56. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2006
Nummernrevue ohne wirkliche Schärfe
„Elementarteilchen” (Oskar Roehler, D 2006)
Zwei Brüder wie sie unterschiedlicher nicht sein können auf der Suche nach einem Sinn in ihrem Leben. Der eine, Bruno (Moritz Bleibtreu), ein frustrierter, sexuell unbefriedigter Lehrer und Vater, den ein gescheiterter Annäherungsversuch an eine Schülerin in die Psychiatrie bringt. Der andere, Michael (Christian Ulmen), ein introvertierter Gen-Forscher, der die Fortpflanzung vom Zeugungsakt trennen möchte und bereits nachgewiesen hat, dass sich mathematisch der Gen-Code eines jeden Lebewesens auf einen Nenner bringen lässt – auch der des Menschen. Beide von ihrer Hippie-Mutter vernachlässigt kämpfen auf unterschiedliche Art erfolglos mit den Komplexen aus ihrer verpfuschten Kindheit. Obschon erfolgreich als begehrter Wissenschaftler oder gesettelt mit Beamtenstatus, Frau und Kind, stellen beide in der Mitte ihres Lebens fest, dass sich Erfüllung und Glück nicht eingestellt haben. Während Michael seine verlorenen Jugendliebe zurückerobern will, stürzt sich Bruno in sexuelle Eskapaden.
Die Verfilmung von Michel Houellebecqs Bestseller und Skandalroman durch Oskar Roehler ist vielleicht der mit größter Medienaufmerksamkeit bedachte deutsche Wettbewerbsbeitrag von immerhin vier Filmen auf dieser Berlinale. Von Bernd Eichinger produziert ist der Film bis in die kleinsten Nebenrollen mit namhaften Schauspielern besetzt. Doch Houellebecqs komplexen, vor Figuren und Gedankengängen überquellenden Roman in nicht einmal zwei Stunden umzusetzen ist keine leichte Aufgabe. Selbst wenn man nur den Film betrachtet, wirkt die Geschichte der beiden Brüder sehr fragmentarisch und gerafft. Zwar sind viele einzelne Szenen in sich geschlosssen und gelungen, doch die beiden Hauptfiguren bleiben in ihrer Charakterzeichnung löchrig. Das wird insbesondere bei der Figur Michaels deutlich, der allzu schnell und geradlinig auf das Happy End mit seiner Jugendliebe zusteuern kann. Wenn Bruno an dem Tod seiner gerade gefundenen möglichen Liebe seines Lebens psychisch zerbricht, fehlt der Figur die Fallhöhe. Vielleicht hätten dem Film ein paar Szenen mehr geholfen, den beiden Brüdern etwas näher auf die Pelle zu rücken. So bleiben sie Prototypen, die man versteht, doch ihre Schicksale bewegen nicht. Martina Gedeck (Christiane) allerdings gelingt in nur wenigen Szenen, den Zuschauer die verzweifelte Lebenslust und Angst spüren zu lassen, die alle Figuren umtreibt.
Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu in „Elementarteilchen“ (Foto: Berlinale)
Dass Roehler für seine Protagonisten, ihre Meinungen und Handlungen gleichzeitig Abscheu, Mitleid und Identifikation erzeugen kann, hat er mit seinem bisherigen Filmen bewiesen. „Elementarteilchen“ geht zu viele Kompromisse ein, um an die Schärfe und den Scharfsinn der Vorlage und Roehlers bisherigen Arbeiten anknüpfen zu können. (dakro)
Elementarteilchen, D 2006, 105 Min., 35 mm. Regie: Oskar Roehler, Buch: Oskar Roehler nach dem Roman „Les Particules élémentaires“ von Michel Houellebecq, Darsteller: Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Martina Gedeck, Franka Potente, Nina Hoss, Uwe Ochsenknecht, Corinna Harfouch u.a.