten ist Grafs Spielfilm durchaus unterhaltend und interessant. Auch wenn er und seine Drehbuchautoren Karin Åström und Michael Klier sich für ihren „DDR-Film“ fast zu viel vorgenommen haben, Systemkritik, Kunstpolitik, Stasi, Familie, Dreiecksbeziehung, Schwarzmarkt, Intrigen, Verrat, „Republikflucht“, was gar nicht alles befriedigend abgearbeitet werden kann.

Jugendnöte in der DDR zwischen Rock’n’Roll und „dekadenter“ Lyrik. Die Atmosphäre in Dresden kommt zu Beginn des Films gar nicht so ungemütlich daher, auch wenn Stasi-Trupps ein flott nach westlicher Plattenmusik tanzendes Jugendvölkchen im Park brutal auseinanderprügeln. Man hat ja noch seine schützenden Refugien, wie das legendäre Tanzlokal „Der Rote Kakadu“ oder das familiäre Nest von Tante Hedy (Ingeborg Westphal). Neffe Siggi (Max Riemelt) wohnt bei ihr, will Kulissenmaler werden, ist am Theater beschäftigt und lernt als Zeuge des Stasi-Einsatzes im Park die junge Dichterin Luise (Jessica Schwarz) und kurz darauf auch ihren Ehemann Wolle (Ronald Zehrfeld) kennen. Auf Luises Spuren gelangt der verliebte Siggi in den „Roten Kakadu“, in dem sich die rebellische Jugend so austobt, als ob ihr die gleichzeitig anwesende Stasi gar nichts anhaben könnte. Ja es kommt hier, wenn man so will, zum friedlichen Wettstreit der Generationen und der Kulturen. Auf der einen Seite Westmusik, auf deren anderen Polka und Balalaika. Die Genossen der Staatssicherheit reagieren vorerst noch scheinbar friedlich auf die Provokationen der Jugend.

Siggi möchte an der Theaterhochschule in Leipzig Bühnenbau studieren, braucht dazu aber das Placet des neuen Theaterdramaturgs, eines Stasi-Majors (Devid Striesow), der ihn sogleich als Spitzel anwerben möchte. Dagegen steht nicht nur die Freundschaft mit dem standfesten Wolle, der nicht kuscht, sondern den Stasi-Bonzen schon mal buchstäblich ins Glas pinkelt. Als Siggi dann auch noch schwärmerisch verliebt ohne Luises Wissen und an der staatlichen Zensur vorbei ihre Gedichte als Privatdruck herausbringt, ist nicht nur der Beziehungskonflikt zwischen dem Freundestrio perfekt, sondern schlagen auch die Staatsorgane unbarmherzig zu. Wolle landet im Gefängnis und Luise wird verhaftet. Siggi kann im letzten Moment, kurz vor dem 13. August, in den Westen fliehen. Die Zeiten des subversiven „Roten Kakadus“ sind vorbei. Die Stasi kann sogar erfolgreich die Legende vom Verräter Siggi unter den Jugendlichen lancieren.

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Zwischen Freundschaft und Liebe: das Trio Wolle, Siggi und Luise in „Der Rote Kakadu“ (Foto: Berlinale)

Die Freundes- und Liebesbeziehungen zwischen den drei Hauptprotagonisten bleiben letztlich unentschieden. Halb zieht es sie, halb können sie nicht. Luise liebt Wolle, mit dem sie von Kindesbeinen an zusammen ist, toleriert sogar seine Seitensprünge, ermutigt aber auch Siggi in seiner Verliebtheit und flirtet heftig mit diesem, ohne sich von ihrem Mann tatsächlich trennen zu wollen. Der geistige Partner für Luise ist Siggi, der ihre Gedichte versteht und sie in ihrer Existenz als Künstlerin fördern möchte. Der Proletarier Wolle hingegen zeigt wenig Interesse und Verständnis, eher Eifersucht für die Begabung und Ideale seiner Frau.

Leider scheint Graf die eigentliche Geschichte nicht genug zu sein. Immer wieder erinnert er in einer Art Countdown an die historischen Ereignisse vor dem Mauerbau. So als ob er der plot-immanenten, ständig an die historischen Geschehnisse gemahnenden Dramatik und dem geschichtlichen Wissen seiner Zuschauer nicht trauen würde. Der Film braucht diese Historiker-Sichtweise mitnichten, weil seine Geschichte funktioniert und interessiert. (Helmut Schulzeck)

Der Rote Kakadu, D 2006, 129 Min., 35mm, Regie: Dominik Graf, Buch: Karin Åström und Michael Klier, Darsteller: Max Riemelt, Jessica Schwarz, Ronald Zehrfeld, Devid Striesow u.a.

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