Himmelsrichtungen von Kunst und Wissenschaft

Das Forum der Muthesius Kunsthochschule erkundet mit dem Symposion „Fülle und Leere“ den Einfluss östlicher Ästhetik auf den Westen.

Der Blick des Westens gen Osten ist ebenso en vogue wie er ganz alt ist. Schon bei den Vorsokratikern gebe es Affinitäten zur ganzheitlichen Betrachtungsweise fernöstlicher Philosophien im Gegensatz zum dualistischen Denken des Westens, weiß Petra Maria Meyer, Intendantin des Forums der Muthesius Kunsthochschule, die unter dem Titel „Fülle und Leere“ ein „Interdisziplinäres Symposion im experimentellen Raum des Forums“ organisiert hat, das von Donnerstag bis Sonnabend, begleitet von Workshops in der darauf folgenden Woche, Kunst und Wissenschaft auf ihre Himmelsrichtungen abklopfen wird.

Ein Blick auf den von den Muthesius-Studentinnen Sybille Dörfler und Sandra Gerstenfeldt gestalteten Programm-Flyer deutet bereits an, worum es in dieser Vortragsreihe geht, die dem eher nach außen, in die Wissenschaftsgemeinschaft gerichteten Impetus der „Interdisziplinären Wochen“ die internen Erkenntnisinteressen der Hochschule gegenüberstellt. Schriftzeichen werden auf dem Flyer zu ganz körperlichen Bewegungen. Geist meets Leib – wie im Vortrag „Qigong mit dem Pinsel“ (19.11., 10 Uhr), wo Gudula Linck, Sinologin an der CAU, die chinesische Kalligrafie als Leibesübung begreift. Wer schreibt, malt, designt, filmt oder musiziert, der vollzieht auch immer eine Bewegung des Körpers, nicht nur des Geistes. Das Ich, jenes westliche Konstrukt vom Humanismus bis zur Aufklärung, ist aus östlicher, buddhistischer Sicht nur ein Schimäre, die den Blick auf die Ganzheit der Welt eher verstellt und dennoch im Dialog zwischen Individuum und ihr beides erfahrbar macht. Wo der Westen wissenschaftlich zergliedert, ist der Osten die von Philosophen wie Nietzsche begierig rezipierte Wiege der Leibphilosophie, die Duales verbindet statt es zu trennen.

Welche Richtung hat der Himmel? Vielleicht jene, die westliche Künstler in der Auseinandersetzung mit östlichen Wahrnehmungsweisen immer wieder magisch anzog. Norbert Schmitz forscht dem am Beispiel der Filmemacher Eisenstein und Tarkowskij nach (19.11., 16.30 Uhr), die Wiener Koryphäe Sang Kyong Lee untersucht die „Einflüsse des Noh auf Theaterkonzeptionen des Westens“ (17.11., 19.30 Uhr) und schlägt damit die Brücke zu John Cages „Befreiung der Zeit“ in der Musik, die Petra Maria Meyer in ihrem Vortrag „Zeit als Kunstmaterial“ beleuchtet (18.11., 18.30 Uhr).

Kunst und Wissenschaft als gleichwertige, sich gegenseitig befruchtende Erkenntnismedien, darin sieht Meyer nicht nur die Botschaft des Ostens für den Westen, sondern auch eine Chance zur Profilierung der Muthesius Kunsthochschule. Der in „Fülle und Leere“ ausgebreitete west-östliche Diwan wird dazu die „experimentelle“ Sitzgelegenheit bieten. Denn was Künstler über die Jahrhunderte immer wieder vollzogen haben, eine einende Auseinandersetzung zwischen westlicher und östlicher Kultur, haben Wissenschaft und Lehre noch nicht unbedingt rezipiert. „Fülle und Leere“ soll ein Schritt in diese ganz und gar nicht diametralen Himmelsrichtungen sein. (jm)

Öffentliche Vorträge ab 17.11., 19.15 Uhr in der Aula der Muthesius Kunsthochschule. Detailliertes Programm unter www.muthesius.de/forum.

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