56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006

Der Kreis schließt sich

„Find me guilty“ (Sidney Lumet, USA 2005)

Als Sidney Lumet 1957 in seinem ersten Kinofolm das erfolgreiche Bühnenstück „12 Angry Man“ verfilmte, schuf er einen Klassiker des Gerichtsdramas und Kammerspiels. Fast 50 (!) Jahre später kehrt er wieder in den Gerichtssaal zurück, um einen weiteren Blick (zuletzt tat er dies ausführlich 1982 in „The Verdict“) auf das Justizsystem der Amerikaner zu werfen. Der 82-jährige Lumet verfilmte einen der längsten Strafprozesse in der Geschichte der USA und erzählt diesen aus der Perspektive des wahrscheinlich zu Recht angeklagten Mitglieds einer Mafia-Familie.

Vor gut 20 Jahren erhob die Staatsanwaltschaft in 76 Vergehen Anklage gegen 20 Mitglieder der Luchese-Familie. Entscheidender Faktor für den Verlauf des Prozesse waren die Aussagen von Kronzeugen. Doch obwohl ihm wegen Drogenhandels 30 Jahre Haft drohen, lässt sich Giacomo „Jackie Dee“ DiNorscio von den Behörden nicht überreden, gegen seine Freunde auszusagen. Selbst als sein eigener Cousin einen Anschlag auf sein Leben verübt, lässt sich DiNorscio nicht beirren. Zur Überraschung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft besteht DiNorscio darauf, sich selbst zu verteidigen. Erstaunlich schnell versteht er es, sich den Gepflogenheiten der Prozessführung anzupassen und sehr zum Unwillen der Staatsanwaltschaft einen positiven Eindruck auf die Jury zu machen. Trotz Anfeindung durch die Luchese-Familie, die sich durch seinen Habitus um ihre Aussicht auf einen erfolgreichen Prozessverlauf gebracht sieht, und Druck seitens der Staatsanwaltschaft bleibt DiNorscio auf seiner Linie der absoluten Loyalität. Nache spektatkulär langem Prozess und ebenso spektakulär kurzer Beratung erklärt die Jury alle Angelagten für unschuldig.

Es nimmt nicht Wunder, dass diese Entscheidung in den USA umstritten ist. Zu deutlich sind die Hinweise auf die Verstrickungen und Machenschaften der Luchese-Familie. Doch die Beweislage ist nicht eindeutig, den Anklägern fehlt ein glaubwürdiger Kronzeuge. Der einzige, der dafür in Frage käme, ist DiNorscio, doch der entscheidet sich wieder und wieder dafür, sich selbst und seinen Freunden seine Loyalität zu beweisen. Seine Triebfeder, so arbeitet es Lumet heraus, ist die Suche nach Anerkennung gepaart mit dem unbeirrbaren Glauben, dass ihn tatsächlich alle lieben. Offensichtlich hatte der Mann auch ein Talent, geradeheraus mit Menschen zu sprechen. Er bringt die Jury zum Lachen und die Staatsanwälte befürchten schon früh: „A laughing jury is not a hanging jury.“

Der Ton des Films ist beschwingt, Vin Diesel entwirft seine Figur als liebenswerten Brummbär, gelegentliche Ausbrüche seinerseits sind stets provoziert durch die Staatsggewalt. Auf die Seitensprung-Vorwürfe seiner Ex-Frau darf er mit einem naiven „That’s because I am a man“ antworten. Man nimmt ihm diese Naivität und die immer wieder betonte Loyalität ab. Ein kleines Aufwachen beschert ihm erst der knappe Dank seiner Wahl-Familie nach der Verkündung des Urteils. Seine unbedingte Freundschaft wird nicht mit ebensolcher vergolten. Lumet inszeniert solche Momente, wie auch andere im Film, mit meisterhafter Beiläufigkeit und überlässt es dem Zuschauer als Jury, die einzelnen Fakten zu bewerten.

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Vin Diesel in „Find me guilty“ (Foto: Berlinale)

Lumet schildert zum einem einen streitbaren Fall der US-Justiz, zum anderen entwirft er das Portrait eines Gangsters, der sich selber lieber als „Gagster“ sieht. Der Freispruch durch die Jury und die Symphatie, die man als Zuschauer für Jackie Dee DiNorscio empfindet, entlassen seltsam verwirrt aus dem Kinosaal. Lumet ist aber dennoch ein spannendes und diskussionswertes Gerichtsdrama gelungen, ein würdiger Gegenpart zu „12 Angry Men“. (dakro)

Find me guilty, USA 2005, 125 Min., 35 mm. Buch: Sidney Lumet, T. J. Mancini, Robert J. McCrea, Rgie: Sidney Lumet, Darsteller: Vin Diesel, Peter Dinklage, Linus Roache, Ron Silver, Annabella Sciorra u.a.

 

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